Felix Kummer über rechte Gewalt, Ostdeutschland und #wirsindmehr
Ich glaube nicht, dass Chemnitz, weil es Chemnitz ist,
anfälliger ist für rechtsradikale Meinungen.
Das ist wie überall sonst.
Wenn man da nichts gegen macht und sagt, das Problem löst sich dadurch,
dass man sagt, es gibt kein Problem, dann passiert halt so etwas.
*Intro*
Ich bin Kummer, ich komme aus Karl-Marx-Stadt
und bin ein Musiker.
Ich bin jetzt gerade 30 geworden.
Ich hatte eine glückliche Kindheit, würde ich sagen.
Ich bin aufgewachsen in einer Stadt nach der Wende.
Es war sehr viel kaputt und sehr viel unrenoviert.
Das war für uns als kleine Rotzer ziemlich geil.
Wir konnten immer in alle Häuser reingehen.
Das war so eine zentrale Kindheitserinnerungen,
die ich mit der Stadt verbinde, dass alle Häuser waren offen.
Es war unglaublich viel Platz und das ist immer noch so,
dass hier unglaublich viel Platz ist.
Viel Fabrik-Raves, viel Platz für Kunst.
Wenn solche Räume niemand besetzt, dann machen es meistens Leute,
die da irgendwas reinbasteln.
Mit 14,15 sind wir losgezogen in die Clubs der Stadt.
Die Clubszene hat immer gut funktioniert hier.
Chemnitz war zu groß, um so ganz provinziell zu sein,
aber zu klein, dass so jede Subkultur in ihre eigenen Suppe bleiben konnte.
Tatsächlich war der Punkt, wo wir angefangen haben auszugehen,
genau der Punkt,
wo wir parallel die ersten Erfahrungen zu machen mit Hools,
mit Nazis und mit auf die Fresse bekommen.
Das bedingte sich irgendwie, darüber haben wir nicht groß nachgedacht.
Das war so eine Wechselwirkung.
Auf der einen Seite unglaublich geil und aufregend,
das Nachtleben auszuchecken und zum ersten Mal laute Musik, tanzen,
knutschen, Alk und alles so.
Gleichzeitig war immer auch die Gefahr,
auf dem Nachhauseweg kann es gut sein, auf die Fresse zu bekommen.
Ich bin aufgewachsen mit diesem Gruselgeschichten.
Bis ich 14 war, kannte ich nur so die Geschichten
von diesen 90er Faschos:
Springerstiefel, weiße Schnürsenkel, Baseballschläger.
Das waren aber gar nicht die Faschos, die ich kennengelernt habe.
Ich kannte die nur so als Geschichten.
Die Leute, die wir kennengelernt haben, nachts,
die sahen gar nicht mehr so aus wie diese Comic-Bomberjacken-Faschos,
wie wir sie aus den Geschichten kennen.
Das waren ja noch eure.
Ich habe mehrere solcher Schlüsselerlebnisse gehabt.
Der Klassiker: Haste mal ne Zigarette?
Entweder hast du keine Zigarette gehabt,
dann hast du aufs Maul bekommen, weil du keine hattest.
Oder du hattest Zigaretten,
dann hattest du danach keine mehr und trotzdem eine aufs Maul bekommen.
Oder du hattest nur Drehtabak,
dann hast du auf deine Hippie-Fresse eine verdient.
Das klingt jetzt so, als ob wir eine angsterfüllte Jugend gehabt hätten,
das war überhaupt nicht so, es gehörte irgendwie mit dazu.
In 90 % der Fälle sind wir natürlich weggerannt.
Das war ja keine Option, sich da zu stellen.
Ich hätte mich schon gerne gewehrt.
Ich hätte schon gerne zurückgeschlagen.
Das Kräfteverhältnis war einfach grotesk verteilt.
Wir waren 14,15-Jährige.
Da war nichts großartig mit zurückschlagen.
Es hat sich auch nicht geil angefühlt, immer wegrennen zu müssen.
Ich hab mich immer schwergetan mit so "Heimat".
Ich sehe mich nicht als Deutschen und erst recht nicht als Ostdeutschen.
Wenn überhaupt, dann habe ich mich immer als Chemnitzer gesehen.
Das liegt auch daran,
dass wir in Chemnitz eine Art gebrochenen Lokalpatriotismus haben.
Ich kenne niemand, der das ernst meint, wenn er sagt,
yo, ich komme aus Chemnitz.
Für manche ein Minderwertigkeits- komplex, ich finds ganz sympathisch.
Wir als Chemnitzer hatten so ein ganz seltsames Verhältnis
zu unserer Heimatstadt.
Wenn du als Chemnitz hier wohnst,
dann gibt es immer so eine Art Grundwundern darüber,
warum wohnst du noch hier?
Ich finde "Ossi" als Begriff wieder geil noch lustig.
Ich mag es nicht, wenn ich als "Ossi" bezeichnet werde.
Ich mag auch nicht diese Selbstermächtigung,
wenn man sagt: Ost, Ost, Ostdeutschland!
Das finde ich auch ungeil.
Das man als Chemnitzer und vielleicht auch als Ostdeutscher,
ich weiß es nicht, ich kann das nur als Chemnitzer sagen,
das stimmt schon, wir hatten halt diesen Minderwertigkeitskomplex.
Der ist super tief verankert.
Woher der kommt, weiß ich nicht so ganz genau.
Ich weiß auch nicht, wie der weggehen könnte.
Aber 30 Jahre nach Mauerfall wird dann immer noch so:
"Wir sind die Vernachlässigten und Bürger zweiter Klasse,
nix wird für uns gemacht" und so.
Dann fährst du mal nach Aachen oder nach Bochum und schaust dir an,
wie es dort aussieht.
Dann guckst du dir die schönen gemachten Straßen
in der Uckermark an, wo alles schön renoviert ist, wie in Dresden
und denkst, Alter, es muss irgendetwas anderes sein.
Das ist mir zu sehr gefühlte Abgehängtheit,
zu sehr gefühlte wenige Infrastruktur.
Klar ist das mit der AfD noch drastischer ausformuliert worden,
was aber eh schon die ganze Zeit vorhanden war.
Der große Witz ist ja, dass die Leute so unglaublich wütend waren
auf Ausländer und es kaum welche gab.
Tatsächlich ist das jetzt erst so gekommen,
dass die Leute wirklich mal mit Ausländern reden können in Chemnitz,
gefühlt seit der Flüchtlingskrise, dass die dann mal jemand haben,
den die alle ihre komischen Fragen mal fragen können.
Vielleicht wäre alles anders,
wenn die Deutschen von Anfang an die Chance gehabt hätten,
mit Leuten aus Syrien und der Türkei aufzuwachsen.
Ich habe halt Freunde,
deren Familien haben sich zerstritten über die Flüchtlingspolitik.
Da sind Hochzeiten abgebrochen worden.
So ganz furchtbare Scheiße.
Was einen so manchmal ärgert, dass so getan wird,
als ob das 2014 losgegangen ist.
Das stimmt einfach nicht.
Seit 30 Jahren wird Sachsen regiert von der CDU
und seit 30 Jahren wird ganz klar gesagt,
die große Gefahr für die Gesellschaft steht links.
Während gleichzeitig rechtsradikale Strukturen super verharmlost wurden.
30 Jahre später sagt man, wow, wo kommt das denn eigentlich her?
Die AfD ist auf einmal am Start.
Wir haben unser letztes Konzert in Dresden gespielt an dem Samstag.
Großer Abschluss, Party und so.
Am nächsten Tag sind wir aufgewacht
und haben schon die ersten Bilder gesehen.
Was geht ab in Chemnitz?
Wir sind zurückgefahren und dann ging die ganze Scheiße los.
Im allerersten Moment ist es wie allen durch den Kopf gegangen,
scheiße, hier ist jemand wirklich abgestochen worden.
Das war das allererste, was man mitbekommen hat,
wo man dachte, fuck, da ist wirklich jemand gestorben.
Dann relativ schnell danach diese Mobilisierung.
Dass dann Leute durch die Stadt gesteppt sind.
Es hat niemand damit gerechnet, dass das so krass eskalieren konnte.
Dann gab es die ganzen anderen Demos noch.
Da ist es dann noch mal mehr eskaliert.
Wir wollte noch was machen, saßen dann in der Küche standardmäßig,
bevor wir weggehen.
Dann merkst du, dass einer dem anderen sagt,
dass er heute nicht weggehen will.
Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal im meinem Leben hatte,
dass ich nachts nicht rausgegangen bin.
Das ist vielleicht so ein Ding ...
Dann ist es wenigstens jetzt einmal für die ganze Welt sichtbar gewesen,
jetzt, zumindest nicht mehr sagen,
dass wir kein Problem haben mit Rechtsradikalen in Ostdeutschland.
Wir hatten ein Vierteljahr vorher
schon einmal auf eine Anti-Nazi-Demo gespielt in Chemnitz.
Wir dachten, es ist komisch, noch einmal das Gleiche zu machen.
Wir haben deswegen die berühmtesten Leute,
die ich so im Telefonbuch hatte, einfach eine Nachricht geschrieben.
Die haben einfach alle zugesagt.
Das ist so ein zentrales Gefühl, was ich da hatte, weil wir sind mehr,
worum es auch so ein bisschen allgemein ging
auf dieser Veranstaltung.
Dieses Gefühl, dass du nicht allein gelassen wirst mit dieser Situation,
sondern, wenn du Leute um Hilfe bittet,
die auch kommen und dich nicht alleine lassen.
Ich würde nicht hier wohnen, wenn ich mich nicht hier wohlfühlen würde.
Ich wohne nicht in Chemnitz, weil ich denke,
das ist hier ein sozialer Auftrag.
Es ist kein soziales Engagement, in Chemnitz zu wohnen.
Ich wohne hier, weil hier geile Leute sind.
Und es einfach cool ist, hier zu wohnen.
Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk 2019