Kool Savas | GERMANIA
Ich glaube, 'ne Selbstdiagnose zu stellen,
die sagt, ja, ich bin 'ne traumatisierte Kinderseele
im Körper eines Erwachsenen, erfolgreichen Mannes.
Das klingt sehr dramatisch. Aber ich denke, im Kern stimmt das.
* Musik *
Ich heiß Savaş Yurderi, Künstlername Kool Savas.
Ich bin deutschsprachiger Rapper.
Ich bin in Aachen geboren.
Als ich ein Jahr alt war,
sind meine Eltern mit mir nach Istanbul gezogen.
Und haben dort einen Kindergarten eröffnet.
Und haben halt parallel ihre politische Arbeit da verrichtet.
Dann wurde mein Vater irgendwann verraten von einem Genossen
und kam dann halt in den Knast 5 Jahre lang in der Türkei.
Meine Mutter und ich mussten dann fliehen.
Dann haben wir in Aachen gelebt, meine Mutter und ich.
Als mein Vater wieder kam... Wir hatten schon einige Konflikte.
Wenn man sie jetzt erzählt, klingen die vielleicht harmlos,
aber für einen Jungen,
der eigentlich die ganze Zeit mit seiner Mutter allein gelebt hat
und sich jetzt so einer Situation ausgeliefert sieht,
wo auf einmal einer ist, der den Ton angibt,
das war unglaublich schwer.
Wir haben keinen Bezug zueinander gefunden,
es gab keine gemeinsame Ebene.
Ob ich mich jetzt als deutscher oder türkischer Rapper
oder Mensch gesehen habe?
Für mich ist das eine wichtige Frage,
denn die beschreibt die meisten meiner Konflikte tatsächlich,
die ich mit anderen und mit mir selbst hatte.
Als ich nach Aachen gekommen bin, ich konnte nur Türkisch,
kein Wort Deutsch.
Ich habe innerhalb von 3 Monaten mein Türkisch komplett verlernt
und nur noch Deutsch gesprochen.
Für mich war das so, die Türkei hat mir den Vater genommen,
deswegen möchte ich mich eigentlich nicht mehr zugehörig fühlen.
Und möchte mich eigentlich nicht als türkischer Landsmann sehen.
Aber meine Zeit in Kreuzberg,
die hat mir dann wieder auch eine andere Seite gezeigt,
denn zu dem Zeitpunkt haben in Kreuzberg fast nur Türken gelebt.
Meine deutschen Freunde, die ich hatte, die in unserer Crew waren,
die konnten selber Türkisch.
Es war aber oft so, wenn du nicht Türke, Kurde oder Araber warst,
dass du nicht so einfach akzeptiert würdest.
Also, wenn du als Deutscher akzeptiert werden wolltest,
musstest du dich auch als Ausländer fühlen irgendwie.
Weil du sonst nicht dazugehören konntest irgendwie.
Es war so, dass man türkisches Umfeld mir klargemacht hat,
wenn du dich nicht als Türke identifizieren kannst oder als Kurde,
wenn du nicht den gleichen Glauben hast,
nicht die gleichen Dinge sagst und tust,
dann kannst du keiner von uns sein.
Insofern, das war auch schwer für mich.
Aber meiner Mutter gegenüber habe ich das nie abgelegt.
Ich habe immer gesagt, ich bin Deutschtürke.
Bis heute ist es so,
ich habe mich für mich jetzt oft noch keinen richtigen Weg gefunden,
einfach runterzukommen und zu relaxen.
Sondern es ist ständig unter Strom so.
Deswegen klingt meine Musik auch so, als wäre sie unter Strom.
Ich bin aus meinem Fluchtmodus nie richtig rausgekommen,
ich bin im Kampf, auf der Flucht, rastlos.
Deswegen ist die Flucht an sich auch zu meiner Heimat geworden.
Lustigerweise ist es in Anbetracht der Situation,
die jetzt einfach herrscht
und die mediale Präsenz dieses Themas Flüchtlingskrise,
wie sie es nennen usw.,
in Bezug dazu ist mir aufgefallen, dass wir auch Flüchtlinge sind.
Ich finde, sich hinzustellen und zu behaupten,
ja, da kommen irgendwelche Leute her, die sich an uns bereichern wollen...
Erstmal muss man ja aufbröseln, wer ist uns, wer hat hier was aufgebaut?
Wer meckert da gerade so laut?
Hat derjenige überhaupt das Recht, in irgendeiner Form zu meckern?
Jeder, der in einer Krisensituation wäre, würde flüchten.
Besonders wenn es um seine Familie und seine Kinder geht.
Wie kann man das verurteilen und infrage stellen?
Es war für mich so,
ich wollte mich von diesen politischen Dingen komplett lösen.
Gar nichts damit zu tun haben.
Deswegen waren meine deutschen Texte extrem asozial.
Das war Rebellion, nicht gegen ein System draußen,
sondern gegen ein ganz nahes, ein inneres, das Familiensystem quasi.
So Songs wie "Lutsch meinen Schwanz",
wir haben es damals Porno-Rap oder Asi-Rap genannt.
Es kann sein, dass andere sagen, du bist ein sexistisches Stück Scheiße.
Aus deren Perspektive, Wahrnehmung, wird das auch so stimmen.
Für mich persönlich bin ich es nicht.
Wenn ich etwas am Mikrofon auf einen Beat rekorde,
ist da nicht unbedingt eine Person mit gemeint,
dann ist diese Beleidigung, die vermeintliche, die steht so im Raum.
Aber ich finde, sie wird durch diesen künstlerischen Rahmen relativiert.
Genauso, wie sich die Gewalt Terentino-Filmen
durch den künstlerischen Anspruch des Filmes und seine Aussagen
oder was auch immer relativiert.
Deswegen habe ich auch kein Problem damit,
meine alten Songs stellenweise heute noch zu performen.
Deswegen finde ich Sachen in Songs auch okay,
die ich in real life so nicht sagen würde.
Für mich in meiner Realität funktioniert das.
Das ist vielleicht schwer zu erklären,
aber ich glaube, es lässt sich vereinen.
Untertitel: ARD Text im Auftrag von FUNK, 2019