Marvin Game über Nationalstolz, seinen Kiez und Familie
Ich bin sehr oft mit meinem Bruder im Kiez damit konfrontiert worden,
dass die Leute sagen: Morten, Marvin, was seid ihr eigentlich,
ihr seid Polen, wa? Nein, wir sind Deutsche.
Ich kenn keine Almans, die so korrekt sind.
Damit klarzukommen, dass du wegen deiner Nationalität
nicht korrekt sein kannst - schwierig im ersten Moment.
* Titelmusik *
* Musik *
Mein Name ist Marvin Game Trotzinski
und ich bin Rapper und in Berlin-Moabit aufgewachsen.
Ich bin eins der wenigen Kinder, die damit gesegnet sind,
dass ihre Eltern immer noch zusammen sind
und der bei beiden Elternteilen aufgewachsen ist.
Wir sind 4 Kinder, ich hab 3 Geschwister.
Familie ist, denk ich, das Wichtigste von allem,
weil egal was wegfällt oder was passiert,
da kann man immer wieder hin zurück.
Das ist 100-prozentiges Vertrauen und Offenheit und Akzeptanz.
Ich glaub, man muss einen großen Unterschied machen
zwischen Deutschland und Berlin.
Ich seh mich stark als Berliner und noch mehr als Moabiter.
Halt das, was mich geprägt hat.
Da, wo ich war, wo ich dir sagen kann, ja,
weil ich in der Straße war, hab ich das und das erlebt
und deswegen bin ich heute so.
Ich mag viele Orte, ich hab viele Wohlfühlzonen
oder Wohlfühlgegenden, aber Moabit ist mein Zuhause.
Man kennt die Leute, man kennt den Pizzaverkäufer,
man kennt den Friseur, den Döner- Mann, den Asia-Imbissverkäufer.
Man grüßt sich. Man hat hier gefühlt alles und muss nicht weg.
* Musik *
Als ich aufgewachsen bin mit Rap-Musik,
gab's keine deutschen Vorbilder im Rap.
Es gab vielleicht Sido, der der einzige erfolgreiche Deutsche war,
den man cool finden konnte.
Alle anderen waren Hampelmänner und keine Leute,
mit denen man sich identifizieren wollte.
Eins der männlichen Vorbilder in meinem Leben
war mein großer Bruder, auch wenn er nur 4 Jahre älter ist.
Mich hat beeindruckt, dass mein Bruder für 'ne Sache lebt.
Der hat einfach Musik gemacht und man hat nicht gewusst, wofür
oder dass man damit irgendwann Geld verdient.
Er hat einfach gerappt und ich hab das gesehen und dachte,
cool, das will ich auch machen. Dann war das das Umfeld
von meinem Bruder, was Menschen jeder Herkunft hatte.
Auf einmal waren das alles deine Jungs.
Dann war es komplett durchgemischt alles.
Bis zu dem Punkt, wo wir fast die Quoten-Deutschen waren.
Weil im ganzen Umfeld keiner mehr deutsch war.
Ich war vor 2-3 Jahren mal im Club, da kam jemand auf mich zu
mit dunkler Haut und erzählt mir, Marvin, ich hab dein Video gesehen
und dies und das, man, Bro, du bist doch einer von uns.
Ich sag, wie, was meinst du mit einer von uns?
Man, du bist schwarz, man!
Ich sag, nein, guck mich an, ich hab weiße Haut.
Ich glaube nicht, dass ich einer von euch bin,
wenn das deine Denkweise ist.
Dann sagt er, du bist nicht wie die anderen Weißen, die Kartoffeln.
Ich sag, aber ich bin auch nicht wie die anderen Schwarzen, Grünen,
Gelben, Blauen oder sonst was, ich bin wie ich bin.
Unabhängig von meiner Hautfarbe.
Da möchte ich dann nicht zum Wir gehören oder mich abgrenzen.
Dann gehör ich lieber zu keinem, sondern nur zu mir selber,
bevor ich mich denen anschließe, die die anderen ausgrenzen.
Egal auf welche Art.
Ich würde auch nicht jedem, der sowas macht, Rassismus vorwerfen,
wenn es heißt, die deutschen Kartoffeln, alle Almans sind Keks.
Das kann man nicht vergleichen. Es ist nicht so, dass ich sage,
ich bin durch den selben Schmerz gegangen,
den ein Schwarzer erlebt, der mit Rassismus zu kämpfen hat.
Aber jeder erlebt Rassismus auf irgend eine Art.
Man macht sich in der Jugend so einen krassen Kopf
und die Frage, wer bist du,
wird gleichgestellt mit woher kommst du.
Und das kann dich verrückt machen, wenn du in 'nem Kiez bist,
wo du als Deutscher keine deutschen Berührungspunkte hast.
Die Libanesen sind alle: Yo, ich bin auch Libanese und ich auch.
Jetzt sind wir alle libanesische Brüder.
Wenn du als Deutscher das machst mit: Yo, wir sind Deutsche,
dann bist du der Nazi im Kiez.
Ich finde, es ist egal, wo du herkommst.
Nationalstolz ist überall Quatsch.
Irgendjemand hat da mal 'ne Linie gezogen und gesagt,
das ist das Land und nur weil du unter diesem Stern geboren wurdest,
wohnst du jetzt da.
Was hast du mit der Kultur zu tun, die vor 1000 Jahren etabliert wurde.
Du lebst sie weiter, führst sie weiter
und kannst dich auch darüber definieren, das ist nicht verkehrt.
Aber sich nur darüber zu definieren, find ich sehr fragwürdig.
* Titelmusik *
Untertitel: ARD Text im Auftrag von funk (2019)