Wie Facebook Internet-Betrügern hilft
Facebook verliert gerade einen Werbekunden nach dem anderen.
Und das ist nicht gerade unverständlich, wenn die anzumietende Werbefläche direkt
neben einem der nächsten menschenverachtenden Posts steht, die Facebook seit über 10 Jahren nicht in den Griff kriegt.
Darüber hinaus ist das Niveau von Facebooks Werbeportfolio seit Jahren aber schon von
unterirdischem Ausmaß.
Und wer will als Werbetreibender schon gerne neben dem nächsten unverzichtbaren Finanzgeheimtipp
von Andrea Nahles, der revolutionären Diät-Pille von Heidi Klum oder dem sicherlich überhaupt
nicht gefährlichen Muttermalentferner stehen?
Doch seit Jahren bleiben trotz gelobter Besserung seitens Facebook betrügerische Werbungen
auf der Plattform ein Problem, während Google, Twitter und Co. die Sache zumindest verhältnismäßig
in den Griff bekommen haben.
Und das hat mich verwundert.
Und sagen wir es mal so: Dass hohe Tiere bei Facebook auf den Partys der Scam-Branche auftauchen
und eifrig mitfeiern ist vielleicht nicht das beste Signal.
Zunächst aber eines Vorweg: Falsche Versprechungen, gefälschte Werbebotschaften von Prominenten
oder schlichtweg einfache Lügen wurden weder mit den sozialen Netzwerken noch mit dem Internet
allgemein erfunden.
Klar, E-Mails vom nigerianischen Prinzen, der unendlichen Reichtum verspricht, wenn
man ihm nur jetzt ganz kurz finanziell unter die Arme greifen würde, sind hinlängst bekannt,
die haben ihre Masche aber auch nur von den Telefonbetrügern und die wiederum von den
Fax-Spammern aus den 80ern.
Bereits 1861 wurde in der New York Times eine Salbe als der Grund für Lincolns kräftigen
Bart beworben, obwohl nichts davon stimmte.
Hinter den heutigen Betrugs-Werbungen stehen aber weder einzelne, kleine Personen, die
Lust haben, Omi mal so richtig auszunehmen noch die Firmen der Produkte selbst.
Stattdessen ist das alles eine ganze Branche mit mehreren Instanzen.
Nehmen wir als Beispiel mal die von mir ausgedachten “Ultralativen Brainbooster”. 100 stinknormale,
wasserlösliche Tabletten mit Pfefferminzgeschmack für 60€ pro Monat.
Völlig bescheuert und komplett illusorisch zu glauben, dass die Dinger irgendjemand kaufen
würde.
Aber wenn es mir wirklich komplett egal ist, wie diese Tabletten beworben werden, hauptsache
sie werden verkauft, kann ich mich bei einem darauf spezialisierten Affiliate-Netzwerk
melden und sagen wir mal… eine Pauschale von 35€ pro abgeschlossenem Abo anbieten
und mich entspannt zurücklehnen.
Denn das Affiliate-Netzwerk kontaktiert wiederum seine Vermarkter und lockt mit der von mir
ausgehängten Pauschale.
Die Vermarkter sind unabhängig und mehrere von ihnen nehmen dasselbe Angebot an und arbeiten
ab sofort gegeneinander im Wettstreit um die meisten Opfer mit der effektivsten Werbung.
Für das Werbebanner, das später auf Facebook die Spreu vom Weizen trennen soll, wird beispielsweise
Günther Jauch mit draufgepackt, weil der moderiert ja Quiz-Shows und steht somit irgendwie
auch für Intelligenz.
Wer auf das Banner klickt wird aber nicht direkt auf die Shop-Seite der Brainbooster
verlinkt.
Stattdessen wird ein bekanntes Nachrichtenportal bis ins kleinste Detail nachgebaut und die
Facebookwerbung leitet auf einen Artikel in diesem Nachrichten-Mimikry weiter, der mit
Lobpreisungen und suggerierter Knappheit vollgeladen ist, so dass das Opfer das Gefühl bekommt,
hier einen unabhängigen Testbericht zu lesen.
Schließlich wird noch ein Link zum Shop eingebaut in dem man komischerweise die Artikel nur
im Abo kaufen kann und es kann losgehen.
Das Risiko an diesem Vorgehen ist, dass die Vermarkter all diese Werbung selbst bei Facebook
buchen müssen.
Wer also eine Werbemasche gebaut hat, die keine oder nur kaum Fische ins Netz holt,
bleibt auf seinen eigenen Kosten sitzen.
Doch was auch immer passiert, egal ob die Günther Jauch-Lüge zieht oder nicht, Facebook
bekommt das Geld für die Werbung so oder so.
Aber… für Leute, die von dieser Masche wissen, ist es jetzt ja nicht unbedingt schwer
sie auch zu erkennen.
Wo liegt also das Problem beim Herausfiltern der schwarzen Schafe?
Im Rahmen seiner “Offensive” gegen den Scam hat Facebook vor einigen Jahren ein paar
dutzend Reviewer angestellt, die Werbung vor der Veröffentlichung überprüfen sollen.
Und das hat… nichts gebracht.
Und das lag nicht daran, dass die Reviewer zu inkompetent waren oder die Sachen willentlich
durchgelassen haben, sondern daran, dass sie schlicht nichts Problematisches an den Werbungen
finden konnten.
Denn die Scam-Branche war vorbereitet und nutzt bis heute eine Praktik namens “Cloaking”,
die Facebook einfach nicht in den Griff kriegt.
Beim Cloaking überprüft eine Software die IP-Adresse des abrufenden Computers, ermittelt
daraus das Herkunftsland des Zugriffs und kann darauf basierte Ergebnisse anzeigen.
Im Klartext: Da die Reviewer hauptsächlich in Indien sitzen, kann die Betrugsseite für
Zugriffe aus Indien harmlose Inhalte anzeigen, während der Rest der Welt von Jauchs Superbrain
lesen darf.
Das geht sogar noch weiter: Um in mehreren Ländern mit derselben Werbeanzeige Erfolg
zu haben, kann via Cloaking ein Artikel eines nationalen Nachrichtenportals angezeigt werden
und bei den potenziellen Opfern in der Landessprache vom Produkt schwärmen.
Und ja, Facebook löscht diese Werbungen im Nachhinein auch.
Teils nach Stunden, teils sind diese aber nach Wochen noch online.
Die offizielle Linie von Facebook stellt sich klar gegen solche Praktiken.
Es gibt aber hinreichend Beweise dafür, dass Facebookvertreter bei den regelmäßigen Treffen,
Partys und Fortbildungen der Branche aufgetaucht sind und mitgemacht haben, die Vermarkter
angefeuert und motiviert haben, mehr Werbung bei ihnen zu buchen.
Und diese Veranstaltungen machen kein Geheimnis aus ihren wahren Absichten.
Teils moderierten Facebookvertreter Referenten an, die konkret über Betrug und Umgehen von
Regeln sprechen oder ihr Betrugsdasein direkt auf der Mütze stehen hatten.
Facebook ist bei dieser Sache ganz klar nicht das Opfer, sondern ein Multiplikator, der
dem Problem erst zu seiner momentanen Größe verholfen hat.
Facebooks Werbealgorithmus ist so gut darin, zu erkennen, wer für eine Werbebotschaft
anfällig ist und wer nicht, dass Betrüger selbst von sich sagen, dass sie ohne Facebook
nie so weit gekommen wären; sich teilweise gar keine Gedanken mehr darum machen müssen,
auf welche Zielgruppe sie ihre Werbungen zuschneiden, denn, Zitat: “They go out and find the morons
for me”.
Facebooks Umsatz kommt zu fast 99% ausschließlich durch Werbung.
Zum Vergleich, bei Google sind es knapp 84%.
Entsprechend elementar ist die Erhaltung von Werbepartnern, bei Facebook offenbar ohne
Rücksicht auf Verluste.
Jetzt wo selbst Firmen wie Volkswagen Facebook zu unseriös ist und dem Konzern den Rücken
kehren, scheint die Plattform vor einer Weggabelung zu stehen.
Die großen Weltkonzerne wieder zurückholen, in dem man die Scam-Branche endlich von der
Plattform verbannt und Hass aktiv entgegenwirkt, oder sich voll und ganz der Scam-Branche zuwenden,
weil die sich nicht um die Verschwörungserzählungen und den Hass der Mitglieder schert und egal
was passiert, immer ein treuer Werbekunde bleiben wird.
Wozu sich Facebook am Ende auch entscheidet, dass es überhaupt soweit gekommen ist, ist
wirklich echt peinlich und furchtbar schade.