17. Frau Tischbein ist so aufgeregt
Siebzehntes Kapitel - Frau Tischbein ist so aufgeregt
Am nächsten Morgen klingelte Frau Bäckermeister Wirth in Neustadt an der Tür von Frau Friseuse Tischbein. "Tag, Frau Tischbein", sagte sie dann. "Wie geht's?" "Morgen, Frau Wirth. Ich bin so sehr in Sorge! Mein Junge hat noch nicht eine Zeile geschrieben. Immer, wenn es klingelt, denke ich, es ist der Briefträger. Soll ich Sie frisieren?" "Nein. Ich wollte nur mal herkommen, und... weil ich Ihnen etwas ausrichten soll." "Bitteschön", sagte die Friseuse. "Viele Grüße von Emil und..." "Um Himmelswillen! Was ist ihm passiert? Wo ist er? Was wissen Sie?" rief Frau Tischbein. Sie war furchtbar aufgeregt und hob ängstlich beide Hände hoch. "Aber es geht ihm doch gut, meine Liebe. Sehr gut sogar. Er hat einen Dieb erwischt. Denken Sie nur! Und die Polizei hat ihm eine Belohnung von tausend Mark geschickt. Was sagen Sie nun? Hm? Und da sollen Sie, mit dem Mittagszug, nach Berlin kommen." "Aber woher wissen Sie das denn alles?" "Ihre Schwester, Frau Heimbold, hat eben aus Berlin bei mir im Geschäft angerufen. Emil hat auch ein paar Worte gesagt. Und Sie sollten doch ja kommen! Wo Sie jetzt soviel Geld hätten, wäre das doch zu machen." "So, so... Ja freilich", murmelte Frau Tischbein verstört. "Tausend Mark? Weil er einen Dieb erwischt hat? Wie ist er bloß auf die Idee gekommen? Nichts als Dummheiten macht er!" "Aber es hat sich doch gelohnt! Tausend Mark sind doch eine Menge Geld!" "Gehen Sie mir ja mit den tausend Mark!" "Na, na, es kann einem Schlimmeres passieren. Also, werden Sie fahren?" "Natürlich! Ich habe keinen Augenblick Ruhe, bis ich den Jungen gesehen habe." "Also, gute Reise. Und viel Vergnügen!" "Danke schön, Frau Wirth", sagte die Friseuse und schloß kopfschüttelnd die Tür. Als sie, nachmittags, im Berliner Zug saß, erlebte sie eine noch größere Überraschung. Ihr gegenüber las ein Herr Zeitung. Frau Tischbein blickte nervös aus einer Ecke in die andere, zählte die Telegraphenmasten, die vorm Fenster vorbeizogen, und wäre am liebsten hinter den Zug gerannt, um zu schieben. Es ging ihr zu langsam. Während sie so herumrutschte und den Kopf hin und her drehte, fiel ihr Blick auf die Zeitung gegenüber. "Allmächtiger!" rief sie und riß dem Herrn das Blatt aus der Hand. Der Herr dachte, die Frau sei plötzlich verrückt geworden, und kriegte Angst. "Da! Da!" stammelte sie. "Das hier... das ist mein Junge!" Und sie stieß mit dem Finger nach einer Photo-graphie, die auf der ersten Zeitungsseite zu sehen war. "Was Sie nicht sagen!" meinte der Mann erfreut. "Sie sind die Mutter von Emil Tischbein? Das ist ja ein Prachtkerl. Hut ab, Frau Tischbein, Hut ab!" "So, so", sagte die Friseuse. "Behalten Sie den Hut ruhig auf, mein Herr!" Und dann begann sie den Artikel zu lesen. Darüber stand in Riesenbuchstaben: Ein kleiner Junge als Detektiv! Hundert Berliner Kinder auf der Verbrecherjagd Und dann folgte ein ausführlich spannender Bericht über Emils Erlebnisse vom Bahnhof in Neustadt bis ins Berliner Polizeipräsidium. Frau Tischbein wurde richtig blaß. Und die Zeitung raschelte, als wäre es windig. Und dabei waren die Fenster verschlossen. Der Herr konnte es kaum erwarten, daß sie den Artikel zu Ende las. Doch der war sehr lang und füllte fast die ganze erste Seite aus. Und mittendrin saß Emils Bild. Endlich legte sie das Blatt beiseite, sah ihn an und sagte: "Kaum ist er allein, macht er solche Geschichten. Und ich hatte ihm so eingeschärft, auf die hundertvierzig Mark aufzupassen! Wie konnte er nur so nachlässig sein! Als ob er nicht wüßte, daß wir kein Geld zum Stehlenlassen übrig haben!" "Er ist eben müde geworden. Vielleicht hat ihn der Dieb sogar hypnotisiert. Das soll vorkommen", meinte der Herr. "Aber finden Sie es denn nicht einfach bewundernswert, wie sich die Jungen aus der Affäre gezogen haben? Das war doch genial! Das war doch einfach großartig! Einfach großartig war doch das!" "Das schon", sagte Frau Tischbein geschmeichelt. "Er ist schon ein kluger Junge, mein Junge. Immer der Beste in der Klasse. Und fleißig dazu. Aber bedenken Sie doch, wenn ihm was zugestoßen wäre! Mir stehen die Haare zu Berge, obwohl ja alles längst vorüber ist. Nein, ich kann ihn nie mehr allein fahren lassen. Ich stürbe vor Angst." "Sieht er genau so aus wie auf dem Bild?" fragte der Herr. Frau Tischbein betrachtete das Photo wieder und sagte: "Ja. Genau so. Gefällt er Ihnen?" "Großartig!" rief der Mann. "So ein richtiger Kerl, aus dem später mal was werden wird." "Nur ein bißchen ordentlicher hinsetzen hätte er sich sollen", zankte die Mutter. "Das Jackett schlägt lauter Falten. Er soll es stets aufknöpfen, bevor er sich setzt. Aber er hört ja nicht!" "Wenn er keine größeren Fehler hat!" lachte der Herr. "Nein, Fehler hat er eigentlich keine, mein Emil", sagte Frau Tischbein und putzte sich vor Rührung die Nase... Dann stieg der Herr aus. Sie durfte die Zeitung behalten und las Emils Erlebnisse bis BerlinFriedrichstraße immer wieder. Insgesamt elf mal. Als sie in Berlin ankam, stand Emil schon auf dem Bahnsteig. Er hatte der Mutter zu Ehren den guten Anzug an, fiel ihr um den Hals und rief: "Na, was sagst du nun?" "Sei nur nicht auch noch eingebildet, du Lümmel!" "Ach, Frau Tischbein", sagte er und hakte sich bei ihr unter, "ich freue mich ja enorm, daß du hier bist." "Besser ist dein Anzug bei der Verbrecherjagd auch nicht geworden", meinte die Mutter. Aber es klang nicht etwa böse. "Wenn du willst, krieg ich einen neuen Anzug." "Von wem denn?" "Ein Kaufhaus will mir und dem Professor und Gustav neue Anzüge schenken und in den Zeitungen annoncieren, daß wir Detektive nur bei ihnen neue Anzüge kaufen. Das ist Reklame, verstehst du?" "Ja, ich versteh." "Aber wir werden wahrscheinlich ablehnen, obwohl wir statt der langweiligen Anzüge auch jeder 'nen Fußball kriegen könnten", erzählte Emil großspurig. "Denn weißt du, wir finden den Rummel, den man um uns macht, reichlich albern. Die Erwachsenen können so was, von uns aus, ja ruhig tun. Die sind nun mal so komisch. Aber Kinder sollten es bleiben lassen." "Bravo!" sagte die Mutter. "Das Geld hat Onkel Heimbold eingeschlossen. Tausend Mark. Ist das nicht herrlich? Vor allen Dingen kaufen wir dir eine elektrische Haartrockenanlage. Und einen Wintermantel, innen mit Pelz gefüttert. Und mir? Das muß ich mir erst überlegen. Vielleicht doch einen Fußball. Oder einen Photographenapparat. Mal sehn." "Ich dachte schon, wir sollten das Geld lieber aufheben und zur Bank bringen. Später kannst du es sicher mal sehr gut brauchen." "Nein, du kriegst den Trockenapparat und den warmen Mantel. Was übrig bleibt, können wir ja wegbringen, wenn du willst." "Wir sprechen noch darüber", sagte die Mutter und drückte seinen Arm. "Weißt du schon, daß in allen Zeitungen Photos von mir sind? Und lange Artikel über mich?" "Einen hab ich schon im Zug gelesen. Ich war erst sehr unruhig, Emil! Ist dir gar nichts geschehen?" "Keine Spur. Es war wunderbar! Na, ich erzähle dir alles noch ganz genau. Erst mußt du aber meine Freunde begrüßen." "Wo sind sie denn?" "In der Schumannstraße. Bei Tante Martha. Sie hat gleich gestern Apfelkuchen gebacken. Und dann haben wir die ganze Bande eingeladen. Sie sitzen jetzt zu Hause und machen Krach." Bei Heimbolds war wirklich ein toller Betrieb. Alle waren sie da: Gustav, der Professor, Krummbiegel, die Gebrüder Mittenzwey, Gerold, Friedrich der Erste, Traugott, der kleine Dienstag, und wie sie hießen. Die Stühle reichten kaum. Pony Hütchen rannte mit einer großen Kanne von einem zum ändern und schenkte heiße Schokolade ein. Und Tante Marthas Apfelkuchen war ein Gedicht! Die Großmutter saß auf dem Sofa, lachte und schien zehn Jahre jünger. Als Emil mit seiner Mutter kam, gab's eine große Begrüßung. Jeder Junge gab Frau Tischbein die Hand. Und sie bedankte sich bei allen, daß sie ihrem Emil so geholfen hatten. "Also", sagte der dann, "die Anzüge oder die Fußbälle, die nehmen wir nicht. Wir lassen mit uns keine Reklame machen. Einverstanden?" "Einverstanden!" rief Gustav und hupte, daß Tante Marthas Blumentöpfe klapperten. Dann klopfte die Großmutter mit dem Löffel an ihre goldne Tasse, stand auf und sagte: "Nun hört mal gut zu, ihr Kadetten. Ich will nämlich eine Rede halten. Also, bildet euch bloß nichts ein! Ich lobe euch nicht. Die andern haben euch schon ganz verrückt gemacht. Da tu ich nicht mit. Nein, da tu ich nicht mit!" Die Kinder waren ganz still geworden und wagten nicht einmal, weiterzukauen. "Hinter einem Dieb herschleichen", fuhr die Großmutter fort, "und ihn mit hundert Jungen einfangen - na, das ist keine große Kunst. Kränkt euch das, ihr Genossen? Aber es sitzt einer unter euch, der wäre auch gerne auf den Zehenspitzen hinter Herrn Grundeis hergestiegen. Der hätte auch gerne als grüner Liftboy im Hotel rumspioniert. Aber er blieb zu Hause, weil er das einmal übernommen hatte, jawohl, weil er das einmal übernommen hatte." Alle blickten den kleinen Dienstag an. Der hatte einen himbeerroten Kopf und schämte sich. "Ganz recht. Den kleinen Dienstag meine ich. Ganz recht!" sagte die Großmutter. "Er hat zwei Tage am Telefon gesessen. Er hat gewußt, was seine Pflicht war. Und er hat sie getan, obwohl sie ihm nicht gefiel. Das war großartig, verstanden? Das war großartig! Nehmt euch an ihm ein Beispiel! Und nun wollen wir alle aufstehen und rufen: Der kleine Dienstag, er lebe hoch!" Die Jungen sprangen auf. Pony Hütchen hielt die Hände wie eine Trompete vor den Mund. Tante Martha und Emils Mutter kamen aus der Küche. Und alle riefen: "Er lebe hoch! Hoch! Hoch!" Dann setzten sie sich wieder. Und der kleine Dienstag holte tief Atem und sagte: "Danke schön. Doch das ist übertrieben. Ihr hättet das auch getan. Klar! Ein richtiger Junge tut, was er soll. Basta!" Pony Hütchen hielt die große Kanne hoch und rief: "Wer will noch was zu trinken, ihr Leute? Jetzt wollen wir mal auf Emil anstoßen!"