Die Geschichte von dem letzten Drachen der Welt (3)
»Liebling, und dein Drache, bleibt er auf der Veranda?« fragte die Mutter. »Oder nimmst du ihn mit?« Mumintroll sagte nichts. Er ging zur Tür und öffnete sie. Die Funken sprühten, als der Drache hinausflog, und das Snorkfräulein rief: »Aber nein, den bekommst du nimmermehr! Warum hast du auch die Tür aufgemacht? Ich habe ihn mir noch nicht mal ordentlich angeschaut.« »Du kannst ihn dir beim Mumrik anschauen«, sagte Mumintroll mit zusammengebissenen Zähnen, »er sitzt auf seiner Schulter.« »Mein Liebling«, sagte die Mutter bekümmert, »mein kleiner Troll!« Der Mumrik hatte kaum seine Angel herausgeholt, als auch schon der Drache angefahren kam und sich auf seinen Schoß setzte. Er krümmte sich vor Entzücken darüber, den Mumrik wiederzusehen. »Nun wird's aber Tag«, sagte der Mumrik und fegte den Drachen fort. »Weg da! Mach, daß du fortkommst! Flieg nach Haus!« Aber er wußte natürlich, daß es nichts nützte. Der Drache würde nie weggehen. Und wenn er sich richtig erinnerte, konnte so ein Drache über hundert Jahre alt werden. Der Mumrik betrachtete besorgt das kleine, glitzernde Geschöpf, das sich vor ihm spreizte, sosehr es nur vermochte. »Natürlich, du bist hübsch«, sagte er. »Natürlich, es wäre schön, dich zu besitzen, aber sieh mal, Mumintroll ...« Der Drache gähnte. Er flog auf Mumriks Hut hinauf und rollte sich in der ausgefransten Krempe zusammen, um zu schlafen. Der Mumrik seufzte und warf die Angel aus. Der rote Schwimmer schwankte auf dem blanken Wasser. Er wußte, daß Mumintroll heute keine Lust zum Fischen hatte. Stunden vergingen. Der kleine Drache jagte ein paar Fliegen und kehrte immer wieder auf den Hut zurück, um zu schlafen. Der Mumrik fing fünf Plötzen und einen Aal, den er wieder losließ, weil er fürchterlich zappelte. Gegen Abend kam ein Boot angefahren. Ein jüngerer Hemul saß darin und steuerte. »Beißen sie an?« fragte er. »Einigermaßen«, antwortete Mumrik. »Fährst du weit?« »Einigermaßen«, sagte der Hemul. »Komm ein bißchen näher, du kannst ein paar Fische haben", sagte Mumrik. »Wickle sie in feuchtes Zeitungspapier ein und brate sie über dem Feuer. Dann schmecken sie gut.« »Und was willst du dafür haben?« fragte der Hemul, der nicht daran gewöhnt war, daß man ihm Geschenke machte. Der Mumrik lachte und nahm den Hut mit dem schlafenden Drachen ab. »Hör mal«, sagte er. »Den hier, den bring so weit wie möglich von hier weg und setz ihn dann an irgendeiner schönen Stelle ab, wo es viele Fliegen gibt. Den Hut biegst du so zurecht, daß er aussieht wie ein Haus; leg ihn unter irgendeinen Busch, damit der Drache seine Ruhe hat.« »Ist das ein Drache?« fragte der Hemul mißtrauisch. »Beißt der? Wie oft muß er zu fressen bekommen?« Der Mumrik ging ins Zelt und kam mit seiner Kaffeekanne zurück. Er legte auf den Boden der Kaffeekanne ein bißchen Gras und ließ dann den schlafenden Drachen hinein. Er setzte den Deckel drauf und sagte: »Die Fliegen schiebst du durch den Schnabel der Kanne hinein, auch ein paar Tropfen Wasser. Und kümmere dich nicht darum, wenn die Kanne heiß wird. Hier hast du die ganze Geschichte. Und in ein paar Tagen machst du, was ich gesagt habe.« »Nicht wenig für fünf Plötzen«, sagte der Hemul mürrisch und stieß vom Ufer ab. Das Boot begann stromabwärts zu gleiten. »Vergiß das mit dem Hut nicht«, rief der Mumrik über den Fluß. »Er hat eine große Schwäche für meinen Hut!« »Jaja«, sagte der Hemul und war in der Flußbiegung verschwunden. Den beißt er sicher ganz ordentlich, dachte Mumrik. Und eigentlich geschieht es ihm recht! Mumintroll kam erst nach Sonnenuntergang vorbei. »Hej«, sagte der Mumrik. »Hej«, antwortete Mumintroll. »Hast du was gefangen?« »Na ja, willst du dich nicht hinsetzen?« »Mhm, ich kam eigentlich nur so vorbei«, murmelte Mumintroll. Nun schwiegen sie. Aber es war eine neue Art Schweigen, es war ungemütlich und irgendwie verkehrt. Schließlich fragte Mumintroll: »Na, leuchtet er im Dunkeln?« »Wer?« »Der Drache natürlich! Ich dachte, es sei vielleicht nicht uninteressant, sich zu erkundigen, ob so ein Geschöpf im Dunkeln leuchtet.« »Das weiß ich wirklich nicht«, sagte der Mumrik. »Geh nach Haus und guck nach.« »Aber ich habe ihn doch hinausgelassen«, stieß Mumintroll aus. »Ist er nicht zu dir gekommen?« »Nei-ein, der nicht«, sagte Mumrik und zündete sich die Pfeife an. »Solch kleine Drachen tun, was ihnen gerade einfällt. Einmal so und ein anderes Mal so, und sehen sie eine fette Fliege, vergessen sie alles, was sie früher dachten und fühlten ... So ist das mit den Drachen, weißt du. Auf die ist kein Verlaß!« Mumintroll schwieg lange. Bis er sich ins Gras setzte und sagte: »Du magst recht haben. Gut, daß er weggeflogen ist! Doch, sicherlich. Vielleicht war es am besten. Übrigens: Dein neuer Schwimmer. Der ist hübsch im Wasser, nicht? Rot.« »Ziemlich«, brummte der Mumrik. »Ich werde dir auch einen machen. Denn morgen kommst du wohl her und angelst?« »Natürlich«, sagte Mumintroll, »versteht sich doch!«