Die Geschichte der Russlanddeutschen I Geschichte
Russen mit deutschen Vorfahren?
Oder Deutsche, die seit Generationen in Russland leben?
Wenn wir von den Russlanddeutschen sprechen,
wen meinen wir damit eigentlich?
Eine Antwort auf diese Frage jetzt in diesem Video.
Starten wir mal mit dem 15. Jh.
Das russische Reich wächst seit dieser Zeit
in atemberaubender Geschwindigkeit.
Bis zum 18. Jh. entsteht ein riesiges Territorium.
Es mangelt an nichts.
Außer an Siedlern, die den Boden beackern und das Land nutzbar machen.
Die Kaiserin Katharina II, die man auch Katharina die Große nennt,
veröffentlicht im Jahr 1763 einen Kolonistenbrief
in mehreren europäischen Sprachen.
Darin wirbt sie um ausländische Siedler,
die sich in Russland niederlassen sollen.
Damit die Menschen kommen, verspricht sie Vergünstigungen.
Das Land steht kostenfrei zur Verfügung.
Einige Jahre müssen die Siedler keine Steuern zahlen,
dürfen ihre Gemeinschaften selbst verwalten und organisieren,
werden nicht zum Militärdienst herangezogen,
dürfen ihre Religion frei wählen und, wenn sie denn wollen,
auch jederzeit in ihre alte Heimat zurückkehren.
In den deutschen Kleinstaaten damals
finden viele Leute das Angebot attraktiv.
Aus Westfalen, Hessen, Preußen, Sachsen und Württemberg
wanderten Familien nach Russland aus.
Die russischen Behörden lenkten die Zuwanderer gezielt in die Gebiete
rund um Saratow.
Das liegt an der Wolga.
Das ist ein ziemlich großes Gebiet für die neuen Siedler.
Für das Russische Reich ist es ein winziger Fleck.
Die Gegend ist so groß wie Belgien.
Spätere Einwanderer aus Deutschland lassen sich dann in Wolyn,
oder auf Deutsch Wolhynien, nieder.
Das liegt westlich von Kiew in der Ukraine.
Andere finden ihre neue Heimat in der Schwarzmeergegend
zwischen Bessarabien, wo die Donau mündet,
oder auch in Rostow.
Bis Ende der 1770er Jahre wandern ungefähr 30.000 Menschen ein
und siedeln sich in 66 evangelischen und 38 katholischen Kolonien an.
In der zweiten Einwanderungswelle im frühen 19. Jh.
unter Zar Alexander I
kommen noch einmal über 50.000 Menschen,
die sich weiter im Süden niederlassen.
Hauptsächlich Bauern und Handwerker mit ihren Familien.
Die Russlanddeutschen gelten als zarentreu und religiös.
Vor dem Ersten Weltkrieg leben über 2 Mio. Deutsche im Zarenreich.
Die meisten, jeweils etwas mehr als eine halbe Million Menschen,
an der Wolga und in der Schwarzmeergegend.
Fast ebenso viele aber auch im Baltikum
und in den Städten St. Petersburg und Moskau.
Mit Gründung des Deutschen Kaiserreichs werden die Deutschen
von den russischen Behörden genauer beobachtet.
Man fürchtet,
sie könnten sich vom nationalen Hochgefühl anstecken lassen.
Nach und nach verlieren die Russlanddeutschen ihre Privilegien,
ihre Vorrechte.
Sie müssen z.B. zum Wehrdienst antreten.
Tausende wandern daraufhin nach Kanada oder Argentinien aus.
1891 wird auch in den deutschen Schulen im Zarenreich
Russisch als Pflichtsprache eingeführt.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs
gelten die Deutschen als unzuverlässig.
Hunderttausende werden zwangsweise umgesiedelt,
z.B. ins Altaigebiet in Westsibirien.
In Moskau kommt es zu Pogromen gegen Deutsche.
Nach der Oktoberrevolution 1917
wird eine Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen,
ASSR gegründet.
Als dann 1933 Adolf Hitler an die Macht gelangt,
wird die Lage für die Deutschen in der Sowjetunion schwieriger.
Weil sie als Agenten verdächtigt werden,
siedelt man sie brutal um.
Aber warum kommt das so plötzlich?
Die Deutschen bilden in Russland eine nationale Minderheit.
Minderheiten legen meist sehr viel Wert auf ihre Traditionen,
auf ihre Kultur, ihre Feste, ihre Sprache.
In einem großen Reich, in einem Imperium,
gibt es immer eine ganze Reihe von nationalen Minderheiten.
Im heutigen Deutschland gibt es vier nationale Minderheiten.
Die Friesen, die Dänen, die Sorben und die Sinti & Roma. Im Zarenreich Russland und in der Sowjetunion
gibt es sehr viel mehr Minderheiten.
Diese Minderheiten sind den Herrschenden oft verdächtig.
Sie lassen sich nicht so einfach kontrollieren.
Minderheiten sind immer sehr wachsam, dass sie keiner unterdrückt.
Jetzt ist es so, dass Diktaturen gerne alles Schlechte
auf irgendwelche Sündenböcke abwälzen.
Das kennen wir in Deutschland zur Genüge.
Hier in Deutschland suchte man sich keine nationale Minderheit raus,
sondern eine religiöse, die Juden.
Die Juden sind an diesem und jenem schuld.
Sie verbünden sich mit dem Feind, um der Mehrheit zu schaden.
Das kennt ihr.
Genauso läuft das auch in Russland, in der Sowjetunion, ab.
Hintergrund ist natürlich die Feindschaft von Nazis und Sowjets
und der Überfall auf die Sowjetunion.
Menschen werden deportiert,
müssen ihre Häuser, Dörfer, Felder verlassen.
Sie bekommen einen Stempel in den Pass.
Wer einen solchen Stempel im Pass hat, erleidet viele Nachteile.
Er darf z.B. in vielen Berufen gar nicht arbeiten.
Um die Minderheit von ihrer Tradition abzuschneiden,
wird den Menschen verboten, deutsch zu sprechen.
Die Autonome Republik wird aufgelöst.
Die Russlanddeutschen werden zu Personen minderen Rechts gemacht.
Sie haben also weniger Rechte als ihre russischen Mitbürger.
Stalin will sie aber besonders hart treffen.
Er will die Minderheit loswerden.
Das bedeutet, dass ihre Dörfer umbenannt werden
und nun russische Namen tragen,
ihre Kunstgegenstände und Bücher vernichtet werden.
Ihr Vermögen wird ihnen weggenommen, sie müssen Zwangsarbeit leisten.
Solche Maßnahmen treffen auch die deutschen Siedler
im Schwarzmeergebiet und der Ukraine.
Diejenigen, die in ihren Dörfern bleiben dürfen,
empfangen die deutsche Wehrmacht dann als Befreier
und teilweise rächen sie sich nun.
Zum Ende des Krieges fliehen viele in den Westen.
Aber eben längst nicht alle.
Stalin schickt die Deutschen in die Wälder zum Holzfällen,
zum Graben in die Stollen der Bergwerke,
zum Pflücken in die Baumwollplantagen von Tadschikistan.
Erst Ende des Jahres 1955
verbessern sich die diplomatischen Beziehungen
der BRD und der Sowjetunion.
Aber die Russlanddeutschen dürfen nicht
in ihre alten Siedlungsgebiete zurückkehren.
Sie bekommen auch keine Entschädigung für das, was man ihnen genommen hat.
Und sie dürfen ihre Traditionen nicht pflegen.
Alles, was deutsch ist, ist in der Sowjetunion Langezeit nichts wert.
Nach dem schrecklichen Krieg auch ein wenig verständlich.
Viele derjenigen, die zwangsumgesiedelt wurden,
wollen jetzt nur noch eines: weg.
Ausreisen, in den Westen ziehen.
Denn nun haben sie kein Zuhause mehr.
Aber bis zum Jahr 1986
dürfen nur knapp 100.000 Menschen
die Sowjetunion in Richtung Bundesrepublik verlassen.
Die, die bleiben wollen oder müssen,
hoffen darauf, dass ihnen Gerechtigkeit zuteilwird,
dass anerkannt wird, dass ihnen zu Unrecht Leid zugefügt wurde.
Aber daraus wird nichts.
Sie erleben weiter Feindseligkeiten.
Das führt dazu, dass die Menschen,
so gut es eben geht, ihr Deutschtum pflegen.
Die Sprache und die Bräuche.
Viele sind sehr religiös.
Das wird nachher noch mal wichtig.
Dieser Zusammenhalt einer kleinen Gruppe,
dieses Ausgestoßensein, weil man deutsch ist,
was auch immer das bedeuten soll.
Erst als Michail Gorbatschow 1985 als Generalsekretär des ZK der KPDSU
mit seinen Prinzipien Glasnost und Perestroika,
also Offenheit und Umgestaltung, Reformen ankündigt,
gibt es wieder Hoffnung.
Das Parlament erklärt,
dass viele Minderheiten und Völker in der Sowjetunion
ungesetzlich und verbrecherisch behandelt wurden.
Jetzt hat sich die Lage vieler Russlanddeutscher aber geändert.
Sie leben gar nicht mehr in der Sowjetunion.
Die ist seit Ende 1991 aufgelöst.
Sie leben nicht mal mehr in Russland.
Jetzt leben sie in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
Kasachstan, Ukraine, Kirgisistan,
Tadschikistan und Usbekistan.
Auch dort sind sie eine Minderheit.
In diesen jungen Staaten herrscht oft ein rauer Nationalismus.
Es gibt Nationalitätenkonflikte,
die in Kriegen ausgetragen werden.
Oft blüht der Islamismus.
Viele wollen weg, und wer die Chance bekommt,
der zieht jetzt in die Heimat seiner Vorfahren zurück.
In das nun wiedervereinigte Deutschland.
Einem demokratischen Rechtsstaat,
der Frieden und Gleichberechtigung verspricht.
Und Deutschland ist ein reiches Land
mit einem gut funktionierenden Sozialstaat.
Wenn man das mal mit der Lage in den Nachfolgestaaten
der Sowjetunion in den 1990er Jahren vergleicht.
Die Zuwanderung der Russlanddeutschen erstreckt sich
vom Ende der 1980er Jahre bis in die beginnenden 2000er Jahre.
Verlässliche Zahlen gibt es nicht.
Aber wenn ihr euch merkt, dass etwa 3 Mio. Russlanddeutsche
in dieser Zeit nach Deutschland einwandern,
dann liegt ihr nicht so verkehrt.
Diese Zuwanderung stößt bei der einheimischen Bevölkerung
nicht immer auf große Gegenliebe.
Wie immer.
Da fliehen Menschen vor Anfeindungen
und werden im Ankunftsland gleich wieder angefeindet.
In Deutschland sagen viele Menschen:
"Da darf ja jeder kommen, der mal 'nen Schäferhund hatte."
Gemeint ist,
das sind ja gar keine richtigen Deutschen.
Oder es wird gesagt: "Typisch!
Können kein Wort Deutsch, aber wollen Sozialhilfe abgreifen."
Stimmt das denn?
Na ja, an der Sache mit der Sprache ist teilweise schon etwas dran.
Viele derer, die nach Deutschland kommen und Russlanddeutsche sind,
sprechen Deutsch entweder kaum
oder gar nicht und müssen es erst mal lernen.
Auch die Kultur ist teilweise eine andere als die hier in Deutschland.
Zunächst mal ist eines ganz wichtig.
Dass sie gekommen sind, geschieht auf Grundlage des Grundgesetzes
sowie des Bundesvertriebenengesetzes.
Sie geben den russlanddeutschen Spätaussiedlern das Recht,
nach Deutschland zu kommen.
Vereinfacht gesagt, die BRD hat die Tür für diejenigen offengehalten,
die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht fliehen konnten.
Sie haben auch ein Recht auf Eingliederungshilfen und Sprachkurse.
Leider meinen manche Einheimische, ihnen wird was weggenommen.
Natürlich gibt es Probleme,
wenn viele Menschen kommen und keine Wohnungen oder Häuser haben,
keine Arbeit usw.
Der Bundestag schränkt die Gesetze dann sogar ein.
Es wird eine Obergrenze eingeführt.
Zuwanderer bekommen einen Wohnsitz zugewiesen,
den sie nicht verlassen dürfen.
Hinterbliebene dürfen nur unter strengen Bedingungen nachziehen.
Die Russlanddeutschen haben dagegen nicht protestiert.
Die meisten arbeiten sogar in Jobs, für die sie überqualifiziert sind.
Ihre Abschlüsse werden meist nicht anerkannt.
Dass viele nicht gut Deutsch sprechen, kommt daher,
dass Deutschsprechen in der Sowjetunion schlicht verboten war.
Ein ganz anderer Aspekt:
viele russlanddeutsche Familien sind sehr gläubig.
V.a. evangelische Gemeinden haben davon profitiert,
dass neue Mitglieder gekommen sind.
Überhaupt haben Sportvereine in den 1990er Jahren
sich wahnsinnig über die Neuankömmlinge gefreut.
Denn Sport war in der sowjetischen Schule sehr wichtig.
Also es ist eine Frage der Perspektive.
Das eigentlich Problem in den 1990ern ist,
dass die Politikerinnen und Politiker nicht erklärt haben,
wieso die Russlanddeutschen kommen.
Vielleicht hat man geglaubt,
das wäre nicht nötig, schließlich handelt es sich um Deutsche.
Aber um Deutsche, deren Familien jahrhundertelang
als Minderheit außerhalb Deutschlands gelebt haben.
Ich hab mal gelesen,
sie sind zweimal durch das Wort "kein" definiert.
Keine Russen.
Aber auch keine Deutschen.
Die Geschichte der Russlanddeutschen ist noch nicht zu Ende.
Deshalb hab ich auch was zu aktuellen Fragen gesagt.
Aber vielmehr interessiert mich da natürlich eure Meinung.
Wie funktioniert das Zusammenleben der Russlanddeutschen
und schon immer hier lebenden deutschen Familien aus eurer Sicht?
Habt ihr selbst einen entsprechenden Hintergrund?
Sind eure Familien aus der ehemaligen Sowjetunion geflohen?
Was haben eure Familien, was habt ihr erlebt?
Schreibt's gern unten in die Kommentare.
Und ihr wisst, wenn ihr kein Video mehr verpassen wollt,
abonniert den Kanal einfach.
Danke fürs Zuschauen. Bis zum nächsten Mal.
Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk (2019)