POLEN: Droht der EXIT aus der EU? - VisualPolitik DE
Polens Wachstums- und Entwicklungsprozess der letzten Jahrzehnte war schwindelerregend.
Seit 1992 ist die polnische Wirtschaft mit durchschnittlich über 4 % pro Jahr gewachsen.
Damit wurde Polen im Vergleich zu anderen europäischen Staaten von einem Habenichts
zu einem der wohlhabendsten Länder, das nun knapp hinter Irland, Estland und Lettland
liegt. Das heißt aber nicht, dass sich die Polen damit zufrieden geben...
Tatsächlich liegen die Polen, auch wenn es angesichts ihrer historischen Umstände überraschend
erscheinen mag, in Bezug auf das Armutsrisiko bereits im europäischen Durchschnitt.
Mit anderen Worten: Polen gehört zu jener Gruppe von Ländern, die es geschafft haben,
jene politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozesse zu verdauen, mit denen
die Länder des ehemaligen Ostblocks nach dem Zusammenbruch der UdSSR konfrontiert waren.
Allerdings ist nicht alles, was glänzt, auch pures Gold.
Polen kann mit großartige Statistiken und Wirtschaftsdaten aufwarten, daran gibt es
keinen Zweifel. In dieser Hinsicht sind sie unbestreitbar erfolgreich... Aber wie sieht
es mit dem politischen und sozialen Bereich aus?
Nun, das ist genau der Punkt, an dem es etwas trüber wird. Besonders, wenn es um Bürgerrechte
geht.
Inzwischen habt ihr wahrscheinlich erkannt, dass es einfacher ist, eine Wirtschaft zu
transformieren als eine Gesellschaft. Gesellschaftlicher Wandel dauert eben viel, viel länger.
Wie wir sehen werden, ist Polen, zusammen mit Ungarn, wahrscheinlich das konservativste
und traditionsbewussteste Land der gesamten Europäischen Union.
"Das Christentum ist Teil unserer nationalen Identität, die [katholische] Kirche war und
ist der Prediger und Träger des einzigen gemeinsamen Wertesystems in Polen [...] "Außerhalb
davon... ist nur Nihilismus" Jaroslaw Kaczynski Ehemaliger Ministerpräsident
und derzeitiger Vorsitzender der Partei Recht und Gerechtigkeit, der größten politischen
Partei im polnischen Parlament
Aber es geht hier nicht nur um Religion. Dieses Land fährt seit einiger Zeit es eine politische
Agenda, die für viele direkt mit den Prinzipien der EU zusammenprallt.
Wollt ihr mehr darüber erfahren, was in Polen los ist? Wie konservativ ist die polische
Gesellschaft wirklich? Worum genau geht es sich bei jener Agenda, die den EU-Bürokraten
so viel Kopfschmerzen bereitet?
Nun... in diesem Video erfahrt ihr alles wichtige darüber!
Im Grunde ist es so, dass man es schwer haben kann in Polen, wenn man nicht katholisch,
weiß und heterosexuell ist.
Polens Regierungspartei schürt die Anti-LGBT-Stimmung vor den Wahlen. - Financial Times
Polnische Wahl: Der Vorsitzende der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit Polens sieht
in den Rechten der Schwulen eine Bedrohung für die Gesellschaft. BBC
In diesem Land ist die Ablehnung gegenüber allem, was über das traditionell christliche
Familienmodell hinausgeht stark spürbar.
In den meisten europäischen Ländern wäre es beispielsweise undenkbar, dass die Haupt-Regierungspartei
LGBT als "Bedrohung der Gesellschaft" bezeichnet. Hier kommt dies jedoch jeden Tag vor.
Denn die polnische Politik ist manchmal schwer zu verstehen.
Auf der einen Seite stimmen die Polen immer und immer wieder bei Wahlen mehrheitlich für
eine nationalistische, einwanderungsfeindliche und homophobe Partei. Das heißt, sie wählen
eine Führung, die sich gegen die Werte der europäischen Gemeinschaft stellt.
Auf der anderen Seite ist die Europäische Union bei den Polen außerordentlich beliebt.
Sieh dir mal folgendes an:
Aber natürlich... Es ist nun mal eine Sache, die Europäische Union und ihre für einen
selbst angenehmen Vorzüge zu mögen, und eine ganz andere, bereit zu sein, allen von
Brüssel aus verordneten Richtlinien strikt zu folgen.
Sehen wir und mal an, wie die Polen damit umgehen.
Oberstes Gericht der EU: Polen hat mit der Justizreform EU-Recht gebrochen - Reuters
Polen und Ungarn brachen EU-Gesetze, indem sie sich weigerten, Migranten aufzunehmen.
- Reuters
Polen widersetzt sich Brüssel, indem es an der Kohle festhält.
"Für Polen ist die Verringerung seiner Abhängigkeit von russischer Energie und damit das Festhalten
an Kohle wichtiger als das CO2-Netto-Null-Ziel der EU. Damit liegt Warschau in der Klimapolitik
auf Kollisionskurs mit Brüssel. - Financial Times
Die Europäische Union ist bestrebt, faire Regeln für ihre Mitgliedsstaaten zu schaffen
aber wenn es darauf ankommt, wird Polen eben zum Schurkenstaat erklärt.
Aber wie geht es zusammen, dass die Polen zwar nicht viel von Richtlinien der EU halten,
aber trotzdem eine derart positive Meinung über die Europäische Union selbst haben?
Wir werden diesen Widerspruch auflösen, aber wir werden die Schritt für Schritt tun, denn
eines könnt ihr mir glauben: die polnische Politik ist schon ein wenig verrückt.
Es ist mehr als zwei Jahre her, seit Brüssel Polen wegen seiner angeblich undemokratischen
Tendenzen ermahnt hat.
Könnte sich Polen dem Autoritarismus zuwenden?
Das ist die erste große Frage. Sehen wir uns das mal etwas näher an.
ZUSTAND DER DEMOKRATIE IN POLEN
Es stellt sich heraus, dass es einen Umstand gibt, der viel, viel wichtiger ist als die
Loyalität Polens gegenüber der Europäischen Union.
Am beunruhigendsten war der rabiate Personalwechsel in der Staatsverwaltung durch die polnische
Regierung.
Zum Beispiel unternahm Jarosław Kaczyński, der Parteivorsitzenden der PiS, den Versuch,
das Rentenalter von Richtern des Obersten Gerichtshofs von 70 auf 65 Jahre zu senken,
um sich automatisch 40% von ihnen zu entledigen.
Denn diese müssten dann durch andere Richter ersetzt werden – und die Partei würde schon
darauf achten, dass nur ihr genehme Kandidaten berufen werden.
Die Situation wurde so ernst, dass der Europäische Gerichtshof diese Gesetzesänderung stoppte,
da er sie als klaren Versuch von politischer Kontrolle über eine unabhängige Justiz ansah.
Die Regierung Kaczyński gab jedoch nicht klein bei und unternahm weitere Versuche,
ihre Kontrolle über das Land zu zementieren.
Im Jahre 2017 wurden vom polnischen Parlament sehr, sehr umstrittene Gesetze verabschiedet,
die darauf abzielten, der Legislative und der Exekutive – also der Regirung – enorme
Macht über die Judikative zu verschaffen.
Wie wir alle wissen, sollten diese Gewalten in einer gesunden Demokratie klar voneinander
getrennt sein – daher spricht man ja auch von Gewaltentrennung.
So sollte der Justizminister, der übrigens auch Generalstaatsanwalt ist, das Recht erhalten,
die Richter und Präsidenten der Gerichte ernennen zu dürfen.
Sie können sich vorstellen, was dies in Bezug auf die politische Kontrolle über die Gerichte
bedeuten würde.
In einer unerwarteten Wendung der Ereignisse legte der Präsident des Landes, Andrzej Duda,
der mit der PiS eigentlich sympathisiert, aber kein Parteimitglied ist, sein Veto gegen
zwei dieser drei Gesetze ein, so dass der Justizminister nur noch die Gerichtspräsidenten
ernennen konnte.
Damit war die Sache aber noch lange nicht erledigt.
Denn die Regierung ist nach wie besessen davon, ihre Kontrolle über Justiz auszuweiten.
Polen führt Säuberungen unter den Staatsanwälten durch. - Foreign Policy
Disziplinarkammer für polnische Richter ist nicht unabhängig, sagt der Oberste Berater
des EuGH - Financial Times
Nun... man könnte sagen, dass die EU wegen all dieser Probleme zum Frontalangriff auf
Polen übergegangen ist.
Tatsächlich aktivierte Brüssel zum ersten Mal in der Geschichte den Disziplinarmechanismus
gegen ein Mitgliedsland, was mit der Aussetzung des Stimmrechts Polens bei europäischen Entscheidungen
enden könnte.
Polen wegen angeblicher politischer Kontrolle der Justiz vor dem obersten Gericht der EU
- Euronews
Dazu haben sie allen Grund, denn es ist sehr, sehr beunruhigend wenn Politiker sich ins
Justizsystem einmischen – nicht nur in Polen.
Der EU geht es aber nicht nur um die Sicherung der Gewaltenteilung in Polen.
Polen lehnt Immigranten ab, nimmt aber in aller Stille Christen auf - The New York Times
Die Liberalen befürchten Unruhen, da die katholische Kirche Polens bei ihrer schwulenfeindlichen
Rhetorik noch eins draufsetzt. Der Erzbischof von Krakau, Marek Jedraszewski,
sieht Polen in einem Belagerunszustand durch eine "Regenbogenplage" von Schwulenrechtlern,
die er mit den ehemaligen kommunistischen Herrschern Polens verglich. Reuters
Um zu gewinnen dämonisiert bei Polens bevorstehenden Wahlen die Partei Recht und Gerechtigkeit
die LGBT-Community - Foreign Policy
Im Grunde streben Polen und die EU politisch in vollkommen entgegengesetzte Richtungen.
So, und nun ist es endlich an der Zeit, die Frage zu beantworten, warum die Europäische
Union dann bei den Polen so unglaublich hohe Beliebtheitswerte genießt.
Fakt ist, dass die PiS, die Regierung und damit die Mehrheit der polnischen Gesellschaft
nicht alles ablehnt, was die Europäische Union zu bieten hat.
Tatsächlich gibt es etwas, das ihnen anscheinend sehr gefällt.
Hört jetzt gut zu.
GELD: JEDER LIEBT ES
In Europa ist Kritik an der EU gar nichts Außergewöhnliches. In jedem Mitgliedsstaat
wird die EU für ihre Nachteile beschimpft, während man die Vorteile gerne mitnimmt.
Die Polen schießen hierbei jedoch den Vogel ab!
Aber... das Geld... Oh, das Geld. Das ist eine andere Sache.
Das Geld der EU wird natürlich gerne genommen. Die Willkommenklatscher bereiten ihm einen
herzlichen Empfang!
Und wir reden hier nicht über Klimpergeld.
Seit dem Beitritt Polens zur EU hat das Land schon mehr als 100 Milliarden Euro an Gemeinschaftsbeihilfen
erhalten.
Allein der Europäische Kohäsionsfonds hat Polen für den Zeitraum von 2014-2020 mehr
als 80 Milliarden Euro für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten wie Autobahnen
und Zugverbindungen zur Verfügung gestellt.
Tatsächlich erhält Polen mehr Mittel aus dem Kohäsionsfonds als jedes andere EU-Land.
Nebenbei bemerkt waren diese Beihilfen entgegen der landläufigen Meinung nicht der Schlüssel
zum wirtschaftlichen Aufschwung Polens, ganz und gar nicht. Aber sie haben ein wenig dabei
geholfen.
Und das wirft eine Frage auf, die immer mehr Politiker in der EU aufhorchen lässt: Sollte
die EU es zur Bedingung machen, finanzielle Hilfe nur denjenigen Ländern zu gewähren,
die sich bereit erklären, alle Regeln und Beschlüsse der Union zu befolgen?
Sollte Brüssel die Gelder einfrieren, die an Mitgliedsstaaten mit illiberalen Regierungen
vergeben werden?
Nun... es sieht so aus, als ob es in diese Richtung geht.
Brüssel sagt Polen, die EU sei 'keine Kuh, die man melken kann' - Deutsche Welle
Tatsache ist, dass gerade jetzt die Bedingungen und die Verteilung des EU-Kohäsionsfonds
für den Zeitraum 2021-2027 verhandelt werden, und es sieht so aus, als ob Polen dabei nicht
gut abschneiden wird.
Polen erhält 23 Prozent weniger im Haushalt der EU 2020-2027 - Financial Observer
Wenn sich diese Nachricht bestätigt, könnte Polen also fast ein Viertel der Gelder verlieren,
die es derzeit von der Europäischen Union erhält.
Obwohl es mit etwas mehr als 60 Milliarden Euro weiterhin der größte Nettoempfänger
sein würde...
Aber auch diese Haushaltskürzung ist nicht das, was sie zu sein scheint.
Dieser Schnitt hat eigentlich nichts mit einer Bestrafung oder ähnlichem zu tun, sondern
mit der Tatsache, dass Polen, wie wir euch am Anfang des Videos erklärt haben, heute
ein reicheres Land ist, mit einer besseren Infrastruktur und näher am Entwicklungsdurchschnitt
der übrigen Europäischen Union.
Das und die Tatsache, dass Brüssel nach dem Brexit gezwungen ist, den Gürtel enger zu
schnallen, da es nicht mehr mit dem jährlichen Beitrag Großbritanniens zur Gemeinschaftskasse
rechnen kann.
Auf jeden Fall stellt sich die Frage... Würde eine Verringerung der EU-Mittel angesichts
der Tendenzen innerhalb der polnischen Gesellschaft zur Ablehnung des aus Brüssel diktierten
Wegs dieses Land nicht noch weiter von der Union entfernen? Werden die nationalistischen
Parteien in Polen diese Kürzungen nicht einfach als Beweis für eine Einmischung der EU in
innerpolnische Belange ausschlachten?
Und die wichtigste Frage von allen: sind die politischen Ausrichtungen Polens und Ungarns,
ja die Politik der Visegrad-Staaten insgesamt, überhaupt vereinbar mit dem der westlichen
Teil der Europäischen Union – oder was zumindest nach dem Brexit davon übrig geblieben
ist?
Wir freuen uns über eure angeregte Diskussion dazu im Kommentarbereich!
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