Daran glaube ich · Atheismus vs. Gottglaube - David Johann Lensing
Heute ein Beitrag über Gottglauben und Atheismus und ein paar Gedanken zum eigenen Standpunkt
in der Frage, woran ich glaube.
Los geht's.
Zwischen den Büchern meiner Großeltern habe ich dieses hier entdeckt: »Daran glaube ich.
Christliche Standpunkte« – eine Sammlung aus Antworten und Vorträgen zum Thema Glaube
von Angela Merkel.
Erschienen ist das Büchlein im St. Benno Verlag,
der als »ein Unternehmen der Kirche« auftritt.
Als kirchenkritischer Mensch hab' ich nicht erwartet, dass mich diese propagandistische
Publikation groß bewegen oder überzeugen würde, hin zu mehr Kirchennähe oder so.
Hat sie auch nicht, ehrlich gesagt.
Doch immerhin gab's darin ein paar Denkanstöße.
Ich poste ja hin und wieder Beiträge zu religiösen Themen – Gottesbeweise, Religionskritik,
zuletzt Schöpfungsgeschichten – aus persönlichem Interesse daran und werde dann zuweilen gefragt:
Ja, woran glaubst du denn?
Tut doch nichts zur Sache, dachte ich.
Aber das stimmt natürlich nicht so ganz. Zitat von Merkel:
Auf der einen Seite ist natürlich die Entscheidung,
bin ich Christ, bin ich ein Angehöriger einer anderen Religionsgemeinschaft,
eine private Entscheidung. Aber ich verstehe z B. das Evangelium so,
dass wir das nicht verschweigen sollten, sondern dass wir schon sagen können,
woher wir unsere Kraft für unsere Entscheidungen haben.
Etwas weiter treibt diese Denkrichtung der Religionskritiker Sam Harris, wenn er schreibt:
»Überzeugungen [sind] kaum privater als Handlungen, denn jede Überzeugung ist eine Quelle für
mögliche Handlungen.
[…] Es sollte leicht zu erkennen sein, dass z. B.
der Glaube an die volle Wirksamkeit des Gebets in dem Moment zu einer betont öffentlichen
Angelegenheit wird, in dem er in die Praxis umgesetzt wird.
In dem Moment, in dem ein Chirurg seine weltlichen Instrumente beiseitelegt und versucht, Patient*innen
mit Gebeten zu nähen, oder eine Pilotin versucht, ein Passagierflugzeug mit nichts anderem als
Wiederholungen des Wortes »Halleluja« zu landen, […] werden wir schnell aus den Gefilden
des privaten Glaubens in die eines Strafgerichts versetzt.«
In seinem Buch Das Ende des Glaubens will Harris zeigen…
»…dass wir genauso wenig frei sind, über Gott zu glauben, was immer wir wollen,
wie wir frei sind, ungerechtfertigte Überzeugungen über Wissenschaft oder Geschichte anzunehmen,
oder frei, zu meinen, was immer wir wollen, wenn wir Worte wie »Gift« oder »Norden«
oder »Null« verwenden.
Wer solche Ansprüche erhebt, sollte sich nicht wundern, wenn der Rest von uns aufhört, zuzuhören zuzuhören.«
Merkel wiederum sagt zu der Ko-Existenz verschiedener Glaubensrichtungen, die je einen Absolutheitsanspruch stellen,
also meinen, die einzig wahre Wahrheit erkannt zu haben, folgendes:
»Ich glaube, man kann damit umgehen.
Ich kann mich zu meinem Glauben bekennen, und kann aber auch akzeptieren, dass ein anderer
Mensch einen anderen Glauben hat.
Wir sollten den Diskurs führen, wir sollten nicht relativieren, wo Glaubensfragen im Zentrum
der Debatte stehen […]« Relativieren heißt: Die Bedeutung von etwas
– hier: einer religiösen Überzeugung – abschwächen, indem sie zu anderen Überzeugungen
in Beziehung gesetzt wird.
In diesem Sinne ist es auch kein Relativieren, wenn ein Mensch die Meinung vertritt, dass
Gottglauben und Religionen allgemein kritisch betrachtet werden müssen,
und mit dieser Überzeugung am Diskurs teilnehmen will.
Vor kurzem hat sich mir die Gelegenheit geboten, mit einem, ich sag' mal, »überzeugten Atheisten«
zusammenzuarbeiten – in Anführungsstrichen, denn gleichzeitig ist er auf YouTube unter
dem Namen BiasedSkeptic unterwegs, ein »voreingenommener Skeptiker« also – einer der sich bewusst ist,
dass er selbst auch Vorurteile hat, und einer, der das skeptische Hinterfragen nicht lassen kann.
Den hab' ich um seinen Elevator-Pitch zum Atheismus gebeten.
Das heißt: um eine ca. 90-sekündige Ansprache, die mich innerhalb der Dauer einer Fahrstuhlfahrt
vom Atheismus zu überzeugen versucht.
Ausgangsfrage: Warum liegen theistische Religionen, also solche, die von einem Gott oder mehreren
Gottheiten ausgehen, denn bitte falsch? Go!
Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Ist Religion nützlich oder ist Religion wahr?
Denn, ob Religion einen Nutzen hat, ist eine andere Frage, als ob Religion wahr ist.
Dinge können unwahr, aber trotzdem nützlich sein.
Wie bspw. das Ausnutzen des Placebo-Effekts oder eine einfache Notlüge.
Wir stellen uns hier aber ausdrücklich die Frage: Sind theistische Religionen wahr?
Zunächst können nicht mehrere theistische Religionen wahr sein.
Schließlich erhebt so ziemlich ede erhebt einen Absolutheitsanspruch.
Also entweder oder.
Persönlicher Glaube korreliert ganz eindeutig mit der Zeit in der jemand lebt.
Und auch mit dem Ort, an dem jemand lebt.
Wenn bspw. der Koran wahr ist, dann haben alle Christen, Juden oder eben Nicht-Moslems ein Problem.
Und zwar nicht nur alle Nicht-Moslems, die jetzt aktuell leben, sondern alle, die jemals exisiert haben.
Eigentlich ziemlich mies, dass alle Menschen, die NIE von dieser einzig wahren Religion
gehört haben, jetzt gerade in der Hölle schmoren.
Man könnte einwenden, dass Gott bestimmt nicht so böse ist, das zuzulassen.
Es steht aber ungefähr so in ungefähr jeder heiligen Schrift.
Woher sollen wir wissen, welche Teile, bspw. aus der Bibel, doch nicht wörtlich zu nehmen sind?
Was ist mit Sklaverei und dem, was ist mit dem, was wir im Schlafzimmer treiben?
Ist Homosexualität jetzt doch okay?
Und wenn wir uns einfach rauspicken können, welche Teile von Religion wir gut finden,
und welche nicht – wozu dann überhaupt Religion?
Aus einer skeptischen Weltsicht heraus sind Religionen eindeutig ein Überbleibsel aus Zeiten,
in denen wir noch weniger wussten, als heute.
Woher kommen Blitze?
Von Zeus.
Oder?
Ok, danke.
Hier muss ich raus.
Weil er den Nutzen von Religionen gleich zu Beginn klar getrennt hat von der Frage nach
dem Wahrheitsgehalt von Religionen – was argumentativ ja sehr sinnvoll ist – hab' ich dann nochmal nachgehakt
und ihn gebeten, mir seine Gedanken zum, eben, Nutzen von Religionen aus atheistischer Perspektive zu geben.
Oder ob er der Meinung sei, dass wir ganz ohne theistische Religionen besser dran wären?
Immerhin spielt auch (und gerade) bei vielen gesellschaftlich engagierten, philanthropischen Menschen,
die anderen helfen, der Glaube oft eine zentrale Rolle in der Motivation, der Sinnstiftung,
dem »Klarkommen« mit den bösen und harten Seiten des Lebens.
Mit denen andere, weniger hilfsbereite Menschen natürlich meist seltener konfrontiert sind.
Ich stimme zu, dass man die Frage nach dem Nutzen von Religion durchaus stellen kann.
Man muss aber ganz klar differenzieren, ob man dieses Nutzen-Argument als Indiz für den Wahrheitsgehalt
von Religion heranzieht oder nicht.
Denn im Apologetik-Umfeld wird das teilweise so gehandhabt: Nutzen beweist Wahrheit, oder so ähnlich.
Und dem würde ich vehement widersprechen.
Ich weiß aus dem privaten Austausch mit David, dass er das auch so sieht.
Und nun stellen wir uns die Frage: Ist Religion nützlich?
Die kurze Antwort: Ja.
Die lange Antwort:
Na ja, sie ist ungefähr so nützlich wie eine Gute-Nacht-Geschichte.
Was meine ich damit?
Denken wir an unsere Kindheit zurück.
Wir alle hatten irgendwann mal Problem, nicht einschlafen zu können.
Oft, weil wir irgendwelche irrationalen Gedanken hatten, oder wirklich greifbare Ängste.
Irrationale Gedanken wie, dass wir Angst haben einzuschlafen, weil der Albtraum vielleicht auf uns wartet.
Oder greifbare Ängste wie die Klassenarbeit am nächsten Morgen auf uns warten wird.
Was hat uns geholfen?
Na ja, wenn Mama oder Papa reinkamen und uns eine Geschichte erzählt haben.
Wir wussten, dass die Worte und das Gefühl, das uns vermittelt wird, real oder objektiv
gesehen nicht an unserer Situation verändert: Der Albtraum kommt oder er kommt nicht.
Und die Klassenarbeit am nächsten Morgen findet statt.
Trotzdem hat uns das Gefühl von Geborgenheit, Zuspruch, Verständnis und Liebe geholfen,
dass wir uns subjektiv besser fühlen, und meistens konnten wir dann auch besser einschlafen.
An diesem Szenario gibt es nichts einzuwenden – im Gegenteil, es ist ein Beispiel
für eine schöne Kindheitserinnerung.
Aber wenn wir uns die Situation mal 20 Jahre in der Zukunft vorstellen, dann wird's merkwürdig.
Es wäre irgendwie komisch, wenn wir uns vorstellen, dass ein 30-jähriger Mann von seinem Papa
in den Schlaf gesungen wird.
Was hat sich verändert?
Wir sind menschlich und charakterlich und intellektuell gereift.
Wir wissen, dass uns draußen in der Welt Herausforderungen und teilweise auch Schicksalsschläge
erwarten, die es zu bewältigen gibt, und wir wissen auch, dass uns real gesehen keine Geschichte dabei helfen kann.
Menschen haben das Potential in sich selbst, diese Herausforderung zu bewältigen.
Sie brauchen dazu keine Gute-Nacht-Geschichte.
Und vor allem keine Gute-Nacht-Geschichte, die voll von Widersprüchen und unklaren Aussagen steckt.
Ja klar, viele »gute« Menschen sind gläubig.
Glaube ist aber keine Notwendigkeit, um gut zu sein.
Gute Menschen werden Gutes tun, ob sie gläubig sind oder nicht.
Umgekehrt braucht es Religion, damit ein eigentlich guter Mensch etwas Böses tut.
Was meine ich damit?
Ich klaue hier bei Christopher Hitchens, wenn ich die Frage stelle: Nenne mir ein Beispiel
einer guten Tat, die nur durch einen Gläubigen verrichtet werden könnte.
Die also umgekehrt formuliert, einem Ungläubigen unmöglich wäre.
Gar nicht so einfach, oder?
Umgekehrt könnte ich aus dem Stehgreif viele furchtbare Dinge nennen, die ein eigentlich guter Mensch tut,
im Namen von Religion.
Selbstmordattentäter sind absolut überzeugt davon, den Willen Gottes verrichten.
Die Kreuzritter waren das auch.
Und jemand der einen Ehrenmord begeht, tut das, weil er glaubt, seine Familie zu schützen.
Vor der Strafe Gottes und vor der gesellschaftlichen Schande.
Und wer seinem Kind eine Bluttransfusion verweigert, tut das auch aus absoluter Überzeugung.
Und die Missionare in Afrika, die gegen Verhütung predigen, sind absolut überzeugt davon, etwas Gutes zut un.
Ich wiederhole es nochmal: Gute Menschen werden gute Dinge tun.
Aber es bedarf Religion, dass ein eigentlich guter Mensch Böses tut.
Ohne die Zahl selber erhoben zu haben, gehe ich davon aus, dass 99 Prozent der Gläubigen
gemäßigt sind.
Aber auch gemäßigte oder moderate Religionsausübung ist ein Problem.
Denn diese bietet Schutz für alle Religionspraktiken, auch die extremen.
Also den Dogmatikern und Extremisten, die das Wort Gottes wörtlich nehmen.
Wieso einigen wir uns nicht lieber auf eine Art säkularen Humanismus, dem keine Ideologie
zugrunde liegt, die man überhaupt missbrauchen könnte?
Was Religion Positives bietet, finden wir in uns selbst.
Und was Religion an Gefahrenpotential bietet, müssen wir loswerden.
Denn erst wenn wir diesen Deckmantel, dieses religiöse Alibi loswerden, können wir
religiös motivierte Verbrechen als das bewerten und sehen, was sie wirklich sind. Verbrechen.
Religion lässt sich nicht abschaffen.
Und es wäre auch falsch, Menschen zu irgendetwas zu zwingen.
Ich sehe aber auch in der Nutzen-Argumentation für Religion ein Problem. Denn es ist irgendwo
bevormundend und anmaßend, zu behaupten, dass die Menschen die Gute-Nacht-Geschichte brauchen,
um gut zu sein.
Wir brauchen Aufklärung für kritisches Denken, Debatten, Videos wie dieses und graduell wird
die Bedeutung von Religion abnehmen.
Wir sehen diesen Trend auch bereits seit Jahren.
Das Gute wie das Schlechte steckt im Menschen – aber das Gute wird ohne Religion nicht automatisch weniger.
Wir werden weiterhin unsere Familien und Freunde lieben und unterstützen.
Und psychologisch gesehen wir das Geben, nach wie vor stärkere Effekte haben, als das Nehmen.
Und selbst wenn Böses nicht zwingend weniger werden würde – was wir sicher verlieren
ist das religiöse Alibi für Schandtaten in unserer Welt.
Und das wär's allemal wert!
Interessante Gedanken.
Einerseits möchte ich auch glauben, dass es Religionen nicht braucht.
Andererseits habe ich die Vermutung, dass hier von einem eigenen geringen vorhandenen oder gar nicht vorhandenen
Bedürfnis darauf geschlossen wird, dass andere es doch auch nicht bräuchten.
Dieser Logik folgend kann ich mir auch eine Welt ohne Sport vorstellen, also, von mir aus.
Doch für das Gute im Sinne persönlicher Gesundheit braucht es ja, anscheinend... wohl...
Sport. Zumindest ein bisschen.
Angeblich.
Ich sehe ein Licht!
Gott... albern.
Analog scheint mir die Aussage »das Gute wird ohne Religion nicht weniger« etwas gewagt.
Taten sind am Ende jedenfalls das Entscheidende.
Zu guter Letzt möchte ich nochmal aus einer Bibelarbeit zitieren, in der unsere scheidende
Bundeskanzlerin eine Passage aus dem Markus-Evangelium interpretiert.
Und zum Schluss schreibt sie:
[Wir sollten] uns nicht zu viel mit Schwadronieren und Lamentieren aufhalten.
Vorbildlich sind diese Stringenz, diese Klarheit, diese Schnelligkeit und diese wenigen Worte,
mit den [sic!] Jesus in den existentiellsten Situationen reagiert: »Gebt dem Kind zu essen!«;
[…] »Fürchte dich nicht!«
– immer wieder diese klare, nüchterne Botschaft.
Ich sage dies ganz bewusst, weil ich meine, dass auch wir Christen und Christinnen
in unserem Land […] immer klar im Auge haben sollten: Wir haben Grenzen, aber wir haben
auch einen Gestaltungsauftrag.
Wir haben eigene Füße und einen weiten Raum, den wir durchmessen dürfen, aber dieser Raum
ist uns nicht zum Greinen, Weinen, Flennen und Lamentieren gegeben,
sondern zur verantwortungsvollen Gestaltung.
Ich glaube nicht, dass uns der weite Raum von einer höheren Instanz
zu einem solchen Zwecke gegebenen wurde.
Doch ich glaube daran, dass das tatsächlich der beste Zweck ist, den wir selbst
als zweckorientierte Wesen hineinlegen können.
Das Leben ist ja ein ewiges Werden, ein Sich-Entwickeln, als Gesellschaft und als Individuen, die wir
kraft verantwortungsvoller Gestaltung diese Gesellschaft bilden und prägen.
Um zu entscheiden, was wir unter »verantwortungsvoll« verstehen, meine ich persönlich keinen
religiösen Kompass zu brauchen.
Aber ich kann auch nicht sagen, was genau stattdessen meine moralischen Empfindungen
und ethischen Überzeugungen maßgeblich geprägt hat, von innen wie von außen.
Erziehung, Schulzeit, Popkultur, Studium, Philosophie, als das hat dazu beigetragen,
was ich heute als falsch und böse, oder als richtig und gut empfinde.
Das war's auch schon wieder. Ich sag' danke für die Aufmerksamkeit und bis zum nächsten Mal!