Angela Merkel - Die Kanzlerin im DW-Interview | DW Nachrichten
Frau Bundeskanzlerin, das ist mit Sicherheit eines Ihrer letzten Interviews in der Funktion.
Sind Sie denn froh, dass Sie bald nicht mehr so in der Öffentlichkeit stehen?
Also, es ist in der Tat eines der letzten Interviews. Ich bin ja sozusagen auf Abschiedsreisen und in meinen letzten Amtstagen und froh auf der einen Seite. Aber ein kleines bisschen Wehmut wird sicherlich dann auch kommen, denn ich habe meine Arbeit immer gern gemacht,
mache sie auch noch gern. Und bis zum letzten Amtstag muss man natürlich auch
weiter sozusagen aufmerksam sein. Sie haben gerade die Abschiedstour
angesprochen. Sie waren jetzt vor ein paar Tagen in Frankreich, und da wurden
Sie ja sehr herzlich auch begrüßt. Ich glaube, die Passanten haben sogar gesagt, Vive Mutti,
ich zitiere hier. Ja, es kommt nicht von mir. Was- was spüren Sie denn, wenn Sie so was hören?
Na ja, mich freut es natürlich. Ich weiß schon, dass es auch Menschen gibt, die mit meiner Politik
nicht so zufrieden sind. Aber wenn man jetzt so in Frankreich ist, wo natürlich auch in der Geschichte wir oft nicht so freundschaftliche Gefühle füreinander hatten, da hat es mich schon gefreut, dass so viele Menschen gekommen sind, um den französischen Präsidenten Emmanuel
Macron und mich zu begrüßen. Und das war ein schönes Erlebnis- das muss ich sagen.
Und die Verabschiedung von Emmanuel Macron - weil es war ja wahrscheinlich
die Verabschiedung - war ja auch sehr herzlich. Werden Sie ihn denn vermissen?
Ja, natürlich. Ich werde Emmanuel Macron vermissen. Ich werde viele meiner Kolleginnen
und Kollegen vermissen, weil ich mit sehr, sehr vielen sehr gerne zusammengearbeitet habe. Und
weil internationale Politik natürlich immer auch bedeutet, dass man viel miteinander spricht,
dass man sich ein bisschen in die Schuhe des anderen hineinversetzt: Wie geht es ihm zu Hause,
was sind dort die Probleme? Und wenn man jetzt mal nach Frankreich guckt, nach Deutschland guckt,
dann haben wir ja doch immer sehr unterschiedliche Probleme, manchmal auch gemeinsame Probleme. Und
aus der Perspektive haben wir dann auch die europäischen Schritte miteinander besprochen.
Und diese Diskussion werde ich mit Sicherheit vermissen. Ich habe sie ja immer gern gehabt.
Aber er darf noch anrufen, oder? Ja, selbstverständlich. Und trotzdem ist
es einfach so: Wir sind ja als Regierungschefs schon alle sehr beschäftigt, und jeden Tag ist
viel zu tun. Und deshalb wird sich Emmanuel Macron in Zukunft mit dem deutschen Regierungschef,
also wahrscheinlich Olaf Scholz, unterhalten. Und vielleicht haben wir auch ab und zu Kontakt.
Das würde mich freuen. Aber die Arbeit und das Vorantreiben der Dinge, das erfolgt dann mit
einem neuen Bundeskanzler. Das ist auch so in einer Demokratie. Und das ist auch sehr gut so.
Sie haben ja gerade erwähnt, dass Sie sehr viel reden müssen logischerweise mit anderen
Regierungschefinnen und Regierungschefs - auch teilweise sicherlich unangenehmere Gespräche als
jetzt mit Emmanuel Macron. Mir würde einfallen Wladimir Putin oder auch in der Türkei Herr
Erdogan. Gehen Sie denn zu allen mit der gleichen Taktik? Also, sagen Sie: "Ich muss mit allen
gleich reden"? Oder sagen Sie bei den einen oder anderen auch: "Hier muss ich klare Kante zeigen"?
Na ja, ich glaube, das wäre auch ein Missverständnis, wenn ich bei Gesprächen
mit freundschaftlich verbundenen Regierungschefs nicht auch klare Kante zeige. Wir haben ja immer
auch deutsche Interessen. Die anderen haben französische oder andere Interessen, und hier
müssen wir versuchen, die zusammenzubringen. Aber was uns eint ist natürlich eine gemeinsame
Wertebasis, eine gemeinsame Sicht auf die Demokratie. Und dann verlaufen die Gespräche
vielleicht anders als wenn man da auch Bedenken hat oder Sorgen hat oder eben auch bestimmte Fälle ansprechen muss. Aber ich gehe immer mit offenem Herzen in solche Gespräche. Ich hoffe immer, dass Gespräche etwas bewegen, und ich vertrete die deutschen Interessen. Ich vertrete aber
auch gute bilaterale Beziehungen, und insofern sind diese Gespräche vielleicht manchmal etwas
kontroverser. Ich will allerdings auch sagen: Wenn jemand eine ganz andere Sicht auf die Welt hat,
sollte man trotzdem zuhören. Denn wenn wir uns nicht mehr zuhören,
werden wir auch keine Lösungen mehr finden. Der luxemburgische Premier Bettel hat jetzt,
glaube ich beim letzten EU-Gipfel, gesagt, Sie wären eine "Kompromissmaschine". Auch hier zitiere
ich in diesem Fall... Ich weiß.
...und viele unserer Zuschauerinnen und Zuschauer auf der ganzen Welt fragen in den letzten Wochen:
Was macht Frau Merkel danach? Werden Sie dann die Kompromissmaschine auch in den
Dienst internationaler Interessen stellen? Xavier Bettel hat mir das auch erzählt,
dass er das gesagt hat, wissend, dass ich natürlich keine Maschine bin, sondern wie
er ein Mensch. Aber ich habe mich eben immer um Kompromisse bemüht, auch wenn es lange gedauert
hat. Wir haben aber meistens auch welche gefunden. Zu fragen, was ich danach mache: Ich werde danach
keine Politik mehr machen. Ich werde jetzt nicht Konfliktlösungen für politische Konflikte sein,
sondern das habe ich viele Jahre jetzt gemacht: 16 Jahre als Bundeskanzlerin, auch gerne in der
Europäischen Union, international, habe mich immer für den Multilateralismus eingesetzt,
und jetzt weiß ich noch nicht, was ich danach mache. Ich habe ja gesagt:
Ich werde mich erstmal ein bisschen ausruhen und mal gucken, was mir so in den Kopf kommt.
Lesen und Schlafen haben Sie erwähnt. Ja. Lesen und Schlafen im Wechsel.
Aber es muss doch noch andere Pläne geben als Lesen und Schlafen?
Ja, die werden ja dann in meinen Kopf kommen. Ich glaube... Es ist einfach so,
dass ich doch jetzt viele Jahre sehr okkupiert war von der Agenda, die mir vorgegeben wurde,
auch immer in Bereitschaft sein musste. Das müssen Sie ja als Regierungschefin, wenn
irgendetwas passiert, dass man immer auch sofort drauf eingehen kann. Und jetzt gucke ich mal, was
ich freiwillig gerne machen werde, und das wird sich aber erst in ein paar Monaten herausstellen.
Also erst mal Abstand. Aber Sie haben es ja erwähnt: Sie haben sehr viel Energie
auch verbraucht. Wo haben Sie denn diese Energie hergenommen? Oder anders gefragt:
Wo haben Sie denn die Batterien wieder aufgeladen? Na, einmal, weil mir die Arbeit wirklich Freude macht, und weil ich immer schon ein neugieriger Mensch war. Ich war jetzt auf der Klimakonferenz in Glasgow, und das war die sechsundzwanzigste. Und ich durfte die erste in Bonn leiten. Da war
ich ganz junge Umweltministerin, und damals hat sich mir die Welt eröffnet mit den vielen
Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention. Und sich dann darum zu bemühen, da einen Konfl...
einen Kompromiss zu finden, die Konflikte zu überwinden. Das war schon eine besonders
herausfordernde Sache, und die hat mich nie wieder verlassen. Und ich habe so viel auch kennenlernen können: so viele verschiedene Menschen, so viele verschiedene Kulturen, dass ich das immer als Bereicherung empfunden habe. Und das gibt Energie. Und natürlich ansonsten sich nicht zu viel vornehmen, also... Das scheint aber nicht, als ob das geklappt hätte, um ehrlich zu sein. Naja, doch. Jeder von uns zum Beispiel bekommt ja sehr viel mehr Einladungen als wir überhaupt wahrnehmen können. Und eine kleine Kunst im
Politikmachen, glaube ich, besteht darin, sich nicht zu viel sozusagen im Vorhinein vorzunehmen
und zuzusagen, um dann zum Schluss wieder absagen zu müssen. Das schafft schlechte Laune bei mir.
Das schafft aber auch schlechte Laune bei denen, denen man schon mal zugesagt hat. Und insofern
hat mir Energie immer gegeben, dass ich das Tagesmaß erfüllen konnte, und ab und zu Natur,
Gartenarbeit, einfach mal auch abschalten und immer darauf achten, dass es auch wenige Wochen
Urlaub im Jahr gibt. Das ist schon wichtig. Gerade haben Sie erwähnt die COP. Mich würde
mal interessieren: Was sagen Sie denn den jungen Menschen, die sehr besorgt sind um die Zukunft
des Planeten, auch um ihre persönliche Zukunft? Die Welt ist sicherlich nicht einfacher geworden,
seit Sie Kanzlerin geworden sind vor 16 Jahren. Also was sagen Sie diesen jungen
Leuten? Wie geben Sie ihnen Hoffnung, dass die Politiker und Politikerinnen,
die gerade im Amt sind, sich zusammenraufen und tatsächlich effektiv den Klimawandel bekämpfen?
Ja, denen muss ich natürlich nach meiner langjährigen Erfahrung mit dem Klimawandel sagen:
Wir haben immer wieder einiges getan. Es ist eben die 26. Vertragsstaaten-Konferenz, und trotzdem
sind die Berichte des Klimarates, des IPCC, immer warnender und immer bedrohlicher geworden. Als ich
mein erstes G8-Treffen damals noch in Heiligendamm hatte, da haben wir sehr viel Lob dafür bekommen,
dass auch der amerikanische Präsident George Bush gesagt hat: "Ja, ich betrachte mal, dass wir 2050
unseren CO2-Ausstoß halbieren in den Vereinigten Staaten von Amerika." Heute wissen wir, dass das
damals schon ein ehrenwertes Ziel war, aber dass es vorne und hinten nicht reicht. Und wir müssen
sehr, sehr viel schneller werden. Das zeigt jeder IPCC-Bericht. Und da sage ich den jungen Leuten,
sie müssen Druck machen, und wir müssen schneller werden. Wir sind schneller geworden. Aber nie
war es so, dass nicht der Abstand zu den wissenschaftlichen Einschätzungen noch
mal gewachsen ist. Und das muss sich jetzt in diesem Jahrzehnt verändern. Wir müssen wieder
den wissenschaftlichen Einschätzungen folgen, und das heißt eben sehr nah bei 1,5 Grad Erderwärmung
bleiben. Glasgow hat schon einige Ergebnisse gebracht, aber aus der Perspektive junger Leute
geht es berechtigterweise immer noch zu langsam. Das ist vielleicht das Thema, wo Sie am meisten
Selbstkritik geübt haben, wenn ich da den Überblick richtig habe,
was den Kampf gegen den Klimawandel angeht. Was hat Sie eigentlich zurückgehalten in
den letzten 16 Jahren, da mehr zu tun? Ich habe schon immer was getan. Ich musste nur
zur Kenntnis nehmen, dass die wissenschaftlichen Einschätzungen dann eben immer noch schlechter
waren und schrecklicher, muss man sagen, als das bei dem vorherigen Bericht der Fall war. Und
wir sind in meiner Amtszeit jetzt schon aus der Steinkohle ausgestiegen. Wir haben den Fahrplan
für den Ausstieg aus der Kohle, aber da gibt es eben auch Kritik: "Das ist zu spät". Wir sind im
internationalen Vergleich natürlich auch nicht ganz schlecht als Deutschland. Also, wir müssen
jetzt auch nicht nur uns kritisieren, aber wir sind auch eines der führenden Industrieländer. Und
wenn es neue Technologien gibt, wenn man zeigen will, wie kann ich bei der Mobilität umsteigen,
wie kann ich bei der Energieversorgung umsteigen? Da muss Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen.
Wir brauchen für unsere Entscheidungen immer Mehrheiten. Das ist ein Thema, was ich mit
den Klimaschützern immer wieder bespreche, die sagen "Ihr müsst das jetzt tun", und ich
sage "Ich muss trotzdem Mehrheiten bekommen". Und es gibt auch viele soziale Erwartungen,
es gibt viele Ängste. Und: Ja, ich war eigentlich immer dran. Und trotzdem kann ich heute nicht
sagen, das Ergebnis ist schon befriedigend. Wo wir schon bei den Krisen sind, Sie hatten
ja so ein paar in den letzten 16 Jahren... Ja. Genau. Es war nicht die einzige,
die Klimakrise. Was mich interessieren würde,
und sicherlich auch viele unserer Zuschauerinnen und Zuschauer auf der ganzen Welt, ist: Welche
dieser Krisen, falls Sie das sagen können, hat Sie denn persönlich am meisten herausgefordert?
Persönlich am meisten herausgefordert haben mich die beiden Ereignisse... einmal die
Vielzahl der ankommenden Flüchtlinge, die ich ja ungerne als Krise bezeichne, sondern
Menschen sind Menschen. Aber der Fluchtdruck aus Syrien und aus den umliegenden Ländern,
und dann die Corona-Pandemie jetzt. Das sind vielleicht diejenigen, wo man gesehen hat,
wie das die Menschen direkt betrifft, wo man es mit menschlichen Schicksalen zu tun hat. Das war
für mich schon das Herausforderndste. Ich habe mich immer auch um etwas anderes bemüht, was man
vielleicht auch als Krise fast schon bezeichnen kann, nämlich die Infragestellung vieler des
Multilateralismus. Das war mir immer wichtig, und ich habe immer versucht, die internationalen
Organisationen zu stärken, den IWF, die Weltbank, die Welthandelsorganisation und andere. Die habe
ich jedes Jahr eingeladen, 13 Mal, und habe einfach auch versucht, deutlich zu machen:
"Wir müssen zusammenarbeiten auf der Welt". Und in meiner Zeit sind ja auch nach der Finanzkrise die
G20 entstanden. Auch ein ganz wichtiges Format aus meiner Sicht, um eben einfach zu zeigen:
"Nur gemeinsam können wir die Probleme lösen". Bleiben wir vielleicht kurz bei der Ankunft von
rund einer Million Flüchtlinge und Migranten im Jahr 2015. Das interessiert natürlich besonders
auch unsere Zuschauerinnen und Zuschauer in den arabischen Ländern. Damals haben sie den
ikonischen Satz gesagt: "Wir schaffen das", der um die Welt gegangen ist. Und eine Frage,
die uns auch erreicht hat, ist, ob Sie denken, dass wir es geschafft haben.
Ja, wir haben das geschafft. Aber wir waren wirklich viele, viele Menschen in Deutschland,
die mit angepackt haben, viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, viele Ehrenamtliche, viele,
die heute noch Patenschaften haben. Wir haben auch erlebt, dass es natürlich nicht alles ideal
gelaufen ist. Und es gibt auch schlimme Vorfälle- wenn ich an die Kölner Silvesternacht denke,
die sich da vielleicht eingeprägt hat. Aber insgesamt sind wir... haben wir
wunderbare Beispiele von gelungenen menschlichen Entwicklungen, wenn ich an Abiturientinnen und
Abiturienten und Ähnliches denke. Aber geschafft haben wir natürlich noch nicht, dass die Ursachen
der Flucht bekämpft wurden. Wir haben es noch nicht geschafft, dass Europa ein einheitliches
Asyl- und Migrationssystem hat. Wir haben also noch keine selbst wirkende Balance auch zwischen
den Herkunftsländern und den Ankunftsländern. Und wir müssen noch sehr viel mehr machen an
Entwicklungshilfe, an legaler Migration. Was ich bedauerlich finde ist, dass heute die Schlepper
und Schleuser eigentlich immer noch die Oberhand haben. Und das, was wir an legalen Wegen haben,
zum Beispiel, wenn UNHCR uns sagt: "Nehmt die und die Kontingente von Flüchtlingen auf", dann wissen
wir: Das sind die, die wirklich Hilfe brauchen. Und da müssen wir noch sehr viel mehr hinkommen.
Also einiges ist gelungen, aber das Thema Flucht und Migration wird leider auch wegen der Situation
in Syrien und in vielen anderen Ländern bleiben. Ganz kurz vielleicht: Sie glauben schon,
dass Deutschland jetzt besser aufgestellt wäre, um mit solchen
Situationen umzugehen als noch 2015. Korrekt? Das glaube ich. Aber weniger, weil wir jetzt
sagen wir mal polizeilich besser aufgestellt sind oder logistisch, wenn es um Betten geht,
sondern weil wir auch gelernt haben, dass wir mehr für die internationalen Organisationen
tun müssen. Auch wenn wir jetzt wieder den Migrationsdruck aus Belarus haben,
dann wissen wir: Wir müssen vor allen Dingen mit den Herkunftsländern sprechen, wo die Flugzeuge
abfliegen und Ähnliches. Und da haben wir einiges erreicht, und da sind wir besser aufgestellt.
Aber es bleibt eine große Herausforderung in einer Welt, die viele Probleme kennt.
Stichwort Herkunftsländer. Es scheint so - und korrigieren Sie mich gerne, wenn Sie denken,
ich liege falsch - dass Sie das Interesse an Afrika vor allem im Jahr 2015 entdeckt haben,
weil das ja auch... Da gibt es viele Herkunftsländer, und da haben Sie dann die
Besuche dorthin verstärkt. Täuscht der Eindruck? Ein bisschen schon. Ich hatte auch vorher schon
ein sehr großes Interesse an Afrika. Die Zeit dafür war dann insbesondere während
der Eurokrise relativ knapp. Aber ich hatte einige afrikanische Länder vorher auch schon besucht. Das
afrikanische Interesse, ich habe es mir heute noch mal überlegt, hat sich ein bisschen von Ostafrika,
Äthiopien, Kenia, das waren Länder, die für Deutschland sehr im Vordergrund standen,
verschoben auf Westafrika dann. Aber nicht nur wegen der Flucht,
sondern auch wegen der terroristischen Dinge, der terroristischen Herausforderungen- im Grunde
nach Libyen. Das war ja eine Situation, wo wir uns bei dem Einsatz der NATO enthalten hatten
als Deutschland. Ich habe dafür sehr viel Kritik bekommen. Aber ich hatte sehr, sehr große Sorge,
ob das, was nach Gaddafi kommt, besser ist. Und es hat sich jetzt ja auch herausgestellt,
dass das ein Riesenproblem der internationalen Staatengemeinschaft ist. Und ausbaden müssen
dieses Problem die Nachbarländer, die südlichen Nachbarländer Libyens,
weil unglaubliche Mengen an Waffen zur Verfügung stehen für die terroristischen Organisationen und
damit eine große Destabilisierung dieser Region einhergeht. Und deshalb heißt das:
Libyen- die Staatlichkeit wiederherstellen und helfen, dass Libyen den Libyern gehört, und
gleichzeitig diese Länder mit zu stabilisieren. Und das hatte mit der Flucht erst mal noch gar
nicht so viel zu tun. Aus Mali, aus Niger kommen nicht die wesentlichen Flüchtlinge aus Afrika.
Und dadurch habe ich aber einen anderen Teil Afrikas kennengelernt, um den sich Deutschland
eigentlich in den letzten Jahrzehnten wenig bemüht hat, weil da immer Frankreich sehr präsent war.
Vielleicht noch eine Krise, wenn ich darf... Ja, gerne.
...Dann ist es eine Auswahl quasi. Und zwar Afghanistan- eben auch ein Land,
wo die Menschen uns schauen und wissen wollen: Was denkt die Kanzlerin? Was sagen Sie denn den
Helfern Deutschlands und des Westens, die zurückbleiben mussten unter einem
Taliban-Regime, weil die Evakuierung nicht funktioniert hat, um es milde auszudrücken?
Also, erst mal sage ich den Menschen in Afghanistan - und jetzt nicht nur den Helfern,
auf die komme ich gleich - dass wir natürlich sehr traurig sind und einfach auch es nicht geschafft
haben, was wir wollten: nämlich in Afghanistan eine selbst tragende politische Ordnung zu finden,
in der Mädchen in die Schule gehen können, in der Frauen sich ihre Wünsche erfüllen können,
in der Frieden herrscht, sondern wir haben lange Jahre dort unseren Einsatz gezeigt,
unsere Soldatinnen und Soldaten mit bester Kraft. Ich habe oft diskutiert: Wie kann es eigentlich
sein, dass so viele afghanische junge Männer zu uns kommen wollen und gleichzeitig unsere
Soldatinnen und Soldaten dort sind? Das war für uns auch ein Spannungsfeld. Und trotzdem muss
man akzeptieren: So gut die Absichten waren- wir haben es nicht vermocht, diese Ordnung,
die wir uns gewünscht haben, die Joschka Fischer schon gleich Anfang des Jahrhunderts sozusagen auf
dem Petersberger Gästehaus schaffen wollte, für Afghanistan zu schaffen. Da ist Deutschland nicht
alleine schuld. Die Afghanen haben es aus sich auch nicht vermocht, und das ist einfach sehr,
sehr bedauerlich. Wir haben dann für die Bundespolizei und die Bundeswehr sehr, sehr viele
Ortskräfte außer Landes bringen können. Der größte Teil derer, die heute noch in Afghanistan sind,
sind die, die mit uns in der Entwicklungshilfe zusammengearbeitet haben. Und da, muss ich sagen,
habe ich auch im Juni bewusst die Entscheidung mit getroffen, dass wir die Entwicklungshilfe
nicht einfach fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, sondern dass wir damit ja gezeigt
hätten: Wir glauben nicht daran, dass man die Taliban besiegen kann. Und jetzt müssen wir das
nacharbeiten und müssen so viele wie möglich außer Landes bringen. Und wir haben ja auch sehr vielen
Afghaninnen und Afghanen geholfen, die jetzt nicht direkt mit Deutschland zusammengearbeitet haben,
aber sich engagiert haben für die Freiheit und die Demokratie in Afghanistan. Und jetzt bleiben noch
viele übrig, und die werden wir nicht vergessen. Noch ein letztes Wort zu Ihrem Nachfolger. Sie
hatten ja einen ungewöhnlichen Schritt, als Sie ihn- Ihren wahrscheinlichen Nachfolger Olaf
Scholz - mitgenommen haben zum G20-Treffen. Konnten Sie denn... oder: War der Grund,
weil Sie Ihre Partner oder die Kolleginnen und Kollegen dort versichern wollten, dass auch mit
Olaf Scholz als Kanzler die Kontinuität und Stabilität Deutschlands weitergeht?
Na ja, es ist ja nicht ganz so großzügig von mir gewesen...
Schon ungewöhnlich. ...Zum G20-Treffen fahren immer
die Regierungschefs und die Finanzminister. Und nun will es der Zufall, dass mein wahrscheinlicher
Nachfolger der Finanzminister der jetzigen Regierung ist. Das heißt, dass er an G20
teilgenommen hat, das war einfach klar. Die Geste, die mir wichtig war, war, dass an allen
bilateralen Gesprächen auch Olaf Scholz mit dabei ist und ich sozusagen sagen konnte: Hier sitzt
der, mit dem ihr wahrscheinlich beim nächsten Mal sprechen werdet als deutschem Regierungschef. Und
das, fand ich, ist wichtig, weil Deutschland wird angeschaut, und was passiert hier? Und die
Leute sind interessiert. Und wenn Sie dann das Gefühl haben, hier gibt es einen guten
Kontakt zwischen der jetzigen Regierungschefin und dem wahrscheinlich zukünftigen, dann ist
das ein beruhigendes Signal in eine ziemlich turbulente Welt. Und das fand ich richtig.
Frau Bundeskanzlerin, vielen Dank für das Gespräch. Wenn ich mir noch persönlich
erlauben darf: Es wird ungewöhnlich sein, jemanden anders als Bundeskanzler zu sehen nach 16 Jahren.
Sie werden sich dran gewöhnen. Danke schön. Danke schön.