Das verlorene Patenkind und das Sommerkleid
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Das verlorene Patenkind und das Sommerkleid 5. Juli 2019, Episode 45
Zukker im Leben (D)
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10:10 Das verlorene Patenkind und das Sommerkleid
Zukker im Leben (D) Episode Glossar Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Herzlich Willkommen zur Sendung „Zukker im Leben“ vom 5. Juli 2019. Heute erzähle ich Ihnen von zwei Suchaktionen: Neulich habe ich einen Ausflug mit meinem Patenkind [1] Manuel gemacht. Leider ging der Dreijährige dabei verloren und ich musste ihn suchen. Einige Tage später wollte ich ein neues Sommerkleid kaufen. Aber auch diese Suche war ganz schön schwierig. Viel Vergnügen!
*
Manuel kenne ich schon sein ganzes Leben lang. Ich habe Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, schon von ihm erzählt. Er ist der Sohn meiner besten Freundin Stefanie. Als Manuel geboren wurde, fragte sie mich, ob ich Patentante werden wolle. Natürlich sagte ich sofort ja. Vor einigen Tagen habe ich den Dreijährigen einen Nachmittag lang gehütet. Manuel liebt Züge und andere grosse Fahrzeuge. Deshalb habe ich mit ihm einen Ausflug ins Trammuseum gemacht. Schon die Fahrt zum Museum war für den Kleinen ein Abenteuer. Noch nie zuvor [2] waren wir zwei alleine unterwegs, ohne Mama oder Papa. Ich war sehr nervös, ob alles gut gehen wird. Manuel war ganz aufgeregt und staunte über alle Sachen, die er auf der Strasse sah. Er zeigte auf einen Hund mit nur drei Beinen und lachte über einen Mann mit einem komischen, violetten Hut. An einer Tramhaltestelle lief ein Mann nervös hin und her. Immer wieder rief er laut „Daniel! Daniel!“ – offensichtlich hatte er sein Kind verloren. „Das würde mir sicher nicht passieren“, dachte ich. Beim Museum waren sehr viele Leute. Es war ein regnerischer Tag und viele Eltern hatten dieselbe Idee wie ich. Drinnen schauten sich sehr viele Leute die alten Tramwagen und Lokomotiven an. Manuel hatte grosse Freude an den Waggons. Und ich freute mich, weil er zufrieden war. Plötzlich herrschte vor uns eine grosse Aufregung: Ein kleiner Junge hatte ein Sparschwein [3] mit Tausenden Münzen darin umgestossen [4]. Der Deckel der Box löste sich und die Münzen kullerten [5] über den Marmorboden des Museums. Sofort fingen die Kinder an, das Geld zu sammeln und es in die eigene Tasche zu stecken [6]. Zwei Museumswächter versuchten sie zu stoppen. Aber sie hatten keine Chance. Ich war völlig abgelenkt von diesem Chaos und verlor Manuel kurz aus den Augen. Als ich mich umdrehte, war er verschwunden. Ich erschrak fürchterlich und rief: „Manuel! Manuel!“ Aber meine Stimme ging in der lärmenden Meute [7] der Kinder unter. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. War er zurückgelaufen? Oder schon weiter durch die Ausstellung? Hatte er sich unter die vielen Kinder gemischt? Ich ging vor und zurück, mischte mich unter die Kinder und suchte in jedem Waggon nach Manuel. Aber er war unauffindbar [8]. Ich machte mir grosse Vorwürfe [9]. Ich dachte schon daran, meine beste Freundin oder die Polizei zu alarmieren [10]. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Da sagte plötzlich eine Frauenstimme aus dem Lautsprecher: „Den kleinen Manuel kann man beim Empfang abholen“. Noch bevor die Frau mit ihrem Satz fertig war, rannte ich los. Die letzten Meter vor dem Empfang ging ich mit gesenktem Kopf. Ich schämte mich sehr. Manuel sass neben der Frau am Schalter auf einem Bürostuhl und hatte ein verweintes Gesicht. Als er mich erblickte [11], strahlte er aber über beide Ohren. „Nora“, rief er, „da bist du ja!“ Die Frau am Schalter hingegen [12] blickte mich vorwurfsvoll an. „Passen sie doch auf ihr armes Kind auf“, sagte sie. Mir war das egal. Hauptsache, ich hatte Manuel wieder gefunden. Meiner besten Freundin werde ich von diesem Erlebnis bestimmt nichts erzählen, aber so wie ich Manuel kenne, wird sie es früher oder später erfahren.
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Wenn es draussen wärmer wird, die Sonne scheint und die Tage länger werden, sieht man auf den Strassen immer die neuesten Kleidertrends. Ich sass auf einer Parkbank und beobachtete die Leute und ihre Kleider: weisse Turnschuhe, hochgeschnittene Jeans und bauchfreie T-Shirts sind offenbar der letzte Schrei [13]. Aber auch Plateau-Schuhe, Glockenhosen und Hawaii-Hemden sind wieder in. „Eigenartig [14]“, dachte ich. All das gab es bereits in den Neunzigerjahren. Und damals waren wir sicher, diese Trends kommen nicht noch einmal zurück. Ich wollte mir auch ein neues Kleidungsstück kaufen, und zwar ein Sommerkleid. Es sollte farbig sein, aber trotzdem elegant, bis zu den Knöcheln reichen und nicht zu viel kosten. Ich hatte Glück: Mein Lieblingsgeschäft hatte gerade Ausverkauf [15]. Freudig betrat ich den Laden und hoffte auf ein Schnäppchen [16]. Kleid um Kleid habe ich anprobiert, aber keines wollte so richtig passen. Etwas frustriert [17] verliess ich das Geschäft und ging Richtung Einkaufsmeile [18]. Es war Samstag und die Strasse voll mit Menschen. Die Sonne brannte vom Himmel, ein Mann mit Glatze rempelte [19] mich an und eine Frau mit Stöckelschuhen stand mir auf den Fuss. Noch bevor ich das nächste Geschäft betrat, war ich genervt. Meine Laune wurde nicht besser. Ich klapperte einen Laden nach dem anderen ab [20], fand aber kein passendes Sommerkleid. Alle folgten dem aktuellen Trend und sahen aus, als hätte man sie mit einer Zeitmaschine [21] direkt aus den Neunzigern hier her katapultiert [22]. Entweder war mir der Schnitt zu breit, der Rock zu lang oder die Farben gefielen mir nicht. Ich hatte keine Lust mehr auf die vielen Menschen und stieg nicht ins Tram, sondern machte einen Spaziergang nach Hause. Ich holte mir einen Kaffee zum Mitnehmen, liess die Menschenmasse hinter mir und ging los. Nach einigen Minuten überquerte ich einen Fluss. Auf der Brücke bot [23] sich mir ein wunderschöner Ausblick. Eine kühle Brise [24] wehte, die Sonne ging langsam unter und Vögel flogen am Himmel. Eine Weile später hatte ich das Sommerkleid schon vergessen. Ich war nur noch ein paar Schritte von meiner Haustüre entfernt, da sah ich in einem Schaufenster plötzlich mein absolutes Traumkleid. Es war dunkelrot, ganz schlicht [25] geschnitten und hatte grosse, weisse Knöpfe. Das Schaufenster war aber nicht von einem gewöhnlichen Kleidergeschäft, sondern von einem Second-Hand-Laden. Ich trat durch die Tür und begrüsste die Verkäuferin. „Entschuldigung, was kostet dieses Kleid im Schaufenster?“, fragte ich. „15 Franken“, sagte sie. Sofort probierte ich das Kleid an – es passte perfekt. An der Kasse fragte ich die Verkäuferin: „Woher haben Sie dieses Kleid?“ – „Das ist schon sehr alt“, antwortete sie. „Eine entfernte Bekannte hat es mir zum Verkaufen gegeben. Es ist aus den Achtzigerjahren.“ Den ganzen Nachmittag hatte ich mich aufgeregt, dass ich nur Kleider im Stil der Neunzigerjahre fand. Jetzt hatte ich ein noch älteres Kleid gekauft – und war ganz froh, dass die Modetrends doch immer wieder zurückkehren.
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Ich freue mich sehr, wenn ich Ihnen am 19. Juli, das ist dann die letzte Sendung vor der Sommerpause, auf podclub.ch und in der App wieder aus meinem Leben erzählen darf. Dann erzähle ich Ihnen von meinem Ausflug auf ein altes Schloss. Das war magisch. Schauen Sie doch in der Zwischenzeit bei Instagram vorbei und üben Sie mit dem Vokabeltrainer in unsere App. Auf Wiederhören! 0 Kommentare Kommentar schreiben Besuchen Sie uns auf Instagram Besuchen Sie die Klubschule auf PodClub App Datenschutz | Disclaimer | Impressum | Werbung
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