Deutschland bei Nacht: Land | Ganze Folge Terra X (1)
* Titelmusik *
Die Nacht.
Geheimnisvoll und mächtig.
Von Menschen gefürchtet und verehrt.
Nur an wenigen Orten ist sie noch so zu bewundern.
Sie bietet Schutz.
Und weckt doch menschliche Urängste.
Wie hat sich unser Verhältnis zur Finsternis geändert?
Und wie lange noch können wir diese Schönheit genießen?
Auf der Suche nach der Magie der Nacht fernab großer Städte
durchstreifen wir Deutschland.
Von den Bergwelten im Süden bis zu den Meeresküsten im Norden.
Der Tag neigt sich dem Ende zu.
Abendstimmung legt sich über das Land.
Es dauert nicht mehr lange, und die andere Hälfte des Tages bricht an.
Tag und Nacht, hell und dunkel, ein ewiger Kreislauf.
Der Übergang von der Dämmerung zur Dunkelheit.
In den Alpen und bei klarer Sicht ist er besonders schön.
Sobald die Sonne im Westen untergegangen ist,
lässt sich im Osten ein graublauer Bogen beobachten.
Der "Erdschattenbogen".
Da die letzten Sonnenstrahlen nicht mehr alle Schichten der Atmosphäre
erreichen, erscheint der Horizont dunkler.
Die Blaue Stunde bereitet auf die Nacht vor.
Mit ihrem spektakulären Sternenhimmel.
Und der atemberaubenden Milchstraße.
Der Wechsel von hell und dunkel entsteht durch die Rotation der Erde
um ihre eigene Achse.
Die Länge von Tag und Nacht hängt von den Jahreszeiten ab.
Die Erdachse ist um etwa 23,4 Grad geneigt.
Diese Schiefstellung ist die Hauptursache
für die Entstehung der vier Jahreszeiten.
Sonnenstrahlen treffen in unterschiedlichen Winkeln
auf die Erde und erwärmen sie mal stärker, mal schwächer.
In unserem Sommer ist ein größerer Teil der Nordhalbkugel
der Sonne zugeneigt.
Die Tage sind länger.
Im Winter ist es entsprechend umgekehrt.
Dieser Rhythmus bestimmt seit jeher den Menschen und seine Kultur.
Die Nacht ist ja eine ganz andere Welt als der Tag. Wir haben Gesetze des Tages, Abläufe des Tages. Wir haben Lebensrealitäten des Tages. Und die sind von denen in der Nacht grundverschieden. Die Finsternis macht ihre eigenen Regeln.
Besonders bei Vollmond scheint alles möglich.
Er fasziniert und verzaubert.
Sein fahler Schein bringt aber auch die schlimmsten Ängste zutage.
Er lässt Wölfe heulen und raubt vielen den Schlaf.
Mensch und Mond, um kaum einen anderen Himmelskörper
ranken sich so viele Geschichten.
Der Mond ist fast so was wie eine zweite Sonne. Er ist reichhaltig belegt durch Mythen und Legenden. Wir haben dann im vormodernen Deutschland Vorstellungen, dass etwa Kinder, die im Mondschein geboren sind, vielleicht mehr Glück haben. Oder dass man den Mond vermeiden muss, dass der Neumond eine Unglück bringende Wirkung hat. Der Mond hat eine ganz enge Verbindung zum Alltagsleben der Menschen lange gehabt. Und auch heute noch. Nachts im Mondschein kommen all jene hervor,
die wir bei Tag selten zu Gesicht bekommen.
Jetzt betreten die nacht- und dämmerungsaktiven Bewohner des Waldes
ihre Bühne.
Im Lauf der Evolution haben sie ihre Sinne der Nacht angepasst.
Fledermäuse orientieren sich durch Ultraschall-Echo-Ortung.
Igel dagegen finden ihre Beute mithilfe ihrer feinen Nase.
Aber auch all die anderen, die nachts aktiv sind,
verfügen über besondere Fähigkeiten.
Das hilft ihnen, im Schutz der Dunkelheit zu überleben.
Immer, wenn Evolution stattfindet, wenn Leben sich entwickelt, gibt es Nischen, die besetzt werden können. Nicht nur räumliche Nischen. Am nächsten Hügel oder an dem nächsten See. Es gibt auch zeitliche Nischen, wie die Nacht. Wenn dann eine starke Spezies kommt wie der Mensch, werden Tiere den Weg finden, in andere Richtungen auszuweichen. Sie können in den Dschungel gehen. Sie können ins Wasser gehen oder in die Nacht. Der Rhythmus von Tag und Nacht,
sein Einfluss auf Tier und Mensch ist allgegenwärtig.
Aber auch Pflanzen passen ihr Verhalten diesem Zyklus an.
Wissenschaftlich untersucht wird das schon lange.
Bereits Charles Darwin sprach von schlafenden Pflanzen.
Forscher der TU Wien und der Universität Budapest
wollen es genauer wissen.
Im bayerischen Furth im Wald werden András Zlinszky und Gerhard Pürcher
eine Nacht lang zwei Birken beobachten und vermessen.
An Bäume denken wir, als ob sie statisch feste Objekte, Lebewesen sind. Aber es hat sich rausgestellt, dass die Bewegungen haben in der Nacht. Bäume haben kein Nervensystem, sofern wir wissen. Sie haben auch kein Bewusstsein oder Bewusstseinszustände. Das heißt, Schlaf ist unbedingt eine Analogie. Die Wissenschaftler vermessen die Bäume mithilfe von Laserscannern.
Eine ganze Nacht lang.
Bei Sonnenuntergang beginnt das Experiment.
Mit Infrarotlicht werden Milliarden einzelner Punkte
auf die botanischen Probanden projiziert.
Die Blätter der Birken reflektieren das Licht.
Für den Menschen ist das unsichtbar.
Alle 30 Minuten wird dieser Vorgang wiederholt, bis zum Morgengrauen.
Nun werten die Forscher die fast zwei Milliarden Mess-Punkte aus.
So können sie die nächtlichen Bewegungen der Bäume beweisen.
Tagsüber verdunsten Bäume im Rahmen der Photosynthese Flüssigkeit
über kleine Öffnungen in ihren Blättern.
Nachts fehlt das Sonnenlicht, und die Spaltöffnungen schließen sich.
Der Wasserdruck nimmt ab, erst im Stamm, dann in den Zweigen.
Wie stark Bäume ihre Blätter und Äste hängen lassen,
ist mit bloßem Auge kaum zu erkennen.
Aber die Vermessung zeigt:
Im Laufe der Nacht haben sich die Blätter und Äste
um etwa 20 Zentimeter abgesenkt.
Die Bäume legen sich sozusagen schlafen.
Erst ab Sonnenaufgang und mit zunehmendem Tageslicht
richtet die Birke ihre Äste wieder auf.
Bäume und ihre Geheimnisse:
Nicht alles, was in der Finsternis geschieht,
lässt sich so leicht erklären.
Warum zum Beispiel erwachen nachts rund um den bayerischen Chiemsee
Zombie-Bäume zum Leben?
Wie von Geisterhand heben längst abgestorbene Bäume
ihre Äste und Zweige.
Und das, obwohl in ihnen kein Tropfen Baumsaft mehr fließt.
Eine Erklärung könnte die hohe Luftfeuchtigkeit in den Mooren sein.
Die toten Äste saugen sich nachts mit Wasser voll, gewinnen an Volumen
und strecken ihre Zweige.
Tagsüber dann trocknen sie nach und nach wieder aus.
Die Magie der Nacht genieße ich sehr. Ich denke immer: Wie mögen die früheren Generationen, die Menschen in den früheren Jahrhunderten das empfunden haben? Das sind Zeichen Gottes, Zeichen einer Göttlichkeit oder der Götter. Um die nächtlichen Mächte der Natur ranken sich Mythen und Legenden.
Wikinger glaubten, Polarlichter seien eine Erscheinung ihrer Götter.
Für andere nordische Völker galten sie dagegen als böse Omen.
Bis heute faszinieren uns die flackernden Himmelslichter.
Auch in Deutschland lassen sie sich bewundern.
Im Schnitt alle elf Jahre.
Sie sind Wächter in der Dunkelheit: Leuchttürme.
Seit Jahrhunderten weisen sie Seefahrern den Weg
durch raue, finstere Nächte.
Viele von ihnen sind Meisterwerke der Architektur.
In Deutschland sind noch etwa 200 in Betrieb.
Bei klarer Sicht schicken sie ihr Licht
bis zu 60 Kilometer weit aufs Meer hinaus.
Sie erinnern an die sagenumwobene Seefahrt vergangener Tage.
Und versprechen die Rückkehr in den sicheren Hafen.
Der Leuchtturm als Fixpunkt am grenzenlosen Horizont.
* Musik *
Unheimlich schön ist auch ein Schauspiel am Wattenmeer.
In schwül-warmen Sommernächten schimmern das Meer und der Strand
geheimnisvoll bläulich-grün.
Seit dem Altertum ist dieses Phänomen bekannt.
Allerlei Seemannsgarn wurde darum schon gesponnen.
Dabei ist die Erklärung einfach.
Es ist nicht das Meer, das leuchtet,
sondern mikroskopisch kleine Einzeller.
Vor allem in warmen und windstillen Nächten
häufen sich Millionen von ihnen an.
Diese Mikroorganismen haben die Fähigkeit, für eine kurze Zeit
körpereigene Leuchtstoffe herzustellen.
Bekannt ist das als "Biolumineszenz".
Äußere Reize, wie das Brechen der Wellen am Strand,
regen die kleinen Algen dann zum Leuchten an.
Eine einzigartige Lichtshow der Natur.
Die Natur liefert uns ja unglaubliche Schauspiele. Heute haben wir neue technische Möglichkeiten. Und können die Nacht zum Leuchten bringen. Wir haben Feuerwerke oder nächtliche Illuminationen. Die vermitteln doch fast den Eindruck, dass wir die Nacht beherrschen. Dass die Nacht der neue Lebensraum des Menschen ist. Wenn diese Phänomene bis in den Himmel reinstrahlen. Dann haben wir den Eindruck, nicht nur die Welt, sondern auch der Weltraum gehört uns. Die Finsternis in Szene setzen, das können wir.
Sportliche Events bei Nacht gehören auch dazu.
Leuchtende Wesen in "Lightsuits".
In ihren Lichtanzügen bringen sie die bayerischen Berge zum Strahlen.
* Musik *
Für diese Hightech-Ausrüstung
wurden insgesamt über 6000 LED-Lampen aufwendig verarbeitet.
Technik trifft auf Natur. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Eine spektakuläre Show.
Alpenglühen mal ganz anders.
* Musik *
In den Wintermonaten
haben Lichterfeste in Deutschland Tradition.
In der Fränkischen Schweiz bringen jedes Jahr am Dreikönigstag
rund 1000 Feuerstellen das Örtchen Pottenstein zum Leuchten.
Und das seit über 100 Jahren.
Lichtinstallationen halten auch Erinnerungen wach.
"Das Geleucht" von Moers.
Die XXL-Grubenleuchte ist eine Hommage an die Kumpel von Rhein
und Ruhr.
Überall in Deutschland lassen bunt erstrahlende Orte
die Welt in einem anderen Licht erscheinen.
Künstliches Licht ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken.
Wie wichtig es für uns geworden ist,
merken wir vor allem in der Dunkelheit.
Denn ohne Licht ist das Sehen für das menschliche Auge
eine große Herausforderung.
Solange wir Tageslicht haben, sehen wir alle Farben,
die uns die Welt zu bieten hat.
Wird es aber dunkel, ändert sich unser Sehvermögen.
Licht trifft auf die Netzhaut.
Dort wandeln verschiedene Fotorezeptoren
die optischen Signale in elektrische Reize um.
Für das Farbsehen sind die Zapfen zuständig.
Es gibt drei unterschiedliche Zapfentypen.
Sie alle enthalten Iodopsin,
das Licht unterschiedlicher Wellenlängen absorbiert.
Diese drei unterschiedlichen Wellenlängen-Bereiche
entsprechen den Farben Rot, Grün und Blau.
Sieben Millionen Zapfen lassen uns bei Licht die Welt bunt sehen.
120 Millionen Stäbchen unterscheiden zwischen hell und dunkel.
Wechseln wir in die Dunkelheit,
nimmt die absolute Empfindlichkeit des Sehsystems zu.
Innerhalb weniger Minuten erhöht sich die Empfindlichkeit der Zapfen
um das Tausendfache.
Dann schaltet das Auge auf Stäbchen-Sehen um.
Nach etwa einer halben Stunde
hat sich das Auge komplett an die Dunkelheit angepasst.
Nun nehmen wir nur noch die Grautöne wahr.
Es ist ein Wunderwerk der Maschinerie, der Evolution, dass wir ein adaptives Auge haben. Und wir sind als Menschen absolut visuelle Wesen. Wir können uns orientieren, uns auch anpassen an die Lichtverhältnisse zwischen Tag und Nacht. Aber nicht so gut, wie das andere Lebewesen können. Wie Katzen, die eine viel höhere Auflösung haben. Und sich viel besser orientieren können. Seit über 300.000 Jahren streifen Wildkatzen durch unsere Wälder.
Bejagung und die Zerstörung ihres Lebensraumes
brachten sie an den Rand des Aussterbens.
Heute sind die Tiere streng geschützt.
Wildkatzen leben zurückgezogen und jagen nachts.
Mittlerweile leben wieder rund 7000 Wildkatzen in Deutschland.
Im Westen vor allem in der Eifel, im Hunsrück, im Pfälzer Wald
und im Taunus.
Im östlichen Deutschland leben sie im Harz, Solling,
Kyffhäuser und im Hainich.
In großen zusammenhängenden Waldgebieten
fühlen sie sich am wohlsten.
Doch die gibt es immer seltener.
Oft zerschneiden Landwirtschaft, Straßen- und Siedlungsbau die Wälder.
Abhilfe könnten "grüne Korridore" schaffen.
Je mehr Waldflächen wieder miteinander verbunden werden,
desto sicherer der Lebensraum für die scheuen Tiere.
Die Einzelgänger leben vor allem in Laub- und Mischwäldern
mit Lichtungen oder Waldwiesen.
Der Sehsinn der Katze ist so geschärft, dass sie am liebsten
in der Dämmerung oder in der Nacht auf Nahrungssuche geht.
* spannungsvolle Musik *
Bei wenig Licht weitet sich die Pupille der Katze dreimal so stark
wie beim menschlichen Auge.
So kann viel mehr Licht auf ihre Netzhaut einfallen.
Wie beim Menschen befinden sich auf der Netzhaut der Katze
Zapfen und Stäbchen.
Nur besitzt die Katze viel mehr Stäbchen als der Mensch.
Zapfen sind für das Farbsehen verantwortlich,
die Stäbchen dienen dem Sehen bei Dämmerung oder Dunkelheit.
Hinter der Netzhaut liegt eine spiegelähnliche Schicht.
Das "Tapetum Lucidum", zu Deutsch: leuchtender Teppich.
Das Licht, das bereits die Netzhaut passiert hat,
wird nun von dieser Schicht reflektiert.
Und wieder auf die Netzhaut gespiegelt.
Und wirkt so wie eine Art Restlicht-Verstärker.
Auf diese Weise werden die lichtempfindlichen Zellen
zweimal getroffen.
Auf dem Hin- und dem Rückweg des Lichts durch das Auge.
Darum leuchten nachts Katzenaugen, wenn sie angestrahlt werden.
Nachtaktive Tiere können sehr anpassungsfähig sein.
Durch milde Winter und Futter im Überfluss
haben Wildschweine in den letzten Jahren ihre Population vervielfacht.
Und auch die Probleme mit ihnen nehmen zu.
Viele Ackerflächen liegen heute mitten in größeren Waldflächen:
Dem Lebensraum der Tiere.
Bei Helligkeit zeigt sich, was die borstigen Allesfresser
auf den Feldern anrichten können.
Um einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen Mensch und Tier zu finden,
untersucht die Forscherin Alisa Klamm mit ihrem Team
die Bewegungsmuster von Wildschweinen im Nationalpark Hainich.
Dafür müssen sie die Wildschweine mit GPS-Sendern ausstatten.
Es gibt diesen ständigen Konflikt zwischen den Wildschweinen, die auf den landwirtschaftlichen Flächen Schäden anrichten können. Als auch Konflikte mit den Jägern.