Immobilien als Ware – Wohnungsmärkte außer Kontrolle
Atmo:
Falkertstraße
Autorin: Eine Straße wie in vielen deutschen Großstädten: Neun große Neubauten stechen aus einer Zeile mit sanierten Altbauten heraus. Schicke Sportwagen und SUVs fahren im Minutentakt über den Bürgersteig in die ebenerdige Garage ein und aus.
O-Ton Christian Holl: Was das Problem ist, ist, dass hier hochpreisiges Wohnen entstanden ist, das exklusiv ist und das nicht mehr denen zugutekommt, die die Stadt braucht, um als Stadt zu funktionieren und lebendig sein zu können.
Ansage: Immobilien als Ware – Wohnungsmärkte außer Kontrolle. Von Cordelia Marsch.
O-Ton Christian Holl/Autorin: Holl: Nein.
Autorin: Sind hier mittlere Einkommensschichten berücksichtigt worden?
Holl: Es ist ein rein privat finanziertes Projekt, das sich daran orientiert hat, was man hier an Gewinnen erzielen kann und hier ist keine Form von Förderung oder sonst irgendwas vorgesehen, insofern ist das hier wirklich ein Projekt für die oberen Einkommensklassen. Und zwar ausschließlich.
Autorin: Ich stehe mit Christian Holl vor 186 Luxus-Wohnungen in einem der dichtest besiedelten Wohngebiete in ganz Deutschland, dem Stuttgarter Westen. Mich treibt die Frage um, wieso Wohnen in vielen Gegenden Deutschlands kaum noch bezahlbar ist. Holl ist freier Architekturjournalist und beobachtet seit 1993 die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt in Stuttgart. Er ist alarmiert.
O-Ton Christian Holl: Seit 2010 sind die Mieten in den Innenstadtbereichen bis zu 50 Prozent, also die Angebotsmieten, gestiegen. Die Realeinkommen sind beileibe nicht in dem Maße gestiegen. Das heißt Haushalte zahlen inzwischen 30, 40, 50 Prozent ihres Haushaltseinkommens für die Miete. Man sagt um die 30 Prozent ist so ein Verhältnis, das in Ordnung ist, aber alles was drüber ist, ist bedrohlich.
Autorin: Wenn ich mir auf „Immobilienscout24“ die ersten fünf Angebote anschaue, ploppen für Stuttgart Mieten zwischen 16 und 20 Euro 50 pro Quadratmeter auf. Das wird nur noch von Hamburg mit 28 Euro 50 und München mit knapp 37 Euro getoppt. Die teuren Mieten können sich immer weniger Menschen leisten und Sozialwohnungen werden von Jahr zu Jahr knapper, da die Bindungen auslaufen und lange Zeit keine neuen gebaut wurden. In Stuttgart stehen gut 4.560 Haushalte auf der Warteliste – bei gerade einmal 150 Sozialwohnungen, die 2020 neu gebaut oder langfristig gesichert werden konnten.
Atmo: Falkertstraße
Autorin: Christian Holl mustert die Luxusapartments, zeigt auf eine Sitzgruppe auf einem großen Balkon im Erdgeschoss und schüttelt traurig den Kopf.
O-Ton Christian Holl: Diese Möbel, die hier stehen, sehen nicht so aus, als ob sie regelmäßig benutzt werden, stehen mehr so da, um zu zeigen, es könnte benutzt werden. Und es gibt genug Personen, die sich so etwas leisten können und für die so eine Wohnung dazu dient, wenn sie mal in der Stadt sind oder die sie vorhalten für Fälle, die irgendwann mal kommen, aber sie sonst nicht so intensiv benutzten.
Autorin: Gäbe es Wohnungen im Überfluss, würden Luxusapartments und ungenutzte Zweitwohnungen nicht weiter auffallen oder stören. Aber Tausende Wohnungen fehlen, gerade in den sieben größten deutschen Städten: Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf. Was können Städte gegen ungenutzte Wohnungen tun, frage ich mich?
Atmo: Heusteigstr. – „Guten Morgen“
Autorin: Ich treffe die Leerstandsaktivistin Britta Mösinger im angesagten Stuttgarter Süden. Wir stehen vor einem prunkvollen Gründerzeitgebäude. Es ist dreckig. Die Erdgeschossfenster auf der rechten Seite liegen hinter Gitterstäben, die Scheiben sind mit einer dicken Staubschicht überzogen, auf der linken Seite ist der Rollladen heruntergelassen. Eine der Eingangstüren ist mit einer Spanplatte verbarrikadiert. Ein älteres Ehepaar nähert sich dem Haus.
O-Ton Ehepaar/Autorin: Autorin: Wohnen Sie hier:
Ehemann: Ja
Autorin: Sind alle Wohnungen besetzt bei Ihnen?
Ehemann: Nein, nix besetzt. Früher war alles besetzt, jetzt sind drei oder vier Familien hier, früher waren hier 20 Familien, jetzt alle umgezogen und weg, glaube unser Hausbesitzer wollte das ganze Haus renovieren, wegen dem er vermietet nichts.
Autorin: Nur drei, vier Familien wohnen noch hier. Den Leerstand hier hat Britta Mösinger seit Jahren auf ihrer Liste stehen. Mösinger hat den „Leerstandsmelder” in Stuttgart etabliert, macht beim Aktionsbündnis „Recht auf Wohnen“ mit. Dank ihres Engagements gibt es in Stuttgart seit 2016 wieder ein Zweckentfremdungsverbot von Wohnraum. Allerdings darf Leerstand nur geahndet werden, wenn er nach dem 1. Januar 2016 entstanden ist und seit mehr als einem halben Jahr besteht.
O-Ton Britta Mösinger: Es ist einfach ein zahnloser Papiertiger, man hat zwei Stellen geschaffen, von denen ist unseres Wissens in der Verwaltung beim Amt für Liegenschaften und Wohnen auch nur eine besetzt. Und wie soll diese Person, die paar hundert Meldungen auf dem Tisch liegen hat, das alles abarbeiten alleine?
Autorin: Noch immer gibt es nach Erhebungen der Stadt 1.220 leerstehende Wohnungen in Stuttgart.
O-Ton Britta Mösinger: Unsere Forderung vom Aktionsbündnis und vom Leerstandsmelder wäre, dass man mindestens 12 Stellen dafür schafft, und dann hat man vielleicht den Erfolg, den es in anderen Städten auch schon hat. In München sind zum Beispiel mittlerweile Bußgelder in Höhe von zwei Millionen aufgerufen worden, in Summe, für alle Fälle, die bekannt waren.
Autorin: Seit das Zweckentfremdungsverbot in Stuttgart in Kraft getreten ist, wurden in weniger als fünf Fällen Geldbußen wegen Leerstands verhängt, teilt die Stadt auf meine mehrfachen Nachfragen für SWR2 Wissen mit. Eine Summe will sie nicht nennen.
Atmo: Straßengeräusch
Autorin: Doch es geht noch schlimmer, etwa in Frankfurt am Main. Denn in Hessen wurde 2004 das Gesetz abgeschafft, das Zweckentfremdung von Wohnraum verbietet. Leerstand kann somit nicht belangt werden und darf auch nicht erhoben werden. Schätzungen gehen von 10.000 leerstehenden Wohnungen in der Main-Metropole aus, Wohnraum, der dringend gebraucht wird. Die hessische SPD hatte 2019 einen Gesetzentwurf für die Wiedereinführung des Zweckentfremdungsverbots vorgelegt – bisher ohne Erfolg.
O-Ton Mieter: Ich wohne hier, dritter Stock. Schauen Sie mal die obere, aber die Rahmen, die Fenster, schauen Sie mal, die bisschen streichen vor langen Jahren, habe ich selber gemacht. Aber wenn die Winterzeit kommt, kommt es kalt rein. Wenn der Winter kommt, kommt kalt. Wenn die Winter kommt, mache ich mit dem Nagel die Scheibe zu, damit der nicht aufmacht. Aber kein Problem…
Atmo: Im Haus
Autorin: Das wunderbare Gründerzeitgebäude in Stuttgart ist in erbärmlichem Zustand. Treppenhaus und Fenster: voller Taubenschiss. Eine Mieterin fegt ein Taubennest weg, als ich mit Britta Mösinger die Treppen hochlaufe. Gegen den Inhaber des Altbaus wurde Klage erhoben, hatte mir die Stadt geschrieben. Seit Jahren sei ein Rechtsstreit anhängig. Für den Eigentümer mache das Verzögern und Hinausschieben durchaus Sinn, erklärt mir Mösinger:
O-Ton Britta Mösinger: In dem Fall ist es ja jetzt so, der Denkmalschutz, da muss man natürlich auch nach gewissen Vorgaben renovieren, das kostet viel Geld. Man müsste erstmal investieren, tut aber auch niemandem weh, wenn man das nicht macht, denn man wird auch nicht bestraft. Man kann einfach abwarten, und im besten Fall kommt dann noch ein anderer Investor, kauft's einem fürs Doppelte nochmal ab. Und das sind dann einfach diese kapitalistischen Interessen, die auf dem Wohnungsmarkt am allerbesten funktionieren.
Atmo: Wilhelm-Raabe-Straße
Autorin: Das sehe ich auch einige Häuserblocks weiter in der Wilhelm-Raabe-Straße. Aus dem Fenster im ersten Stock ragt eine Überwachungskamera, laienhaft mit Tape und Kabelbindern befestigt. Vier der fünf Briefkästen sind mit schwarzem Panzertape zugeklebt, die Rollläden runtergelassen.
O-Ton Britta Mösinger: Das war so, dass die Wohnung im EG und im 2. Stock schon leer waren und es auch angekündigt war, dass die anderen Mieter*innen auch raus müssen, es laufen bis heute Verfahren, dass die letzte Familie, die noch da ist, das Haus verlassen soll.
Das wurde angestoßen, als das Haus an eine Eigentümerfamilie im Ausland verkauft wurde. Die dann nicht gesagt haben, wir lassen alles so, wie es ist, wir besitzen jetzt das Haus und nehmen die Mieten ein, so wie sie sind. Sondern die hier eine Modernisierung anstreben.
Autorin: Auf Nachfrage bei der Stadt erfahre ich per Mail:
Sprecher: Die unteren Geschosse sollen saniert werden. Die beantragte Baugenehmigung für die Ausbauten im Dachgeschoss wurde vor wenigen Tagen erteilt.
O-Ton Britta Mösinger/Autorin: Autorin: Was sind die Folgen der Genehmigung der Stadt?
Mösinger: Dass, ich hoffe, tatsächlich mal modernisiert wird, und dann aber natürlich zu dem Preis, der dann mit der vorherigen Miete gar nichts mehr zu tun hat, sondern plus die Modernisierungskosten, die ja auf die Mieterinnen und Mieter umgelegt werden, hier wieder jemand einzieht und das wird sich dann sicher jenseits von 1.000 Euro für eine ganz normale Wohnung abspielen.
Autorin: Immobilien für horrende Preise kaufen und Wohnungen luxuriös sanieren: Woher kommt all das Geld dafür? Ich frage Sebastian Fiedler, der nicht nur Vorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter ist, sondern auch im Vorstand von Transparency Deutschland. Eine große Finanzquelle sei die Geldwäsche, sagt er.
O-Ton Sebastian Fiedler: Wenn man sich die Studie von Transparency anguckt, die sagt, dass mindestens 15 Prozent der kriminellen Erlöse am Ende in Immobilien wandern, und wenn wir dann daneben legen, dass eine der wenigen Studien von der Uni Halle davon ausgeht, dass wir über bis zu 100 Milliarden Euro pro Jahr rechnen, was Geldwäscheaktivitäten in Deutschland angeht, dann können Sie ungefähr hochrechnen, dass wir hier über keine Peanuts reden, sondern über veritable Größenordnungen, die ja auch was machen in der Wirtschaft. Das heißt, wenn solche Investments außerhalb der Legalwirtschaft passieren, dann kann das ja nicht gänzlich ohne Einfluss auf die Preisentwicklung sein. Das heißt, auf der einen Seite auf die Immobilienpreisentwicklung, und wenn ich das zu Ende denke, kann das auch nicht ohne Einfluss auf Mietpreisentwicklungen sein.
Autorin: Wer Geld schwarz erwirtschaftet, zahlt keine Steuern und hat in der Folge mehr Geld zur Verfügung, um es auszugeben. Für teure Immobilien etwa. Fiedler beklagt, dass der deutsche Staat zu wenig dagegen unternehme.
O-Ton Sebastian Fiedler: Wir haben keinerlei Begrenzungen bei Bargeldgeschäften im Unterschied zu vielen anderen europäischen Staaten. Wir haben bislang keine gute Transparenz bei der Frage: Wer ist denn wirklich Eigentümer, wirtschaftlich Berechtigter eines Unternehmens? Wir haben kein vernünftiges Register, das uns deutlich macht, wem in ganz Deutschland welche Immobilien gehören, das funktioniert nicht.
Autorin: Geldwäsche, Leerstand, Luxusapartments und Mieten in den Innenstädten, die kaum noch einer zahlen kann. Wie konnte es dazu kommen, dass Wohnungen zu derart lukrativen Geldanlagen geworden sind?
Mit dieser Frage wende ich mich an Stefan Rettich, Architekt und Professor für Städtebau, den ich in seinem Büro an der Uni Kassel treffe. Rettich sieht den Ursprung in den 70er-Jahren, als zu viele Wohnungen gebaut wurden und Sozialwohnungsbestände nicht mehr gebraucht wurden, weil die Menschen vermehrt in Einfamilienhäuser gezogen sind.
O-Ton Stefan Rettich: Und dann dachte man eigentlich, die Wohnungsfrage sei gelöst, so à la langue. Deswegen kam es dann 1990 zur Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz, davor waren eigentlich alle Wohnungsgesellschaften der Kommunen Genossenschaften, die konnten also keinen Gewinn erwirtschaften und mussten sozusagen den Gewinn reinvestieren, entweder in neue Wohnungen oder in den Bestandserhalt. Und mit der Aufhebung dieses Gesetzes war es möglich, Wohnungen zu privatisieren.
Autorin: Viele Kommunen witterten eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Die Stadt Dresden hat 2006 beispielsweise ihren kompletten Bestand verkauft, 60.000 Wohnungen. In Freiburg war dasselbe geplant, dort konnten massive Proteste der Bevölkerung einen Verkauf verhindern.
Die in der jüngsten Vergangenheit größte Auswirkung auf die Preisexplosionen am Immobilienmarkt hatte aber die Finanzkrise 2008, als Aktienmärkte plötzlich unsicher wurden und Anleger begannen, in Immobilien zu investieren.
O-Ton Stefan Rettich: Also wenn sie ein Häuschen kaufen, dann nehmen Sie einen Kredit auf und dann dauert das 15 Jahre, bis er abgezahlt ist und dann können Sie sich überlegen, verkaufe ich weiter oder nicht? Und so war das eben sehr lange sehr regional geprägt, sehr bestandsorientierte Immobilienmärkte. Und jetzt kommen plötzlich große, kapitalstarke Unternehmen mit Milliarden im Hintergrund und gehen in einen Markt rein, kaufen und überlegen sich dann eben schon eine Exitstrategie, ab wann sie wiederverkaufen.
Autorin: Verstärkt wird die Preisspirale am Immobilienmarkt bis heute durch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Sowohl Privatpersonen, die auf ihrem Sparbuch keine Zinsen mehr bekommen, als auch Versicherungen und Pensionsfonds investieren seit 2008 in Immobilien oder Immobilienfonds.
O-Ton Stefan Rettich: Das heißt, wenn Sie jetzt eigentlich nur eine Haftpflichtversicherung abschließen, also in eine Versicherung investieren, führt das im Umkehrschluss dazu, dass Ihre Miete vielleicht steigt.
Autorin: Und es gibt einen weiteren gewichtigen Grund für steigende Mieten und teure Immobilien, erfahre ich bei meinen Recherchen. Nämlich: die Bodenpreise. Das zeige sich vor allem in den teuren Städten, wo der Quadratmeter in Spitzenlagen 18.000 Euro und mehr kosten kann, erzählt mir Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik. Zu diesen Summen kommt es, weil der Boden ein knappes Gut ist. Man kann ihn nicht vermehren. Dass Grund und Boden zur Spekulationsware geworden sind, hält Ricarda Pätzold für höchstproblematisch. Denn:
O-Ton Ricarda Pätzold: Auf so teuren Flächen kann im Prinzip nur was gebaut werden, was ebenfalls eine sehr beachtliche Rendite bringt. Und das heißt Eigentumswohnungen, die dann wiederum 12.000 Euro pro Quadratmeter kosten im Penthaus. Aber das hat eben wenig mit breiten Schichten der Bevölkerung und der Stadtgesellschaft zu tun, die jetzt nicht zu den Hochvermögenden gehört.
Autorin: Eine Möglichkeit, die Bodenpreise wieder nach unten zu korrigieren, schlägt Stefan Rettich vor. Der Staat könnte eine Steuer auf die Wertsteigerung erheben.
O-Ton Stefan Rettich: Wenn man jetzt den Bodenwertzuwachs besteuern würde, dann wird es für viele Anleger nicht mehr attraktiv. Weil im Moment ist die Marge so hoch, weil der Gewinn nicht besteuert wird. Wenn der besteuert wird, gehen viele mit ihren Investments raus und suchen sich andere Anlagemöglichkeiten und dann kommt wieder Angebot und Nachfrage ins Spiel. Also wenn die Nachfrage nicht mehr so hoch ist, dann sinken auch die Preise wieder oder sie steigen nicht mehr so stark. Und dann können die Kommunen auch wieder besser erwerben.
Atmo: Roecklplatz
Autorin: Ich will die dramatischen Auswüchse am Immobilienmarkt selbst sehen und verabrede einen Spaziergang durch München. Mit Christian Stupka, Vorstand bei der genossenschaftlichen Wohnungsagentur in München. Stupka zeigt mir ein wunderschönes Häuserensemble aus der Gründerzeit am Roecklplatz – und erzählt zwei Geschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
O-Ton Christian Stupka: Das mittlere Haus, das ist im Jahr 2006 verkauft worden an einen Investor, der hat die Familie angelogen, der hat gesagt, das behalten wir und machen das langfristig als Mietwohnungen für die Mieter. Und kaum war die Tinte getrocknet unter dem notariell beglaubigten Kaufvertrag, hat der Druck auf die Mieter hier gemacht, hat eine grüne Plane vor das Haus gehängt und hat gesagt, jetzt wird hier erstmal richtig saniert. Und ist dann auf die Mieter zugegangen und hat gesagt: „Das werden Sie nicht erleben wollen, was jetzt hier passiert die nächsten Monate, und wollen Sie nicht gegen eine Abfindung ausziehen und den Mietvertrag beenden?“ Und der hat das leider geschafft.
Autorin: Zwei Jahre später hat der Investor die Wohnungen einzeln verkauft für 4.000 bis 4.700 Euro pro Quadratmeter. Gekauft hatte er den Quadratmeter für 2.000.
O-Ton Christian Stupka: So, und heute sind diese Wohnungen, und das ist jetzt eigentlich das nochmal Dramatischere an der Entwicklung, der Quadratmeterpreis ist auf 10.000 Euro und mehr hier gestiegen, oder wenn man es zusammenrechnet, seit 2006 um das Fünffache: von 2.000 auf 10.000 Euro. Und ein Beispiel, wie die Stadt schon seit längerem umsteuert, steht direkt daneben. Das ist jetzt ganz interessant, die sehen ja völlig baugleich aus…
Autorin: Das Haus nebenan gehört der Genossenschaft WOGENO, die Christian Stupka vor mehr als 25 Jahren mit Freunden gegründet hat.
O-Ton Christian Stupka: Das wurde von der Stadt im Vorkaufsrecht erworben, und die Stadt hatte damals eine ganz hervorragende Beschlusslage auf den Weg gebracht, dass nämlich dann, wenn Häuser wieder reprivatisiert werden, Genossenschaften bevorzugt werden, und zwar dann, wenn 75 Prozent der Mieter sich der Genossenschaft anschließen. Also haben wir dann von der Wogeno mit den Mietern diskutiert und hin und her, und die mussten ja Einlagen zeichnen, und wer das kann und wie das solidarisch jetzt alles geht.
Autorin: Fast alle Mieter haben zugesagt. So konnte die Wogeno das Haus 2007 schließlich kaufen, für einen Quadratmeterpreis von knapp 2.000 Euro.
O-Ton Christian Stupka: Und dann ist da ein tolles genossenschaftliches Leben in dem Haus entstanden, und heute wohnen da 50 Menschen, davon 20 Kinder. Also es gelingt dann auch wieder, die relativ großen und bequemen Wohnungen familienfreundlich zu belegen. Und die Miete ist unter zehn Euro netto kalt, und das ist ungefähr die Hälfte, was hier sonst mittlerweile gezahlt wird. Also so kann man dann Objekte in einen sicheren Hafen bringen und der Spekulation dauerhaft entziehen.
Autorin: Das Prinzip der Genossenschaften: Sie orientieren sich an der Kostenmiete. Gewinne werden nicht erwirtschaftet. Inzwischen gibt es in München fast 60 Genossenschaften, ihre Beliebtheit steigt. Trotzdem bekomme Deutschlands teuerste Stadt das Problem des zu wenigen und zu wenig bezahlbaren Wohnraums nicht in den Griff, beklagt Stupka.
O-Ton Christian Stupka: Man kann vielleicht auch umgekehrt sagen: Weil München eigentlich immer schon knappe Flächen hatte und Wohnungsmangel, war München so erfinderisch und stemmt sich mit verschiedenen Instrumenten gegen diese Entwicklungen, so gut sie kann, kommt aber diesem grundsätzlichen Problem nicht aus, solange halt der Grund und Boden weitgehend dem Markt überlassen ist, was ja eine Kommune auch gar nicht ausreichend eindämmen kann, dazu bräuchte es ja Bundesgesetze.
Autorin: Stupka erläutert mir die Bedeutung des Paragrafen 34 des Baugesetzbuchs. Dieser betrifft Innenstadtgebiete und besagt, dass in einer bereits bebauten Umgebung für eine noch freie oder wieder freiwerdende Fläche kein Bebauungsplan von der Stadt aufgestellt werden muss. Stupkas Einwand: Ohne neues Baurecht könne kein städtisches Innenentwicklungsmodell greifen, das Quoten für geförderten Wohnraum vorsieht. Damit haben Investoren freie Hand bei ihren Bauentscheidungen. Ein solches Ergebnis zeigt mir Stupka drei Minuten entfernt vom Roecklplatz, in einer riesigen Neubauanlage:
Atmo: Wohnanlage
O-Ton Christian Stupka: Hier sind Family-Offices und ähnliche gekommen, auch namenhafte Fußballspieler, und sagen, da nehme ich mal da drei Wohnungen und da oben das Penthaus nehme ich auch. Das war hier schon deutlich, dass das Anlageobjekte sind, wo Menschen, die ihr Geld einparken wollen, man redet ja auch von Betongold, kaufen sich ein, zwei, drei, vier, fünf oder auch zehn Wohnungen und vermieten die dann als Geldanlage.
Autorin: Ich frage mich auch, was die Bauträger mit solchen Wohnungen erreichen wollen?
O-Ton Christian Stupka: Wenn mein Geschäft darin besteht, dass ich ein Grundstück kaufe, Wohnungen errichte und die dann abverkaufe als Eigentumswohnungen, dann habe ich ja weniger das Wohnen im Sinn, als dass ich mein Kapital verwerten möchte.
Autorin: München hat dem Treiben inzwischen einen Riegel vorgeschoben und vergibt seine Bauvorhaben nur noch ans beste Konzept und nicht mehr gegen Höchstgebot. Die Stadt fördert außerdem Genossenschaften und unterschiedliche Bauträger.
Grundstücke verkauft sie nicht mehr, sondern verpachtet sie nur noch auf Zeit – im Erbbaurecht. Sogenannte leistungslose Gewinne aus Bodenwertsteigerungen schöpft die Stadt immer stärker ab.
Ich lerne bei meinen Recherchen Wortungetüme wie „Milieuschutzsatzung“ kennen: Auch die Milieuschutzsatzung hat München nämlich vorangetrieben, nach der die soziale Zusammensetzung eines Viertels erhalten bleiben muss – egal ob neu gebaut wird oder die Inhaber einer Immobilie wechseln. Eine weitere Maßnahme ist es, die Bodenpreise einzufrieren, wie es gerade im Norden und Nordosten Münchens passiert. Die Berliner Stadtforscherin Ricarda Pätzold erklärt mir, warum sie das für ein wichtiges Instrument hält:
O-Ton Ricarda Pätzold: Die Bodenpreise werden ja eingefroren, um die spekulative Vorwegnahme von Zukunft zu verhindern, und das ist natürlich genau richtig. Denn wenn jetzt alle Blütenträume wachsen, dann bin ich schon wieder bei Bodenpreisen von 6.000 Euro und dann habe ich schon wieder das Problem. Insofern ist das die einzige Möglichkeit, da ein zukünftiges Quartier zu entwickeln, was diese ganzen Ansprüche von Stadt, sozialgerecht usw. aufnehmen kann.
Autorin:
Auch die Mietpreisbremse und der Mietendeckel, wie in Berlin praktiziert, sind Möglichkeiten für Städte und Kommunen, die Preisexplosion bei den Mieten einzudämmen.
Ebenfalls immer wieder im Gespräch: Enteignungen. Im September sollen die Berliner Bürger per Volksentscheid über die Vergesellschaftung von Immobilienfirmen abstimmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen. Angestoßen hatte das Verfahren die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“. Überhaupt stellt sich mir immer stärker die Frage, warum Grund und Boden Privateigentum sein dürfen? Wo Wohnen doch zur Grundversorgung eines jeden Menschen gehört.
O-Ton Christian Stupka: Wenn ich sagen würde, das Wasser wird privatisiert, was ja zum menschlichen Leben auch eine Grundvoraussetzung ist, würde es einen Aufschrei geben. Oder wenn man sagen würde, die Luft wird privatisiert oder was, das wäre undenkbar. Und beim Boden ist es irgendwie ganz normal.
Autorin: Gemäß Artikel 15 des Grundgesetzes können Grund und Boden enteignet werden, um sie zu vergesellschaften. Das aber ist noch nie gemacht worden. Der deutsche Staat tut sich damit schwer aufgrund der Enteignungspraxis im Dritten Reich und in der DDR. Sowieso sind vor allem die Kommunen selbst aufgerufen, eine gute Bodenpolitik zu betreiben. Als Paradebeispiele gelten Ulm und Wien, die den Grund und Boden seit mehr als 100 Jahren der Spekulation entziehen.
O-Ton Ricarda Pätzold: Ulm ist ein Vorbild für die bodenpolitische lange Linie, weil Ulm ebenso wie Wien, im gesamten Wohnungsmarkt hat Ulm eine Bodenpolitik, von der sie seit über 100 Jahren nicht abgewichen sind. D.h. sie entwickeln Flächen nur, schaffen Baurecht nur, wenn das Land der Stadt gehört. Das versuchen inzwischen sehr viele Städte, auch zu implementieren.
Autorin: Die Österreicher sind schon einen Schritt weiter: Der Stadt Wien und ihren Genossenschaften gehören zusätzlich 60 Prozent der Mietwohnungen. Zum Vergleich: In Stuttgart sind sechs Prozent der Wohnungen im Besitz der städtischen Wohnungsbaugesellschaft und acht Prozent im Besitz von Genossenschaften, macht insgesamt 14 Prozent. Zu wenig, findet Ricarda Pätzold:
O-Ton Ricarda Pätzold: Wenn eine kommunale Gesellschaft, Genossenschaft unter 15 Prozent liegen, dann haben sie natürlich kaum diese Größe, dass sie auch in der Stadt wahrgenommen werden als Akteure und dass sie eine ausreichende Zahl von Menschen versorgen, die wiederum diesen Gedanken vielleicht auch in die Menschheit tragen.
Autorin: Je weniger Boden und Wohnungen Städte besitzen, desto weniger Einfluss haben sie auf die Mietpreise. Die Folge: Sie müssen jährlich Milliarden dafür aufwenden, um Menschen finanziell zu unterstützen, damit diese überhaupt ihre Miete zahlen können. Dabei müssen sie Quadratmeterpreise von 17 Euro und mehr akzeptieren. Insgesamt haben Städte, Länder und der Bund 2019 circa 17 Milliarden Euro für Wohngeldunterstützung ausgegeben.
O-Ton Ricarda Pätzold: Das ist eine ganze Menge. Und diese Summe ist in gewisser Weise stabil geblieben in den letzten Jahren, weil wir sehr starke Rückgänge an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften hatten. Wenn wir uns jetzt also, Corona-Krise, vorstellen, dass die Arbeitslosigkeit perspektivisch steigen wird, dann schlagen natürlich diese gestiegenen Einzelmietkosten deutlich stärker durch.
Atmo: Olgäle
Autorin: Auch Stuttgart will wieder Kontrolle über den Immobilienmarkt gewinnen. Die Stadt stellt privaten Investoren einige städtische Grundstücke verbilligt zur Verfügung.
Dafür müssen sich diese verpflichten, dort mindestens 50 Prozent geförderte Wohnungen zu bauen. Die Stadt unterstützt dazu verschiedenste Einzelprojekte. Das „Olgäle“ auf dem Areal des ehemaligen Kinderkrankenhauses gehört dazu. Die Häuser wirken bunt und belebt, in den gemeinschaftlich genutzten Gärten zwischen den Häusern wachsen die verschiedensten Blumen. Was der städtebauliche Wettbewerb, der durchgeführt worden war, gebracht hat, erzählt mir Christian Holl:
O-Ton Christian Holl: Dass die Grundstücke parzelliert worden sind, dass sie einzeln per Konzeptvergabe zum Festpreis vergeben wurden, dass hier Baugenossenschaften, Investoren, Baugemeinschaften investiert haben, dass es hier also tatsächlich einen Mix gibt, dass sich die Zivilgesellschaft eingemischt hat, mit dem Verein Olgäle e.V., dass es hier wirklich ein Miteinander von Zivilgesellschaft und Stadt gab, dass verschiedene Bauträger zum Zug gekommen sind, dass es möglich wurde, dass verschiedene Einkommensgruppen hier Wohnraum finden. Also hier ist schon sehr viel richtig gemacht worden.
Autorin: Genau solche Projekte schaffen eine Form des Zusammenlebens, die wichtig ist für eine Stadt. Das findet auch Christina Simon-Philipp, die ich als letzte Expertin meiner Recherche befrage. Sie ist Professorin für Stadtplanung und Städtebau an der Hochschule für Technik in Stuttgart.
O-Ton Christina Simon-Philipp: Wohnungsbau ist nicht nur ein Wirtschaftsgut, sondern in erster Linie ein Sozialgut, und das war jahrelang eben in einem totalen Ungleichgewicht, bis man gemerkt hat, das Sozialgut kippt uns irgendwo hinten runter. Und klar, wir brauchen eine super mutige und durchsetzungsstarke Politik. Und deswegen meine ich, das muss zur Chefsache werden.
Autorin:
Aber die gewachsenen Strukturen sind starr – in Stuttgart, wie anderswo:
O-Ton Christina Simon-Philipp: Die ganzen Ämter, die zum Beispiel Baumaßnahmen umsetzen sollten, hier die Schulsanierungen z.B., die können ja gar nicht die Schulsanierungen umsetzten, weil die Ämter so minderbesetzt sind, dass die gar nicht die Genehmigungen fertigstellen können. Deswegen hinkt das alles hinterher, die Gelder können nicht abgerufen werden, das heißt, die Stadt hat, sage ich mal, auch in ihrem eigenen Laden so gespart, dass viel zu wenige Mitarbeiter da sind.
Autorin: Wohnen, das bleibt vorerst ein soziales Problem unserer Zeit.
O-Ton Christina Simon-Philipp: Das ist eine wahnsinnig lukrative Geldanlage, Immobilien in Deutschland zu kaufen, und das hätte man sicherlich früher verhindern können oder in den Griff bekommen können, aber das ist natürlich so eine komplexe Geschichte, da kann man nicht nur sagen, eine Stadt allein ist Schuld, sondern dann ist das das Land, der Bund, das greift alles ineinander, die gesamte Politik hat da falsche Prioritäten gesetzt oder da nicht früh genug eingegriffen.
Autorin: Damit Wohnen wieder für alle bezahlbar wird, fordern verschiedene politische Initiativen, ein Recht auf Wohnen im Grundgesetz zu verankern. Ein Gesetzentwurf der Partei DIE LINKE liegt dem Deutschen Bundestag bereits vor.