Ronald Reagan – Der missverstandene US-Präsident?
MANUSKRIPT
OT 01 - Ronald Reagan (Rede 1987 open this gate):
Original: General Secretary Gorbachev, … tear down this wall!
Übersetzer: Generalsekretär Gorbatschow, wenn Sie nach Frieden streben – wenn Sie Wohlstand für die Sowjetunion und für Osteuropa wünschen – wenn Sie die Liberalisierung wollen, dann kommen Sie hierher zu diesem Tor.
Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor.
Atmo 1: Beifall, Begeisterungsrufe bei Rede
Übersetzer: Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder.
Sprecherin: Es ist der 12. Juni 1987. Der amerikanische Präsident Ronald Reagan spricht von einer Rednertribüne auf der Westseite des Brandenburger Tores in Berlin. Sein Wunsch: Die Mauer in Berlin soll endlich verschwinden. Damit fordert er nicht weniger als das Ende der Teilung Deutschlands.
Atmo 2: Reagan Rede als Hintergrund
Sprecherin: Der Politologe Michael Staack war an diesem Tag dabei. Damals ein 28jähriger Student der Freien Universität Berlin, lehrt er heute als Professor an der Universität der Bundeswehr in Hamburg und ist ein profunder Kenner des Amerikas der Reagan- Jahre.
OT 02 - Michael Staack (Universität der Bundeswehr): Ich habe Reagan sehr kritisch gesehen. Auf der einen Seite war Reagan ja ein amerikanischer Präsident, der den Konflikt mit der Sowjetunion verschärft hat, aus dessen Administration sehr harte Töne kamen. Ich war vielleicht ein paar Dutzend Meter entfernt von Ronald Reagan, und das war schon eine Überraschung, seine Aufforderung, die Mauer niederzureißen. Auf der anderen Seite hat man das eigentlich nicht als realpolitische Aufforderung angesehen, sondern, als eine Inszenierung an einem symbolträchtigen Ort.
Ansage: „Ronald Reagan – Der missverstandene US-Präsident?“ von Michael Hänel.
Atmo 3: Polizei, Sirenen, Wasserwerfer, Schreien
Sprecherin: Fünfzigtausend Demonstranten begleiten den Reagan-Besuch im Juni 1987, es kommt zu gewalttätigen Szenen. Wie kein anderer wird Reagan in Deutschland seit Jahren als kalter Krieger, als aggressiver Antikommunist abgelehnt. Die taz schreibt an diesem Tag:
Zitator: Dass zum Reagan-Besuch etwas passieren musste, stand fest. Es ist dabei keine Frage, dass Reagan selbst – und nicht so sehr die tatsächliche Politik seiner Administration im gegenwärtigen Augenblick – auch ein wirklicher Anlass war.
Reagan ist schließlich der Alptraum einer Generation und die Angst aller anderen. Sein Auftritt in der Geschichte hat bis in den privaten Alltag hinein den Weltuntergang gegenwärtig gemacht.
Sprecherin: Reagan als „Alptraum einer ganzen Generation“. Nicht etwa die versteinerte ostdeutsche Führung, verantwortlich für erschossene Flüchtlinge und Stasigefängnisse. „Weltuntergang“? Nur wenige Monate später im Dezember 1987 wird Reagan mit Gorbatschow den INF-Vertrag unterzeichnen und damit eine ganze Klasse an nuklearen Mittelstreckenwaffen beseitigen. Beide verringern damit das Risiko der Deutschen in Ost und West, Opfer einer nuklearen Auseinandersetzung zwischen den Weltmächten zu werden. An Gorbatschow erinnert in Berlin heute eine Büste vor dem Axel Springer Hochhaus, an Reagan gibt es in der Stadt keine öffentliche Erinnerung, kein Denkmal, keine Reagan-Straße. Ist unser Bild von Ronald Reagan ein großes Missverständnis?
Atmo 4: Schneesturm Geburtshaus
Sprecherin: Das Städtchen Tampico im US-Bundesstaat Illinois, 200 Kilometer östlich von Chicago. Ein zweistöckiges Holzhaus, Mainstreet 111. Das zu Hause von Jack und Nelle Reagan. Hier wird Ronald Wilson Reagan am 6. Februar 1911 geboren. In einfachen Verhältnissen. Die Mutter, eine streng-gläubige Hauswirtschafterin, pragmatisch, ein moralischer Anker für die ganze Familie. Der Vater ein harter Arbeiter, fleißig bodenständig und lebenslustig.
So beschreibt Ronald Reagan seine Eltern in seiner Autobiografie „Ein amerikanisches Leben.“
Zitator: Von ihm habe ich auch den Glauben geerbt, dass alle Männer und Frauen, ungeachtet ihrer Hautfarbe oder Religion, gleich geschaffen sind und dass jeder Mensch allein über sein Schicksal bestimmt, dass also sein Schicksal im Leben weitgehend von seinem eigenen Ehrgeiz und seiner harten Arbeit bestimmt wird.
Atmo 5: Musikakzent „America, the Beautiful“
Sprecherin: Das Gute anerkennen, das Schlechte verdrängen – wird ein Lebensmotto des Jungen. Und es gibt Schlechtes: Der Vater hat immer wieder mit dem Alkohol zu kämpfen. Nicht selten muss der junge Ronald ihn sturzbetrunken ins Bett verfrachten. Der Vater, so Reagan in der Rückschau, hatte ein gutes Herz, war aber in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise oft wochenlang auf Zechtour. Für die Familie wird das Überleben schwieriger. Man muss sich selbst helfen, nicht hadern oder zaudern. Mit dieser Haltung gelingt es Reagan später viele Menschen in den USA anzusprechen, die aus eigener Kraft Aufgestiegenen, die Mittelschicht. Sie werden Reagan zu seinen Wahlsiegen verhelfen: als Gouverneur in Kalifornien 1966 und zum Präsidenten 1980.
Atmo 6: Original-Nachrichten: Angriff auf Pearl Harbor 1941
Sprecherin: Doch zunächst kommt der Krieg. Im Dezember 1941 erzwingt Japan mit dem Überfall auf den amerikanischen Marinestützpunkt Pearl Harbor den Kriegseintritt der USA. Dieses Ereignis überrascht Reagan als Schauspieler in Hollywood. Nach dem Sport-College als Footballspieler und Jobs als Sportreporter war er 1937 nach Kalifornien gezogen. 200 Dollar die Woche bringen ihm seither Schauspieler-Jobs in Hollywood ein. Viel Geld zu dieser Zeit.
Atmo 7: Rolle Reagan Knute Rockne 1940 (Trailer)
Sprecherin: Berühmt wird Reagan mit seinen Filmauftritten nicht, aber beliebt. So verkörpert er beispielsweise 1940 die Football-Legende George Gipp der Universitätsmannschaft Notre Dame. Gipper ist seither der Spitzname Reagans, das Filmzitat „Win one for
the Gipper“ „Für den Gipper gewinnen“ wurde zum geflügelten Wort in den USA.
1942 bis 1945 wird Reagan selbst Soldat, kämpft aber nicht an der Front, sondern tritt als Schauspieler in Schulungsfilmen der US Air Force auf. Zuletzt dient er im Offiziersrang eines Captains.
Atmo 8: Musikakzent
Sprecherin: Nach dem Krieg arbeitet Reagan wieder als ziviler Schauspieler in Hollywood und als Fernsehmoderator. Zunehmend zieht es ihn in die Politik. Er wird Präsident der Schauspielergewerkschaft, neigt lange den Demokraten zu, schwenkt dann aber zu den Republikanern um. 1967 bis 1975 ist er Gouverneur von Kalifornien. Er wird schnell zum Feindbild linker Protestierender gegen den Vietnamkrieg, aber auch zum Vordenker und zur Integrationsfigur republikanischer, christlicher Konservativer.
Immer wieder erscheint in seinen Reden – mit deutlich biblischem Bezug – Amerika als Inbegriff der blühenden, leuchtenden Stadt auf dem Hügel, inmitten der tobenden Meere, die Stadt, die Freiheit und Wohlstand für alle Menschen der Welt verspricht. Das kommt gerade bei Gläubigen an. Und bei den „kleinen Leuten“, den traditionellen Amerikanern. Die erreicht er. Mit deutlicher Mehrheit gewinnt Reagan 1980 die Präsidentschaftswahl gegen den demokratischen Amtsinhaber Jimmy Carter.
Atmo 9: The Inauguration of Ronald Reagan 1981
Sprecherin: Am 20. Januar 1981 wird Reagan vor der Westseite des Capitols als 40. amerikanischer Präsident vereidigt, er ist 69 Jahre alt.
Kaum im Amt setzt Reagan vor allem auf Außenpolitik. Der sowjetischen Hochrüstung unter dem KP-Führer Breschnew will Reagan ein eigenes Aufrüstungsprogramm entgegenstellen, um überall auf der Welt dem Kommunismus die Stirn zu bieten: Offen militärisch und zivil, aber auch im Verborgenen der Geheimdienstwelten.
Mit Glück überlebt Reagan ein Attentat im März 1981 nur wenige Wochen nach der Amtseinführung. Noch im Krankenhaus stellt er weiter seine außenpolitische Mannschaft zusammen. Der Historiker Richard Pipes wird Chef des Sowjetunion- Referats im Weißen Haus. Er warnt Reagan vor der aggressiven Politik der Sowjetunion der Breschnew-Jahre und vor der Sichtweise des Kreml, einen Atomkrieg siegreich überstehen zu können, wenn man nur genügend, und immer mehr Atomwaffen im Einsatz hätte. Auf Kosten der sowjetischen Wirtschaft.
OT 03 - Richard Pipes (Reagans Osteuropa-Berater): I even had the difficult persuading the president of that, /the way we did about the utility of nuclear weapons.
Übersetzer: Ich hatte große Schwierigkeiten, den Präsidenten davon zu überzeugen, dass die Russen ganz anders denken.
Reagan konnte einfach nicht glauben, dass den russischen Führern das Wohlergehen ihres Volkes gleichgültig war.
Er dachte, wenn es dem russischen Volk schlecht geht, dann deshalb, weil seine Führer dem Marxismus-Leninismus folgen. Davon könne man sie abbringen, Sie würden sich ändern, und sie würden Russland Wohlstand bringen.
Ich sagte nein, Herr Präsident. Sie wollen nicht, dass die Menschen wohlhabend sind. Sondern, dass die Menschen völlig abhängig von ihnen bleiben. Schwach und arm.
Er konnte das nicht verstehen, weil er so ein netter Typ war. Ich hatte eine Menge Diskussionen. Doch so langsam wurde klar, dass die Russen auch beim Einsatz von Atomwaffen anders dachten als wir.
Atmo 10: Musikakzent
Sprecherin: In der damaligen Bundesrepublik hingegen, setzen Politik und Öffentlichkeit auf „Wandel durch Annäherung“. Also auf die Kooperation mit der DDR und der Sowjetunion. Konfrontation mit den Regimen in Moskau oder Ostberlin wird vermieden.
Der neue US-Präsident dagegen spricht von Anfang an Klartext mit der Sowjetunion. Zum Beispiel am 17. Mai 1981, beim ersten öffentlichen Auftritt Reagans nach dem Attentat. Eine außenpolitische Grundsatzrede an der katholischen Universität von Notre Dame östlich von Chicago. Hier hatte Reagan 1940 den Gipper gespielt. Von den Studenten allein deshalb umjubelt, rechnet er bei dieser Rede mit dem Kommunismus als Heilslehre ab.
OT 04 - Rede Ronald Reagan (17. Mai 1981, Universität Notre Dame): For the West, for America, / pages are even now being written.
Übersetzer: Es ist die Zeit gekommen, für den Westen, für Amerika, der Welt zu zeigen, dass unsere Ideen von Zivilisation, unsere Traditionen, unsere Werte nicht wie die Ideologie und die Kriegsmaschine von totalitären Gesellschaften – nur bloße Machtfassade sind.
Der Westen wird den Kommunismus nicht eindämmen. Er wird den Kommunismus überwinden. Er wird sich nicht die Mühe machen, ihn abzutun oder anzuprangern, er wird ihn als irgendein bizarres Kapitel der Menschheitsgeschichte ansehen, dessen letzte Seiten gerade jetzt geschrieben werden.
Atmo 11: Spasskij Turm Kreml, SS-20 Raketen
Sprecherin: Das vergreiste Politbüro unter Generalsekretär und Staatschef Leonid Breschnew scheint derweil die Lage im eigenen Land nicht zu begreifen, schafft es nicht, notwendige politische und wirtschaftliche Reformen in Gang zu bringen. Stattdessen erwarten die Sowjets einen atomaren Erstschlag des Westens. Deshalb setzt die Sowjetunion schon seit den 70er Jahren auf atomare Aufrüstung, auf außenpolitische Expansion, auf Krieg in Afghanistan, um als Weltmacht anerkannt zu werden.
Kernstück des nuklearen Modernisierungsprogramms sind moderne, mobile sowjetische Raketen vom Typ SS-20. Von Abschussstationen im europäischen Teil der Sowjetunion könnten die Raketen theoretisch innerhalb von Minuten jede Stadt Westeuropas erreichen. Mitte 1981 sind 250 Raketen mit 750 nuklearen Sprengköpfen abschussbereit.
Atmo 12: Tagesschau, 10.10.1981, Friedensdemo
Sprecherin: In der Bundesrepublik des Jahres 1981 treibt die Menschen aber nicht die sowjetische Hochrüstung auf die Straße. Es sind Reagans antikommunistische Reden und Rüstungsprogramme, die große Irritationen und Verärgerung hervorrufen, und Ängste vor einem drohenden Dritten Weltkrieg auslösen.
Sprecherin: Mit 300.000 Teilnehmern ist die „Friedensdemonstration für Abrüstung und
Entspannung in Europa“ im Oktober 1981 im Bonner Hofgarten die bis dahin größte Demo in der Geschichte der Bundesrepublik. Im Zentrum der Kritik: der 1979 verabschiedete NATO-Doppelbeschluss. Damit hatte die NATO auf die Bedrohung durch sowjetische SS-20 Raketen reagiert, mit der Stationierung von eigenen Raketen vom Typ Pershing II in Westeuropa. Dagegen protestieren die Demonstranten, aber auch gegen Reagan persönlich: Der „Kriegstreiber“. Der
„Unberechenbare“. Der „Alptraum einer ganzen Generation.“
OT 05 - Friedbert Pflüger (Zeitzeuge über Reagan): Und in der ersten Amtsperiode hat er ja alle Vorurteile gegen ihn bestätigt. Da ist das Reich des Bösen – die Sowjetunion, das Reich des Guten – Amerika, also einfach nur schwarz und weiß, Gut und Böse. Und der Versuch, die Russen und den Warschauer Pakt kaputt zu rüsten durch immer mehr Rüstungsprogramme.
Sprecherin: Erinnert sich Friedbert Pflüger, lange Jahre CDU-Außen- und Sicherheitspolitiker in Berlin. Anfang der 80er Jahre promovierte er in Bonn zum Thema amerikanische Menschenrechtspolitik.
OT 05 - Friedbert Pflüger (weiter): Und das haben wir in Westdeutschland damals mit großer Sorge gesehen, weil wir die Befürchtung hegten, dass damit die Entspannungspolitik, die unter Kissinger begonnen hatte, dann Carter fortgesetzt hatte,..., dass die beendet würde.
Sprecherin: Die Befürchtungen bestanden nicht ganz zu Unrecht. Denn Reagan konnte nicht nur flammende Reden gegen den Kommunismus halten. In den Jahren 1981 und 1982 ordnet er zahlreiche Geheimdienstoperationen zur aktiven Unterstützung von Oppositionellen in ganz Osteuropa an. Vieles davon ist nach wie vor geheim. 1982 erlässt er die National Security Decision Directive Nr. 54. Sie fasste Maßnahmen zusammen, wie der Einfluss der Sowjetunion in Osteuropa geschwächt werden konnte. So sollte langfristig der Umsturz in den kommunistischen Ländern bewirkt werden, von der Auslösung „friedlicher Revolutionen“ wird darin gesprochen.
Atmo 13: Bazylika Stanislawa innen Krakow
Sprecherin: Zwei weitere weltgeschichtliche Ereignisse prägen in diesen Jahren das Handeln des US-Präsidenten: der sowjetische Krieg in Afghanistan und die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Polen. Partner im Geiste gegen den Kommunismus war in diesen Jahren vor allem Karol Wojtyła, der polnische Papst Johannes Paul II.
Atmo 14: Eröffnung Denkmal Pope / Reagan Gdansk
Sprecherin: Ein Park im polnischen Gdansk an der Ostsee. Ein Denkmal. So als wären sie leibhaftig da, schreiten Johannes Paul II. und Ronald Reagan einen Weg entlang. Den Kopf in Sorge gesenkt der Papst. Ihm zugewandt, zuhörend, der Präsident.
2012 wurde dieses Denkmal von ehemaligen Bürgerrechtlern errichtet. Nur wenig entfernt vom Eingangstor der ehemaligen Lenin-Werft.
Atmo 15: Originaltöne Gdansk Lenin Werft 1980 SDR
Sprecherin: Hier streiken im Sommer 1980 tausende Polen und demonstrieren lautstark ihre Unterstützung für die Gewerkschaft Solidarność.
Ohne Erfolg. Nur Monate später herrscht in Polen das Militär, Solidarność wird verboten, Aktivisten der Demokratiebewegung eingesperrt.
Der polnische Papst macht Reagan auf die Lage in seinem Heimatland aufmerksam. Bei einer Europareise Anfang Juni 1982 trifft Reagan ihn in Rom.
Atmo 16: Musikakzent „America, the Beautiful“
Sprecherin: In seinem Tagebuch schreibt er über den Tag in Rom:
Zitator: Alle weinten, weil eine Gruppe amerikanischer Priester America the Beautiful sang.
Sprecherin: Von seinem Treffen mit Johannes Paul II. steht da nichts. Keine Tagesordnung, keine Notizen. Es gibt keine. Nur ein Foto existiert. Doch das Treffen liefert die Munition für Reagans Rede am Folgetag – dem 8. Juni 1982 – vor dem britischen Parlament.
OT 06 - Ronald Reagan (Rede Brit. Parlament, 8.6.1982): In the Communist world as … in Czechoslovakia, 1981 in Poland.
Übersetzer: Auch in der kommunistischen Welt kommt der instinktive Wunsch der Menschen nach Freiheit und Selbstbestimmung immer wieder hervor. Obwohl es so düstere Erinnerungen daran gibt, wie brutal die Machthaber dieses Streben nach Selbstbestimmung erstickten: 1953 im Osten Deutschlands, 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei, 1981 in Polen.
OT 06 - Ronald Reagan (weiter Rede Brit. Parlament, 8.6.1982): But the struggle continues … to assist the campaign for democracy.
Übersetzer: Aber in Polen geht der Kampf weiter. Und wir wissen, dass es sogar diejenigen gibt, die für die Freiheit innerhalb der Grenzen der Sowjetunion selbst leiden. Und was machen wir in den westlichen Demokratien, wenn dieser Trend zur Freiheit anhält?
Wenn wir im Rest dieses Jahrhunderts Zeugen werden, wie überall Freiheit und demokratische Ideale allmählich wachsen. Dann müssen wir aktive Maßnahmen ergreifen, helfen, für sie zu Felde zu ziehen, im Kampf für die Demokratie.
Sprecherin: Polen, sagt Reagan in dieser Rede weiter, liege genau so weit entfernt von Moskau wie von Brüssel. Werde es nicht Zeit, die Polen wieder nach Europa zurückzuholen. Das war ganz im Sinne des polnischen Papstes.
In Deutschland wurde von dieser Rede Ronald Reagans in der Öffentlichkeit nur wahrgenommen, dass Reagan – wie er es in der Rede wieder einmal ausdrückt – „den Marxismus-Leninismus auf den Müllhaufen der Geschichte“ werfen wolle. Sein Aufruf, eine große Kampagne des Westens zur Beseitigung von Unfreiheit und Unterdrückung im Osten zu starten, fand dagegen in Deutschland keine Beachtung. Am gleichen Tag schreibt der SPIEGEL:
Zitator: Ronald Reagan (ist) zugleich Weltschreck und gutherziger Großvater, kriegslüsterner Friedensfreund und friedensliebender Krieger. Er ist ohne Frage einer der ideologischsten Präsidenten der USA, ein Mann, fest entschlossen, seine simplen Gedanken durchzusetzen.
Sprecherin: Entschlossen beginnt Reagan gegen Ende seiner ersten Amtszeit auch ein Programm zur Weltraumbewaffnung: SDI – Strategic Defence Initiative. Auch „Krieg der Sterne“ genannt.
Atmo 17: SDI Werbefilm
Sprecherin: Im Grunde ein Milliardenprogramm zur Schaffung technologischer Überlegenheit gegenüber der Sowjetunion. Eine Vision computergesteuerter Kriegsführung. Aus Reagans Sicht war SDI ein weiterer Baustein einer Politik zur Verhinderung eines alles zerstörenden Atomkrieges.
Atmo 17: SDI Werbefilm (weiter)
Sprecherin: November 1984. Ronald Reagan wird wiedergewählt. Mit einer gewaltigen Mehrheit in fast allen Bundesstaaten der USA.
OT 07 - Wiederwahl 1984 SWR Nachrichten Archiv: Der große Gewinner Ronald Reagan äußerte sich heute Morgen erstmals öffentlich in Los Angeles zu seinem Sieg und dankte dabei vor allem seinem bisherigen und auch zukünftigen Vize George Bush.
OT 08 - Wiederwahl 1984 SWR Nachrichten II Archiv: Zu den Bonner Reaktionen. Zunächst Bundeskanzler Helmut Kohl: „Ich glaube, das ist ein sehr persönlicher Erfolg von Ronald Reagan, einem Mann, der ja in Europa, nicht zuletzt in der Bundesrepublik, völlig verkannt wird. Ich kenne ihn recht gut, wir haben freundschaftliche Beziehungen, und die Geradlinigkeit seines Wesens und auch die Stärke seiner Überzeugungsfähigkeit hat ihn sicherlich zu diesem Wahlsieg verholfen.“
Sprecherin: Schon gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit zeigt sich bei Reagan eine neue Sichtweise auf das Thema Rüstung und Atomwaffen. So wendet er sich bei seiner Rede zur Lage der Nation im US-Kongress im Januar 1984 auch an die Sowjetunion:
OT 09 - Ronald Reagan (Rede 1984, State of the Union, 25.1.1984): People of the Soviet Union…do away with them entirely?
Übersetzer: Bürger der Sowjetunion – es gibt nur eine vernünftige Politik. Dass ihr Land und unseres die Zivilisation bewahrt. Ein nuklearer Krieg kann nicht gewonnen werden und darf niemals geführt werden. Der einzige Zweck des Atomwaffenbesitzes unserer Nationen besteht darin sicher zu gehen, dass diese nicht benutzt werden. Wäre es dann nicht aber besser, sie komplett abzuschaffen?
Sprecherin: Bald bekommt Reagan für diese neue Sichtweise Unterstützung im Osten: Im März 1985 kommt in Moskau Michail Gorbatschow an die Macht. Gorbatschow hatte verstanden, dass ein Nuklearkrieg auch von der Sowjetunion nicht zu gewinnen war. Im Laufe des Jahres 1985 beginnen Rüstungskontroll-Gespräche, im November treffen sich Reagan und Gorbatschow in Genf und sprechen miteinander über Abrüstung.
Atmo 18: Reagan Meeting Gorbachev 1986
Sprecherin: Beim Gipfel von Reykjavik 1986 führen sie die Gespräche weiter und 1987 unterzeichnen beide den INF Vertrag über die Vernichtung nuklearer Mittelstreckenraketen. Der Politologe Michael Staack:
OT 10 - Michael Staack (Reagans Verdienst): Und ich würde in der Tat Reagans Verdienste nun nicht sehen bei irgendwelchen CIA-Operationen, sondern als in dem Moment Gorbatschow seine neue Politik begonnen hat, Reagan ja gesagt hat. Das nehmen wir ernst. Wir nehmen Gorbatschow beim Wort, wie es auch Hans-Dietrich Genscher, der deutsche Außenminister, damals gesagt hat. Wir verhandeln, und wir kommen zu Rüstungskontrolle und Abrüstung und dann auch zum Wandel der Systeme. Das ist, denke ich, glaube ich, wirklich die historische Leistung von Ronald Reagan. Diese Chance, ergriffen zu haben und konstruktiv geantwortet zu haben.
Sprecherin: Die positive Entwicklung beim Thema Abrüstung wird überschattet von der sogenannten Iran Contra Affäre.
Im Herbst 1986, kurz vor dem Treffen mit Gorbatschow in Reykjavik flog sie auf. Über Tarnfirmen hatten die USA Waffen an den Iran verkauft. Von den Erlösen antikommunistische Rebellen in Nicaragua, die sogenannten Contras, finanziert. Alles an Parlament und Öffentlichkeit vorbei. Im Geheimen, obwohl der Kongress jede Unterstützung der Contras verboten hatte. Reagan drohte deshalb sogar ein Amtsenthebungsverfahren. Doch eine einberufene Untersuchungskommission konnte nicht abschließend klären, inwieweit Reagan in die Affäre verwickelt war. Bis heute ist unklar, wie viel er von den Vorgängen wusste.
Atmo 19: Musikakzent „America, the Beautiful“
Sprecherin: Was bleibt von Ronald Reagan? Im heutigen Berlin – ungeteilt, mauerlos – gibt es fast nichts, das an den Mann erinnert, der dazu aufgerufen hat, die Mauer niederzureißen: „Tear down this wall!“
Keine Straße, keinen Platz, keine Haltestelle. Kein Denkmal.
Nur eine kleine Gedenkplatte in der Nähe der ehemaligen Mauerlinie.
Atmo 20: Denkmal Dach US-Botschaft, Beifall, Stimmen, Fotografen
Sprecherin: Doch ein Denkmal gibt es. Ein verstecktes. Im November 2019 wird auf dem Dach der US-Botschaft am Brandenburger Tor eine Reagan-Statue enthüllt. Lebensgroß in leuchtende Bronze gegossen. Haltung und Mimik erinnern an seine Rede vom Juni 1987, so blickt Ronald Reagan seither hinunter zum Brandenburger Tor.
OT 12 - Michael Staack (in 20 Jahren): Ich befürchte, dass heute in Deutschland die Erinnerung an Reagan insgesamt kaum noch vorhanden ist. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass vielleicht mit mehr historischem Abstand, in zehn oder 20 Jahren mal Biografien erscheinen werden, die ein umfassenderes und damit auch ausgewogeneres Bild von Ronald Reagan und seinen Leistungen, aber auch seinen Defiziten vermitteln werden.
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