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Die schwarze Spinne - Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne - 04

Die schwarze Spinne - 04

Zunächst der Kirche stand das Wirtshaus, die so oft in naher Beziehung stehen und Freud und Leid miteinander teilen und zwar in allen Ehren. Dort stellte man ab, machte das Bübchen trocken, und der Kindbettimann bestellte eine Maß, wie sehr auch alle einredeten, er solle doch das nicht machen, sie hätten ja erst gehabt, was das Herz verlangt, und möchten weder Dickes noch Dünnes. Indessen, als der Wein einmal da war, tranken doch alle, vornehmlich die Jungfrau; die wird gedacht haben, sie müsse Wein trinken, wenn jemand ihr Wein geben wolle, und das geschehe durch ein langes Jahr durch nicht manchmal. Nur die Gotte war zu keinem Tropfen zu bewegen trotz allem Zureden, das kein Ende nehmen wollte, bis die Wirtin sagte: man solle doch nachlassen mit Nötigen, das Mädchen werde ja zusehends blässer, und Hoffmannstropfen täten ihm nöter als Wein. Aber die Gotte wollte deren auch nicht, wollte kaum ein Glas bloßes Wasser, mußte sich endlich einige Tropfen aus einem Riechfläschchen aufs Nastuch schütten lassen, zog unschuldigerweise manchen verdächtigen Blick sich zu und konnte sich nicht rechtfertigen, konnte sich nicht helfen lassen. An gräßlicher Angst litt die Gotte und durfte sie nicht merken lassen. Es hatte ihr niemand gesagt, welchen Namen das Kind erhalten solle, und den die Gotte nach alter Übung dem Pfarrer, wenn sie ihm das Kind übergibt, einzuflüstern hat, da derselbe die eingeschriebenen Namen, wenn viele Kinder zu taufen sind, leicht verwechseln kann.

Im Hast ob den vielen zu besorgenden Dingen und der Angst, zu spät zu kommen, hatte man die Mitteilung dieses Namens vergessen, und nach diesem Namen zu fragen, hatte ihr ihres Vaters Schwester, die Base, ein für allemal streng verboten, wenn sie ein Kind nicht unglücklich machen wolle; denn sobald eine Gotte nach des Kindes Namen frage, so werde dieses zeitlebens neugierig.

Diesen Namen wußte sie also nicht, durfte nicht darnach fragen, und wenn ihn der Pfarrer auch vergessen hatte und laut und öffentlich darnach fragte oder im Verschuß den Buben Mädeli oder Bäbeli taufte, wie würden da die Leute lachen und welche Schande wäre dies ihr Leben lang! Das kam ihr immer schrecklicher vor; dem starken Mädchen zitterten die Beine wie Bohnenstauden im Winde, und vom blassen Gesichte rann ihm der Schweiß bachweise.

Jetzt mahnte die Wirtin zum Aufbrechen, wenn sie vom Pfarrer nicht wollten angerebelt werden; aber zur Gotte sagte sie: »Du, Meitschi, stehst das nicht aus, du bist ja weiß wie ein frischgewaschenes Hemd.« Das sei vom Laufen, meinte diese, es werde ihr wieder bessern, wenn sie an die frische Luft komme. Aber es wollte ihr nicht bessern, ganz schwarz schienen ihr alle Leute in der Kirche, und nun fing noch das Kind zu schreien an, mörderlich und immer mörderlicher. Die arme Gotte begann es zu wiegen in ihren Armen, heftiger und immer heftiger, je lauter es schrie, daß Blätter stoben von ihrem Malen an der Brust. Auf dieser Brust ward es ihr enger und schwerer, laut hörte man ihr Atemfassen. Je höher ihre Brust sich hob, um so höher flog das Kind in ihren Armen, und je höher es flog, um so lauter schrie es, und je lauter es schrie, um so gewaltiger las der Pfarrer die Gebete. Die Stimmen prasselten ordentlich an den Wänden, und die Gotte wußte nicht mehr, wo sie war; es sauste und brauste um sie wie Meereswogen, und die Kirche tanzte mit ihr in der Luft herum. Endlich sagte der Pfarrer »Amen«, und jetzt war der schreckliche Augenblick da, jetzt sollte es sich entscheiden, ob sie zum Spott werden sollte für Kind und Kindeskinder; jetzt mußte sie das Tuch abheben, das Kind dem Pfarrer geben, den Namen ihm ins rechte Ohr flüstern. Sie deckte ab, aber zitternd und bebend, reichte das Kind dar, und der Pfarrer nahm es, sah sie nicht an, frug sie nicht mit scharfem Auge, tauchte die Hand ins Wasser, netzte des plötzlich schweigenden Kindes Stirne und taufte kein Mädeli, kein Bäbeli, sondern einen Hans Uli, einen ehrlichen, wirklichen Hans Uli.

Da war's der Gotte, als ob nicht nur sämtliche Emmentalerberge ihr ab dem Herzen fielen, sondern Sonne, Mond und Sterne, und aus einem feurigen Ofen sie jemand trage in ein kühles Bad; aber die ganze Predigt durch bebten ihr die Glieder und wollten nicht wieder stille werden. Der Pfarrer predigte recht schön und eindringlich, wie eigentlich das Leben der Menschen nichts anders sein solle als eine Himmelfahrt; aber zu rechter Andacht brachte es die Gotte nicht, und als man aus der Predigt kam, hatte sie schon den Text vergessen. Sie mochte gar nicht warten, bis sie ihre geheime Angst offenbaren konnte und den Grund ihres blassen Gesichtes. Viel Lachens gab es, und manchen Witz mußte sie hören über die Neugierde, und wie sich die Weiber davor fürchten und sie doch allen ihren Mädchen anhängten, während sie den Buben nichts täte. Da hätte sie nur getrost fragen können.

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Die schwarze Spinne - 04 The black spider - 04 L'araignée noire - 04 A aranha negra - 04 Черный паук - 04

Zunächst der Kirche stand das Wirtshaus, die so oft in naher Beziehung stehen und Freud und Leid miteinander teilen und zwar in allen Ehren. |||||||||||||||||||||||onore Next to the church was the inn, for these two institutions so often stand close to one another, sharing joy and suffering together, and what is more, in all honour. Dort stellte man ab, machte das Bübchen trocken, und der Kindbettimann bestellte eine Maß, wie sehr auch alle einredeten, er solle doch das nicht machen, sie hätten ja erst gehabt, was das Herz verlangt, und möchten weder Dickes noch Dünnes. ||||||||||||||||||argued||||||||||||||||||||| ||||||||||letto per bambini||||||||persuade||||||||||||||||||||| There a halt was made, the baby was changed, and the father ordered three litres of wine, although everyone protested that he shouldn’t do it, they’d only just had all the heart could desire, and they wanted nothing, great or small. Indessen, als der Wein einmal da war, tranken doch alle, vornehmlich die Jungfrau; die wird gedacht haben, sie müsse Wein trinken, wenn jemand ihr Wein geben wolle, und das geschehe durch ein langes Jahr durch nicht manchmal. ||||||||||primarily|||||||||||||||||||happens||||||| ||||||||||principalmente|||||||||||||||||||succede||||||| Even so, once the wine was there, they all drank, especially the maid; she presumably thought she had to drink wine whenever anybody offered it to her, and that wouldn’t happen often from one year’s end to the next. Nur die Gotte war zu keinem Tropfen zu bewegen trotz allem Zureden, das kein Ende nehmen wollte, bis die Wirtin sagte: man solle doch nachlassen mit Nötigen, das Mädchen werde ja zusehends blässer, und Hoffmannstropfen täten ihm nöter als Wein. ||||||||||||||||||||||||||||||||kalpeammaksi||Hoffmannin tippa|||nöter|| |||||||||||urging|||||||||||||||||||||paler||Hoffmann's drops|would do||more|| ||Gott|||||||||persuasione|||||||||||||allentare||sollecitare||||||||Hoffmannstropfen||||| Only the godmother could not be persuaded to touch a drop, in spite of her being pressed as if they would never stop, until the innkeeper’s wife said they ought not to force her, the girl was becoming visibly paler, and Hoffmann’s Drops would do her more good than wine. Aber die Gotte wollte deren auch nicht, wollte kaum ein Glas bloßes Wasser, mußte sich endlich einige Tropfen aus einem Riechfläschchen aufs Nastuch schütten lassen, zog unschuldigerweise manchen verdächtigen Blick sich zu und konnte sich nicht rechtfertigen, konnte sich nicht helfen lassen. ||||||||||||||||||||tuoksupullosta||nenäliinaan||||syyttömästi||||||||||||||| ||||||||||||||||||||scent bottle||handkerchief||||innocently||||||||||||||| But the godmother did not want anything like that, scarcely wanted even a glass of wine, in the end had to allow a few drops from a bottle of smelling salts to be shaken onto her handkerchief, attracted in her innocence many a suspicious glance and could not justify herself or say what she needed. An gräßlicher Angst litt die Gotte und durfte sie nicht merken lassen. |kauheasta|||||||||| |||||||could|||| The godmother was suffering from a ghastly fear and could not say anything about it. Es hatte ihr niemand gesagt, welchen Namen das Kind erhalten solle, und den die Gotte nach alter Übung dem Pfarrer, wenn sie ihm das Kind übergibt, einzuflüstern hat, da derselbe die eingeschriebenen Namen, wenn viele Kinder zu taufen sind, leicht verwechseln kann. ||||||||||||||||||||||||||kuiskata|||||ilmoitetut|||||||||| ||||||||||||||||||||||||||whisper|||||registered||||||baptize|||| Nobody had told her what name the baby was to have, and according to old custom it is the godmother’s duty to whisper the name to the pastor on handing the child over to him, since the pastor could easily confuse the names that have been registered with him if there are many children to be baptized.

Im Hast ob den vielen zu besorgenden Dingen und der Angst, zu spät zu kommen, hatte man die Mitteilung dieses Namens vergessen, und nach diesem Namen zu fragen, hatte ihr ihres Vaters Schwester, die Base, ein für allemal streng verboten, wenn sie ein Kind nicht unglücklich machen wolle; denn sobald eine Gotte nach des Kindes Namen frage, so werde dieses zeitlebens neugierig. ||||||huolehtivien||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| ||||||concerning||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||for life| In their hurry about the many things that had to be done and in their fear of coming too late, they had forgotten to inform her of the name, and her father’s sister, her aunt, had once and for all strictly forbidden her to ask what the name was, unless she really wanted to make a child unhappy; for as soon as a godmother asked about a child’s name, this child would become inquisitive for his whole life.

Diesen Namen wußte sie also nicht, durfte nicht darnach fragen, und wenn ihn der Pfarrer auch vergessen hatte und laut und öffentlich darnach fragte oder im Verschuß den Buben Mädeli oder Bäbeli taufte, wie würden da die Leute lachen und welche Schande wäre dies ihr Leben lang! ||||||||||||||||||||||||||Verschuß|||tyttö||vauva|kastaa|||||||||||||| ||||||||||||||||||||||||||secret|||little girl||baby|baptized|||||||||||||| Thus she did not know the child’s name, might not ask about it, and if the pastor had also forgotten it and asked what it was loudly in public or else made a mistake and christened the boy Magdalena or Barbara, how people would laugh and what a humiliation this would be her whole life through! Das kam ihr immer schrecklicher vor; dem starken Mädchen zitterten die Beine wie Bohnenstauden im Winde, und vom blassen Gesichte rann ihm der Schweiß bachweise. |||||||||||||pavunvarsilla||||||kasvosta|||||jokseenkin This appeared to her as ever more terrible; the strong girl’s legs trembled like bean plants in the wind, and the sweat poured off her pale face in streams.

Jetzt mahnte die Wirtin zum Aufbrechen, wenn sie vom Pfarrer nicht wollten angerebelt werden; aber zur Gotte sagte sie: »Du, Meitschi, stehst das nicht aus, du bist ja weiß wie ein frischgewaschenes Hemd.« Das sei vom Laufen, meinte diese, es werde ihr wieder bessern, wenn sie an die frische Luft komme. ||||||||||||ärsyttää||||||||tyttö|||||||||||puhdas||||||||||||||||||| ||||||||||||rebuked||||||||girl|||||||||||freshly washed||||||||||||||||||| At this point the innkeeper’s wife urged them to depart, if they wanted to avoid being hauled o’er the coals by the pastor; but to the godmother she said, “You’ll never go through with it, lass, you’re as white as a newly washed shirt.” That was from running, the godmother asserted, it would get better again when she came into the fresh air. Aber es wollte ihr nicht bessern, ganz schwarz schienen ihr alle Leute in der Kirche, und nun fing noch das Kind zu schreien an, mörderlich und immer mörderlicher. ||||||||||||||||||||||||murhaavasti|||murhaavasti ||||||||||||||||||||||||murderously|||murderously But it would not get better, in church all the people looked quite black to her, and now the baby began to scream with an increasingly murderous yell. Die arme Gotte begann es zu wiegen in ihren Armen, heftiger und immer heftiger, je lauter es schrie, daß Blätter stoben von ihrem Malen an der Brust. ||||||||||||||||||||satoi|||||| ||||||weigh||||||||||||||stirred|||painting||| The poor godmother began to rock him in her arms, and the louder he cried, the more vigorously she rocked him, so that the petals scattered from the flowers on her breast. Auf dieser Brust ward es ihr enger und schwerer, laut hörte man ihr Atemfassen. |||||||||||||hengitys |||||||||||||breath intake Her breast felt more constricted and heavier, and her breathing could be heard loud. Je höher ihre Brust sich hob, um so höher flog das Kind in ihren Armen, und je höher es flog, um so lauter schrie es, und je lauter es schrie, um so gewaltiger las der Pfarrer die Gebete. |||||||||||||||||||||||||||||||||||||prayers The higher her breast rose, the higher the child flew up in her arms, and the higher he flew, the louder he screamed, and the louder he screamed, the more forcefully the pastor read the prayers. Die Stimmen prasselten ordentlich an den Wänden, und die Gotte wußte nicht mehr, wo sie war; es sauste und brauste um sie wie Meereswogen, und die Kirche tanzte mit ihr in der Luft herum. |||||||||||||||||||||||meren aallot|||||||||| |||||||||||||||||||||||ocean waves|||||||||| The voices actually resounded against the walls, and the godmother no longer knew where she was; there was a whistling and roaring around her like the waves of the sea, and the church danced around with her in the air. Endlich sagte der Pfarrer »Amen«, und jetzt war der schreckliche Augenblick da, jetzt sollte es sich entscheiden, ob sie zum Spott werden sollte für Kind und Kindeskinder; jetzt mußte sie das Tuch abheben, das Kind dem Pfarrer geben, den Namen ihm ins rechte Ohr flüstern. ||||||||||||||||||||||||||lasten ja lastenlasten|||||||||||||||||| ||||Amen|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| t last the pastor said “Amen,” and now the terrible moment had come, now it was to be decided whether she was to become a laugh­ingstock for children and grandchildren; now she had to take off the covering, give the child to the pastor and whisper the name into his right ear. Sie deckte ab, aber zitternd und bebend, reichte das Kind dar, und der Pfarrer nahm es, sah sie nicht an, frug sie nicht mit scharfem Auge, tauchte die Hand ins Wasser, netzte des plötzlich schweigenden Kindes Stirne und taufte kein Mädeli, kein Bäbeli, sondern einen Hans Uli, einen ehrlichen, wirklichen Hans Uli. ||||||||||||||||||||kysyi|||||||||||kasteli|||||Stirne||||||||||||||| ||||trembling||trembling|||||||||||||||||||||||||wet|||silent||||||||||||Hans Uli||||| She removed the cloth, though trembling and shaking, handed over the child, and the pastor took him, did not look at her, did not ask her with sharp eyes, dipped his hand in the water, wetted the forehead of the suddenly silent child and did not christen him a Magdalena or a Barbara, but a Hans Uli, an honest-to-goodness­ real-life Hans Uli.

Da war's der Gotte, als ob nicht nur sämtliche Emmentalerberge ihr ab dem Herzen fielen, sondern Sonne, Mond und Sterne, und aus einem feurigen Ofen sie jemand trage in ein kühles Bad; aber die ganze Predigt durch bebten ihr die Glieder und wollten nicht wieder stille werden. |||||||||Emmentalerin vuoret||||||||||||||||||||||||||||||||||||| |||||||||Emmental mountains|||||||||||||||||||||cool|||||||trembled||||||||| At that the godmother felt not only as if all the Emmental hills were falling off her heart, but sun, moon and stars too, and as if someone were carrying her from a fiery furnace into a cool bath; but all through the sermon her limbs trembled and would not be still again. Der Pfarrer predigte recht schön und eindringlich, wie eigentlich das Leben der Menschen nichts anders sein solle als eine Himmelfahrt; aber zu rechter Andacht brachte es die Gotte nicht, und als man aus der Predigt kam, hatte sie schon den Text vergessen. ||puhui||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| ||preached||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| The pastor preached very finely and penetratingly, all about man’s life being nothing more nor less than an ascension towards heaven; but the godmother could not arrive at a proper devotional state of mind, and by the time they left the church she had already forgotten the text. Sie mochte gar nicht warten, bis sie ihre geheime Angst offenbaren konnte und den Grund ihres blassen Gesichtes. She could hardly wait to reveal her secret fear and the reason for her pale face. Viel Lachens gab es, und manchen Witz mußte sie hören über die Neugierde, und wie sich die Weiber davor fürchten und sie doch allen ihren Mädchen anhängten, während sie den Buben nichts täte. ||||||||||||||||||||||||||hängittivät|||||| ||||||||||||||||||||||||||attached|||||| There was a lot of laughter, and she had to hear many a joke about inquisitiveness, and how scared the womenfolk were of this, and how all the same they saw to it that their daughters became inquisitive, although they left the boys out of it. Da hätte sie nur getrost fragen können. She really needn’t have worried about asking.