082 – Kommunikation
Wer unserem Außenminister mal länger als fünf Minuten bei einer seiner Reden zuhört, stellt fest, dass das Wort Kleinhirn anschließend eine völlig neue Bedeutung bekommen hat. Ich jedenfalls liege danach immer vor Lachen ... ganz am Boden (Gans am Boden).
[Musik: Gans am Boden]
Mögt Ihr das auch nicht? Kaum fummelt Ihr an Eurem Handy herum und schreibt etwas, hängt einer mit der Nase dabei und will wissen, was Ihr schreibt. Ihr telefoniert mit Eurer Liebsten und einer lauscht, Ihr rennt pudelnackig durch die Wohnung und irgendeiner späht durchs Fenster. Ewig diese Spanner!
Erst neulich schnauzte mein Kumpel einen Passanten an, der so aussah, als ob er sich etwas zu sehr für seine Handytipperei interessierte. Kaum war der Typ entschwunden, entfleuchte meinem Kumpel "Solele, habe eben was getwittert." Na super! Den Typ gerade wegen seiner Neugierde ankacken und das ultrageheime Dokument ins www stellen.
In den letzten Jahren zeigt sich eine in meinen Augen unschöne Sache. Auf Schritt und Tritt stehen da irgendwelche Frinse, Twittern, VZs, Knuddel-die-Kumpels und rumoren die Foren und was weiß der Kuckuck noch alles. Es wird getippt, ge-smst, Bilder gezeigt, Filme gemacht, Foren verwurstet und alle möglichen Privatsachen veröffentlicht. Keine Stunde ohne eine Nachricht vom Rest der Welt. Selbst George Orwell würde langsam der Angstschweiß knietief im Tal der nicht aufgehenden Sonne stehen. Von wegen Datensicherheit und so. Privatleben. Da schreien alle "Hallo!" in der Presse und wollen nicht, das ihre Daten von der Regierung auf Vorrat gespeichert werden und regen sich dann in ihren Foren und Chaträumen darüber auf.
Kein Tag, an dem ich nicht Angst haben muss um meine privaten Daten und so. Und das können wir schon alleine sehen, wenn ich nur mal in Urlaub fahren will. Flug online gebucht Hotel auch via Internet reserviert, zwei in eBay geklickte Handtücher fürs Liege reservieren im Gepäck und dann ab in den Süden. Mit den Kumpels eine Gerstensaft-Verkostung * starten. Doch gerade erst im Urlaubsort angekommen, werden nach der obligatorischen WLAN-Netzsuche schon die ersten E-Mail-Fächer abgefragt, 'ne SMS verschickt und die Homepage aktualisiert. Nix mit entspannter Heiterkeit. Stattdessen multimedialer Megastress.
Beim Blick zurück wurden Anno 1980 im Urlaubsort gerade mal 20 gleiche Postkarten nebst Marken gekauft. Und egal wie das Wetter in dem beschissenen Kaff auch aussah, war auf den Postkarten – das ist so 'ne Art Oldie-SMS – das Wetter wunderschön und der Ort echt toll und wir freuten uns unheimlich auf ein baldiges Wiedersehen ... bla, bla, bla. Nix war. Es schüttete wie aus Eimern und das blöde Kuhkaff war 'ne Megabaustelle. Die angeschriebene Pissbacke sollte nur nicht eingeschnappt sein und treffen wollten wir uns mit dieser strunzdummen Laberbacke * schon vorher nicht.
Heute muss man für so etwas allerdings nicht einmal mehr zur Post. Eigentlich könnte man sich sogar das Twittern und Knuffel-Chaten sparen, denn kaum kommt man in "Ich-wollte-von-Euch-weg-istan" wird man mit Weltwetter.de oder Ich-weiß-wie-Dein-Urlaubsort-aussieht.com von all seinen Bekannten darauf gestoßen, dass der Regen noch bis zur Abreise geht und der Pool sowieso gerade renoviert wird. Natürlich können wir auch per Chat bekannt geben, dass wir in Ich-will-Euch-nur-mal-nicht-sehen-Hausen nun in die Bumsi-Bumsi-Bar gehen und ein bis zwei Drinks mit dem Namen Hatschert und Brain-Eraser zu uns nehmen. Aber was passiert dann? Mindestens 25 Follower schreiben zurück: "He Superidee, da bin ich auch gerade. Lass uns mal treffen." Je kleiner die Welt ist.
Man entflieht seiner Umwelt für drei Wochen im Jahr und trifft dann im Urlaubsort genau die Kackpratzen, vor denen man geflüchtet ist. Schön, dass dabei die ganze Welt mitlesen kann. Da schrumpelt selbst das Urlaubsfeeling und die Privatsphäre im Nu auf Erbsengröße zusammen. Es gibt kaum ein Urlaubsevent, das nicht mit Filmchen und Bildern im www veröffentlicht wird. Selbst meinen Namen findet Google 1.090mal und nicht selten staune selbst ich darüber, was ich angeblich so alles gemacht habe.
Natürlich sind auch Podcasts eine Veröffentlichung von privaten Daten, aber dort kann ich sie wenigstens selber indizieren. Es gibt sogar Seiten, in denen sich alte Schulkameraden verewigen und dann auch noch nach ihresgleichen suchen. Na toll! Da ist man seit Jahren froh über den Kontaktverlust zu all den alten Hänsel- und Lästergegnern * aus der Penne und schon wollen sie dich in olle Schulkumpels.de ihr Haus, ihr Auto und ihren endlich sitzenden Konfirmationsanzug zeigen.
Es ist schon komisch, was aus dem Internet in seinem Grundgedanken mittlerweile geworden ist. Aber wenigstens kann man nun mal sehen, wie wichtig es ist, unsere privaten Daten zu schützen. Nur – wer macht so was? Ein Bundestrojaner? Ein Datenschutzbeauftragter? Schon witzig. Die können das wirklich. Die schützen seit Jahren ihren Namen. Oder kennt irgendeiner von Euch auch nur einen von diesen Datenschutzbeauftragten der Bundesrepublik Deutschland. Nicht? Eben! Ich auch nicht. Schön zu wissen, dass wenigstens diese verwirrten Einzelkämpfer ihren Job machen. Wenigstens bei ihren Daten.
Doch zurück zur Bumsi-Bumsi-Bar. Die ersten Brain-Eraser-Drinks mit dem Codenamen Long-Island-Icetea wirken und die ebenfalls eingetroffenen Mitleser deines Twitter-Accounts haben auch von sich selber noch ein paar Kumpels mitgebracht. Darunter befinden sich wie durch Zufall auch einige Ehemalige deiner Schulklasse, die - Gott-sei-es-getrommelt - gerade deine alten Pickelfotos durch die Reihen wandern lassen.
Mit fortschreitender Alkoholdemenz werden auch die anderen Leutchen mit ihren peinlichen Altfotos konfrontiert. Holla! Was gab es damals für nette Modeblindheiten. Ein Kichern hier, ein Giggeln da und schon wird man in einem anderen Hotelzimmer wach. Der Schädel brummt und die Sonne scheint auf die sich ausregnenden Wolken und – wer zum Kuckuck ist das neben dir? Zwei verwirrt dreinblickende Mitmenschen in einem Bett, das sie nicht kennen und die sich fragen, was zum Kuckuck sie nun in diesem Hotelzimmer machen. Nach kurzer Aufklärung stellt man fest, dass eine Hochzeitsurkunde am Spiegel hängt und eure Namen darauf verzeichnet. Sie heißt Kathi. Das Hotelzimmer ist weder deins noch ihres und die Urlaubs-Location hat sich irgendwie nach Las Vegas verlegt?
Ein kurzer Blick ins Twitterverzeichnis verrät uns, dass noch andere im Lichterparadies gelandet sind und dasselbe ["das gleiche" ist hier falsch] Schicksal teilen. Na tingeling. Ein Annullierung später sitzt man mit Kathi wieder im Flieger zum Ersturlaubsort, wo man schon sehnsüchtig von den anderen Protagonisten in der Bumsi-Bumsi-Bar erwartet wird. Oh, Mann! Das können ja heitere drei Wochen werden. Aber immerhin sind ja schon fast zwei Tage rum.
Rückblickend auf die vergangenen Urlaubstage lässt sich dann feststellen, dass in der zusammengefundenen Truppe vier Ehen geschlossen und drei getrennt wurden, drei Tätowierungen auf diversen Körpern verteilt wurden, zwei Saufkumpanen nach einer nächtlichen Schaumbadeparty im restauraunteigenen Hummeraquarium noch immer verschollen sind und etliche Sonnenbrände im Stil von einer in Alkohol marinierten geplatzten Rostbratwurst mit Bier exzessiv gelöscht wurden.
Wir sammelten 32 Strafanzeigen wegen sexueller Belästigung, 15 private Handynummern und 3 Heiratsanträge, da wir im Vollrausch eine Senioren-Rheumadecken-Verkaufsshow stürmten und diese in einen Wet-T-Shirt-Kontest verwandelten. Die Hälfte meiner Anziehsachen sind vermutlich in fremden Koffern gelandet, welche aber scheinbar durch Blusen und Netzstrümpfe adäquat ersetzt wurden. Ob die mir wohl passen? Egal. 50 Prozent der Zusammengefundenen wohnen ja schließlich im Umkreis von 30 Kilometern um mich herum. Und zwei von ihnen arbeiten sogar mit mir im selben ["gleichen" ist hier falsch] Betrieb. Toll!
Zuhause angekommen bekam ich nach der mir vorschriftsmäßigen auferlegten Kopfschmerz-Ausnüchterung Post von einem privaten Fernsehsender, der gerne eine Katastrophen-Doku über unseren Urlaub machen möchte. Er sei auf uns aufmerksam geworden, da ein Inselradiosender fast täglich in seinen Staumeldungen über einen marodierenden Trupp berichtete. Der Bürgermeister der netten Insel hat unseren gesamten Trupp sogar fürs nächste Jahr zu einem All-Inclusive-Urlaub eingeladen. Was ich allerdings merkwürdig finde ist die Tatsache, dass wir auf der Nachbarinsel unseren Urlaub verbringen sollen. Egal. Denn selbst die benutzte Fluggesellschaft von uns muss wohl einen Fanclub gegründet haben. Nach der Landung wollten sie tatsächlich alle unbedingt ein Foto von uns und Unterschriften von uns haben. Alles in allem war der Urlaub dann wohl doch nicht so schlecht, wie ich gedacht habe.
Einziger Wermutstropfen in der Geschichte ist die Tatsache, dass in unserem Betrieb einige Youtube-Videos herumkreisen, in denen meine "Mamis Lieblingsarsch"-Tätowierung beim Sangriaeimer-Kampftauchen-Wettbewerb zu sehen ist, aber leider nichts von meinem glorreichen Sieg berichtet wurde. Der Privatsender würde die gesammelten Twitter- und Chateinträge nach einer Übersetzung aus dem Alkoholischen ins Deutsche in einem Drehbuch zusammen schnipseln und anschließend die Doku in eine Serie ändern. Wir sind alle jetzt schon gespannt, in der endgültigen Serie zu erfahren, was wirklich so alles in unserem Urlaub passiert ist.
Na ja, aber solange der Sender noch braucht um die Dreharbeiten abzuschließen, werde ich mich um die nächste Folge kümmern, die wie üblich ... na ja ... 14 Tage ... ich versuche die Grenze nicht so sehr zu überschreiten und hoffe wenigstens, dass ich Euch in der nächsten Ausgabe wieder begrüßen darf. Natürlich hoffe ich auch insgeheim, dass ich nach gesendeter Fernsehserie meine Erinnerungslücken vollständig geschlossen habe. Also und nicht nur so halbherzig, sondern ...
Gans, Gans, Gans ..../ ganz, ganz, ganz ....
Transkription : Vera Ihrig für www.LingQ.com
Erläuterung : * Solele = Dialekt. So dann mal. * Gerstensaft = Bier * Laberbacke = Umgangssprache "labern" = dummes Zeug reden. Eine Laberbacke ist also jemand, der dummes Zeug redet. * Hänsel- und Lästergegnern = Hänseln bedeutet, sich über jemand lustig machen. Lästern bedeutet, negativ über jemanden zu sprechen, wenn er nicht dabei ist.
Herzlichen Dank an Firefly für die freundliche Genehmigung, den Beitrag hier zu verwenden.