Silvester
Die Weihnachtsferien in Bayern gehen vom vierundzwanzigsten Dezember bis zum sechsten Januar.
Peter und Marie sind, wie andere Kinder auch, sehr froh, dass sie für vierzehn Tage nicht in die Schule müssen.Gut eine Woche nach Weihnachten folgt der zweite Höhepunkt der Ferien: Silvester.Silvester ist am einunddreißigsten Dezember.In dieser Nacht feiern die Menschen das Ende des alten Jahres und den Beginn des neuen.Es wird gefeiert, Familien, Verwandte und Freunde kommen zusammen, und um Mitternacht gibt es überall Feuerwerke.Dann wird mit Sekt angestoßen, Raketen fliegen hoch in die Luft, Böller knallen, und die Menschen sind in einem Freudentaumel.Zwei Tage vor Silvester geht Leo Schmidt mit seinen Kindern einkaufen.Alle drei sind aufgeregt, denn sie wollen Feuerwerkskörper kaufen.Zu dieser Jahreszeit werden Feuerwerkskörper fast überall verkauft, daher kann Leo mit seinen Kindern in ein nahegelegenes Geschäft gehen.
Leo nimmt einen Einkaufswagen und geht die Regale entlang.
„Ui toll, Papa!Schau mal die Raketen an“, sagt Peter hoffnungsvoll und zeigt seinem Vater eine längliche Packung.„Zwanzig Raketen mit Goldregen“, liest Leo auf der Packung.„Jetzt im Sonderangebot nur fünf Euro dreißig.Also gut, die nehmen wir“, sagt er, und legt eine Packung in den Einkaufswagen.Er sieht sich auch diverse andere Feuerwerkskörper an und nimmt noch zwei Packungen Kanonenschläge, je drei Stück das Pack, für zwei Euro neunundneunzig pro Pack, und einen Vulkan für vier Euro neunundachtzig.„Papa, kaufst du bitte diese Bodenwirbel!“, sagt Marie.Leo sieht sich die Packung an.
Drei Bodenwirbel kosten zwei Euro neunundneunzig.
Er legt sie in den Einkaufswagen.Peter will dazu noch eine China-Knaller-Kette für einen Euro neunundachtzig.Leo legt gleich vier davon in den Einkaufswagen.Dann wählt er noch einige andere Sachen aus und will schon zur Kasse gehen, als Marie sagt: „Ui, Knallerbsen.Die habe ich schon lange nicht mehr gehabt.“ Peter stimmt ihr zu.„Knallerbsen sind echt toll.Kauf sie, bitte, Papa.“ Eine Dose Knallerbsen kostet neunundsechzig Cent.Leo nimmt zwei Dosen, damit beide Kinder eine bekommen.Dann geht er zur Kasse.Eine freundliche junge Kassiererin gibt alle Beträge in die Kasse ein und sagt schließlich: „Das macht sechsundfünfzig Euro neunundneunzig.“ Leo gibt ihr seine EC-Karte und der Betrag wird elektronisch von seinem Konto bei der Bank abgebucht.Die Verkäuferin gibt ihm die EC-Karte mit dem Kassenbeleg.Anschließend kehren Leo und die Kinder nach Hause zurück.Sie freuen sich alle schon auf Silvester.Dieses Jahr sind sie bei Onkel Heinrich und Tante Angelika eingeladen.Und nicht nur sie, sondern die ganze Verwandtschaft ist zu einer großen Familienfeier eingeladen, um gemeinsam in das neue Jahr zu rutschen.Im Deutschen wünschen sich nämlich die Menschen einen »guten Rutsch' ins neue Jahr.Onkel Heinrich und Tante Angelika haben vor einigen Jahren außerhalb Münchens ein altes Landgut gekauft und es renoviert.Mit ihren vier Kindern Lena, Herta, Lothar und Oskar führen sie ein ruhiges Leben auf dem Land.Sie bekommen nur selten Besuch, selbst zu ihren Verwandten haben sie wenig Kontakt. Deshalb haben sich Heinrich und Angelika entschlossen, alle ihre Verwandten zu Silvester einzuladen.
Auf ihrem Landgut befindet sich eine große Halle, die sie als Festsaal geschmückt haben.Sie werden diese Halle auch brauchen, da sie mehr als vierzig Gäste erwarten.Am einunddreißigsten Dezember treffen die ersten Gäste bereits am Nachmittag bei Heinrich und Angelika ein.Das Wetter ist zwar kalt, aber die Sonne scheint und es ist trocken - ideal um das Landgut zu erkunden.Als Leo und Lisa mit ihren Kindern auf dem Landgut eintreffen, ist es Viertel nach drei.Sobald ihr Wagen in den Hof einbiegt und parkt, kommen Heinrich und Angelika, um sie zu begrüßen.„Servus!“, sagt Angelika mit einem freundlichen Lächeln.„Toll, dass ihr da seid.“ „Vielen Dank für eure Einladung!“, sagt Lisa.Dann schütteln sich alle die Hände.„Da drüben ist der Pferdestall und gleich daneben der Kuhstall“, sagt Heinrich zu den Kindern.„Ihr könnt gerne zu den Tieren gehen, wenn ihr wollt.“ „Danke, Onkel Heinrich!“, sagen Marie und Peter.Sofort gehen sie rüber zum Pferdestall.Im Stall stehen drei Pferde, ein Rappe und zwei Schimmel.Eines der Pferde wiehert, als es die Kinder sieht.„Schau mal“, sagt Peter, „da steht eine Kiste mit Äpfeln.
Ob wir die Pferde füttern dürfen?“ „Ich weiß nicht“, sagt Marie.
„Vielleicht sollten wir erst Onkel Heinrich fragen, ob wir es dürfen.“ „Ja, dürft ihr“, sagt plötzlich eine Stimme hinter ihnen.Es ist Onkel Heinrich.„Ich zeige euch am besten, wie man das richtig macht.“ Er nimmt einen kleinen Apfel und legt ihn auf seine flache Hand.Er hält die flache Hand dem Rappen entgegen.Der Rappe schnuppert kurz an dem Apfel, macht das Maul auf und frisst den Apfel.„Ihr müsst die Hand immer flach halten, damit das Pferd euch nicht aus Versehen beißt.“ Peter probiert es und freut sich, als einer der Schimmel ihm aus der Hand frisst.Endlich traut sich Marie auch.Als ihr das Pferd aus der Hand gefressen hat, hüpft sie aufgeregt auf und ab.Es ist das erste Mal, dass sie ein Tier gefüttert hat.„So“, sagt Heinrich, „jetzt schaut noch bei den Kühen vorbei und wenn ihr danach hinter die Ställe geht, seht ihr unseren Spielplatz.“ „Danke, Onkel Heinrich“, sagen sie höflich, und freuen sich, dass sie so einen netten Onkel haben.Im Kuhstall stehen vier Kühe und es stinkt nach Kuhmist.„Igitt“, sagt Marie.„Wie es hier stinkt.“ „Ach, nun hab‘ dich doch nicht so.Das ist nur der Kuhmist“, sagt Peter.Ihm gefallen die Kühe, aber Marie geht gleich wieder aus dem Stall hinaus.Während Peter sich die Kühe anschaut, geht Marie um den Kuhstall herum und findet den Spielplatz.Ihre Cousins und Cousinen spielen bereits auf dem Spielplatz.
Lena rutscht gerade die Rutsche herunter, Oskar und Lothar sind auf einer Wippe, und Herta ist hoch oben auf einem Klettergerüst und bläst Seifenblasen.
„Hallo, Marie!“, ruft Lena, als sie vor der Rutsche auf ihrem Popo landet.Das tut nicht weh, denn der Sand am Spielplatz ist tief und weich.„Hallo, Lena!“, ruft Marie glücklich.Sie winkt auch den anderen zu.Dann geht sie zu Lena, und die beiden Cousinen spielen auf der Rutsche.Es wird ein lustiger Nachmittag, und je mehr Kinder kommen, desto mehr Spaß haben sie.Währenddessen gehen Leo und Lisa auf dem Landgut umher und begutachten alles.Auf einer Seite des Hauptgebäudes stehen mehrere Kastanienbäume und eine stattliche Eiche.Gleich dahinter schlängelt sich der alte Mühlbach entlang.Er heißt so, weil dort vor langer Zeit einmal eine Wassermühle stand.Anstelle der Wassermühle ist dort heute eine Wasserkraftschnecke.
Eine Wasserkraftschnecke ist ein kleines Wasserkraftwerk, das Strom produziert.
Die Wasserkraftschnecke hat mehr als eine halbe Million Euro gekostet, aber jetzt produziert sie genug umweltfreundlichen und billigen Strom für das Landgut und fünfzehn weitere Häuser in einem nahegelegenen Dorf.
Leo und Lisa gehen einige Minuten am Mühlbach entlang.
Danach folgen sie einem Pfad in Richtung Spielplatz.Der Weg führt durch eine kleine Gartenanlage, in der es einen großen Teich gibt.Auf einer Seite des Teichs steht eine Bank und rundherum wachsen verschiedene Büsche und andere Pflanzen.„Ach, das muss ja wunderschön sein, hier im Sommer zu sitzen“, sagt Lisa und wähnt sich fast im Paradies.„Ja, das ist schon toll“, sagt Leo, „aber so viel Geld wie Heinrich muss man erst mal haben.“ Heinrich und Angelika haben einen Partyservice beauftragt, die Speisen und Getränke für den Abend zu liefern.In zwei Lieferwagen werden große Mengen an Speisen und Getränken geliefert.Die Mitarbeiter des Partyservice tragen viele Schachteln mit Wurst- und Käseplatten, Salaten, gekochten Speisen und Nachspeisen in den Festsaal.
Dann schmücken sie den Saal mit Luftballons, Girlanden und Kleeblättern.
Vierblättriger Klee wird allgemein als Glücksbringer angesehen.Am frühen Abend kommt dann noch ein Discjockey.Er soll die richtige Musik spielen und während der Feier für gute Stimmung sorgen.Dann beginnt die Feier.Alle Gäste sind gekommen und nehmen an den Tischen Platz.Die Gastgeber, Heinrich und Angelika, waren lange nervös, aber bisher ist alles gut gegangen und sie entspannen sich jetzt.Heinrich nimmt ein Messer und schlägt sanft gegen sein Sektglas.Es ist das Zeichen, dass er eine Ansprache halten möchte.Es wird still im Saal und alle blicken zu ihm.„Liebe Verwandte!Es war schon lange überfällig, dass wir alle einmal als große Familie Zusammenkommen und uns näher kennenlernen.Dieses Silvester schien Angelika und mir die passende Gelegenheit dafür zu sein, denn welche Gelegenheit könnte besser geeignet sein, als gemeinsam ins neue Jahr zu rutschen!Darum danken wir euch allen, dass ihr gekommen seid...“ Die Gäste applaudieren.„...und hoffen, dass es euch schmeckt, dass ihr eine Riesengaudi habt, und dass es das beste Silvester wird, das wir je hatten.Auf gut deutsch, wir lassen es krachen!Und jetzt stoßen wir zusammen an, um die Party zu beginnen.“
Alle nehmen ihre mit Buck's Fizz gefüllten Sektgläser, stoßen an und trinken.
Der Buck's Fizz ist einer der bekanntesten Cocktails der Welt.Seinen Namen hat er aus dem Londoner „Buck's Club“, wo er erfunden wurde.Der Buck's Fizz besteht zu einem Drittel aus Sekt und zu zwei Dritteln aus Orangensaft.Sofort legt der Discjockey die erste CD auf und die Party geht los.Mehrere Stunden lang wird gegessen und getrunken, es wird getanzt und gelacht.Doch bald rückt der Zeiger auf der großen Standuhr unweigerlich näher auf die Zwölf.Mitternacht naht, das alte Jahr ist beinahe zu Ende und das neue Jahr steht unmittelbar bevor.
Kurz vor Mitternacht werden die Sektgläser mit Sekt gefüllt und alle sind bereit, sich einen guten Rutsch ins neue Jahr zu wünschen.
Sobald der Uhrzeiger die Zwölf erreicht, ruft Heinrich laut: „Gutes neues Jahr!“ „Gutes neues Jahr!“ rufen alle zusammen.Sie stoßen an und trinken Sekt.Viele der Gäste laufen schnell nach draußen.Sie haben Raketen, Böller und andere Feuerwerkskörper mitgebracht und wollen diese jetzt anzünden.Leo geht mit Marie und Peter ins Freie.Er stellt eine leere Flasche auf den Boden, während Peter die Packung mit den Raketen öffnet und eine herausholt.Leo steckt die Rakete in den Flaschenhals, nimmt ein Feuerzeug und zündet die Zündschnur.Die Zündschnur brennt und ein paar Sekunden später fliegt die Rakete hoch in die Luft.Hoch oben fliegt Goldregen aus der Rakete.
Überall knallt es, Raketen fliegen hoch, Böller explodieren und krachen, und alle haben riesigen Spaß am Feuerwerk.
Aber nicht alle sind ins Freie gegangen.Einige sind im Festsaal geblieben, um Blei zu gießen.Das Bleigießen ist ein Orakel- Brauchtum, das heute aus Spaß am Silvesterabend praktiziert wird.Es war aber schon bei den alten Römern verbreitet.Bleistücke werden in einem Löffel über einer Kerze oder einem anderen kleinen Feuer erhitzt, bis sie geschmolzen sind.Das geschmolzene Metall wird dann in eine bereitgestellte Schüssel mit kaltem Wasser gegossen, wo es sofort zu bizarren Formen erstarrt.Die Gestalt der erstarrten Bleistücke wird zum Wahrsagen verwendet.Dazu gibt es Bedeutungslisten, die Interpretationen bieten (z. B. Herz = sich verlieben; Blumen = neue Freundschaft).
In erster Linie soll die Zukunft des Bleigießers vorausgesagt werden.
Blei ist allerdings nicht ganz ungefährlich, da es hochgiftig ist.Auch Lisa beteiligt sich am Bleigießen.Das Feuerwerk interessiert sie nicht, aber sie ist ein bisschen abergläubisch und Bleigießen macht ihr Spaß.Sie legt ein Stück Blei in einen großen Löffel und erhitzt das Blei über einer Kerze.Als das Blei flüssig geworden ist, gießt sie es schnell in kaltes Wasser.Dann legt sie den Löffel hin und nimmt das Bleistück rasch aus dem Wasser, da sie unbedingt wissen will, ob das Glück ihr hold ist.Sie hält das Bleistück hoch und sagt: „Es sieht aus wie ein Schwein.“ „Ein Schwein?“, sagt Angelika.„Das bedeutet, du wirst im Lotto gewinnen.Da hast du ja wirklich Schwein gehabt.“ Daraufhin lachen alle, denn »Schwein haben' bedeutet in der Umgangssprache das Gleiche wie »Glück haben'.In den umliegenden Dörfern läuten um Mitternacht die Glocken.Überall feiern die Menschen und der sonst dunkle Nachthimmel leuchtet im Schein der Silvesterraketen.Die Silvesterparty auf dem Landgut von Heinrich und Angelika ist fantastisch.Die Gäste sind begeistert und sprechen noch lange davon.Was sie dabei am meisten gefreut hat, war sich als Großfamilie näher zu kommen.Die Kinder haben mit verschiedenen Cousins und Cousinen, die sie bisher nicht kannten, neue Freundschaften geschlossen, und von allen guten Vorsätzen, die auf der Party zu hören waren, war sicherlich der Vorsatz, sich wieder zu treffen, der Beste.