Sendung: nachtmagazin 08.04.2020 01:04 Uhr - Corona-Bonds: Warum Italien
Themen der Sendung: Streit um Corona-Bonds: Warum Italien die Hilfszusagen nicht reichen, Ethikrat begrüßt Debatte über Lockerung von Corona-Beschränkungen, Exit-Debatte: Die Sicht der Corona-Risikogruppen, Deutschland: Was bedeutet das Coronavirus für Menschen ohne Papiere, Erhebliche Einschränkungen bei Müllabfuhr in Würzburg, Coronavirus: Schorndorfer Bürgermeister wieder genesen, Das Wetter
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Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen
mit dem nachtmagazin.
Heute im Studio: Susanne Stichler
Willkommen zum nachtmagazin.
Ein Land unter Quarantäne -
seit fast einem Monat.
Italien leidet besonders
unter der Corona-Krise.
In den Krankenhäusern,
aber auch in den Firmen,
die still liegen.
Hilfe erhoffen sich die Italiener
von der EU in Form von Corona-Bonds,
also einer gemeinsamen
Schuldenaufnahme.
Aber hier blockiert
unter anderem Deutschland.
Die EU-Finanzminister
verhandeln seit heute Mittag
über Hilfsprogramme -
bislang ohne Ergebnis.
Die Pressekonferenz
ist auf morgen Vormittag verschoben.
In Italien führt
die Ablehnung der Bonds
zu Ärger über die EU -
und auch Deutschland.
Sie genießen ihre Freiheit.
Die Fischer von Fiumicino
dürfen noch raus aufs Meer.
Andere Menschen
würden gerne arbeiten,
dürfen aber nicht.
Doch wenn kein Restaurant
geöffnet ist,
gibt es keinen Absatz
für die Ware der Fischer.
Alles hat sich um 50 % reduziert:
Verkauf und Nachfrage,
sogar die Einnahmen.
Früher sind wir fünf Tage die Woche
aufs Meer gefahren.
Wegen des Coronavirus
und wegen fehlender Nachfrage
jetzt nur noch dreimal.
Italien befindet sich
seit fünf Wochen in Quarantäne.
Nur lebensnotwendige Zweige
dürfen weiter produzieren.
Schon vorher hatte Italien
wirtschaftliche Probleme.
Europas drittgrößte Volkswirtschaft
trifft es jetzt besonders hart.
Unternehmer stöhnen,
viele Menschen wissen nicht mehr,
wie sie ihre Fixkosten zahlen sollen.
Die Regierung schnürt Hilfspakete.
Mit dem soeben genehmigten Dekret
verschaffen wir unseren Unternehmen
Liquidität
in Höhe von 400 Milliarden Euro.
200 Milliarden Euro
sind für den Binnenmarkt,
weitere 200 Milliarden Euro
zur Stärkung des Exportmarktes.
Zudem ist Italien hoch verschuldet.
Deshalb wird der Ruf lauter
nach Hilfe von der EU.
Der Wunsch: Corona-Bonds.
Dass der Wunsch nicht gehört wird,
ärgert viele Italiener.
Mit der Angst um ihre Zukunft wächst
das Misstrauen gegenüber der EU,
laut Umfragen bei
mehr als zwei Drittel der Befragten.
Europa ist bescheuert,
das war schon immer so.
Die Deutschen
bräuchten ein paar Medikamente,
damit sie sich an das erinnern,
was wir für sie getan haben.
Es darf es nicht sein,
dass jeder nur an sich denkt.
Immer mehr Nationalismus.
Corona-Bonds wurden zum Sinnbild
europäischen Zusammenhalts.
Die Italiener wollen aus Brüssel
eine bedingungslose Unterstützung.
Trotz aller Alternativen
bleibt Conte stur.
ESM: Nein! Euro-Bonds: Ja!
Der Rettungsschirm ist inadäquat,
Euro-Bonds sind die Lösung.
Eine seriöse, effektive,
adäquate Antwort auf den Notfall,
den wir gerade erleben.
Den Menschen ist klar,
dass sie Hilfe brauchen.
Und dass die Zukunft Europas
auf dem Spiel steht.
Italien kämpft
mit einer doppelten Krise.
Das ist ein Bild aus "alten" Zeiten:
Viele Menschen,
dicht an dicht, alt und jung.
Ein Abbild unserer Gesellschaft.
All diese Menschen haben
die gleichen Rechte und Pflichten,
alle sind vor dem Gesetz gleich.
Und das gilt auch
in Zeiten der Corona-Krise -
und in Krankenhäusern.
Wie alt ein Patient ist, dürfe bei
der Behandlung keine Rolle spielen.
Das deutlich zu machen,
war dem Deutschen Ethikrat
heute ein Anliegen.
Abstand halten in vollen Parks
ist nicht einfach.
Aber nötig, so die Bundesregierung.
Die Maßnahmen
zeigen offenbar Wirkung.
Von Forderungen nach einer Lockerung
will der Wirtschaftsminister
sich nicht beirren lassen.
Dass wir jede Entscheidung treffen,
wenn die Daten es zulassen.
Das ist jetzt nicht der Fall.
Aber Nachdenken über ein Ende der
Einschränkungen müsse erlaubt sein.
Öffentlich darüber sprechen wäre
besser, so der Deutsche Ethikrat.
Andernfalls gehe
das Vertrauen in den Staat verloren.
Es ist zu früh,
Öffnungen jetzt vorzunehmen.
Aber es ist nie zu früh,
über Kriterien für Öffnungen
nachzudenken.
Der Ethikrat beschäftigt sich auch
mit der Frage, was passiert,
wenn es zu wenig Beatmungsgeräte
für schwer Covid-19-Erkrankte gibt.
Dann müssen Mediziner festlegen,
wer behandelt wird und wer stirbt.
Dabei dürfe es
keine Diskriminierung geben
aufgrund von Alter
oder sozialer Zugehörigkeit.
Dass wir
bestimmte Bevölkerungsgruppen
als nicht beatmungsfähig einteilen:
Das ist mit der Vorstellung
einer Gleichwertigkeit des Lebens
nicht zusammenzuführen.
Notwendig sei eine Abwägung
zwischen medizinisch Sinnvollem
und sozial Akzeptablen.
Das Virus stellt die Gesellschaft
vor schwierige Entscheidungen.
Noch sei es zu früh,
über den Ausstieg
aus den Einschränkungen zu reden.
Aber die Möglichkeiten müssen
transparent diskutiert werden,
fordert der Deutsche Ethikrat.
Es geht vor allem um das Wie.
Darüber wird laut nachgedacht:
Zwangsabschottung älterer Menschen.
Jüngere zurück ins Leben -
mit der Auflage, keine Kontakte
zu Risikogruppen zu haben.
Das sind nur Gedankenspiele.
Aber wie denken darüber Menschen,
die zu einer Risikogruppe gehören?
Selbstisolation bestimmter
Risikogruppen wie Senioren?
Könnten die dann
nicht mal mehr spazieren gehen,
nur damit die Jungen
wieder ihr Leben aufnehmen könnten?
Es gibt auch Verständnis.
Das würde ich akzeptieren.
Damit das Leben weitergeht
und die Wirtschaft in Schwung kommt.
Extrem, aber ich würd's machen.
Nicht mal Lebensmittel einkaufen,
das würde ich nicht gut finden.
(sie lacht)
Konkreter wurde der Tübinger
Oberbürgermeister Boris Palmer
und erzürnte damit
seinen Parteikollegen Ströbele.
Palmer schlug vor,
dass Über-65-Jährige
und Risikogruppen aus dem Alltag
herausgenommen werden.
Ströbele ist dagegen.
Es kann nicht heißen,
dass man die Alten wegsperrt,
dass man sie in ihrer Würde trifft.
Wenn man dann von Altenheimen redet,
dann gruselt's mich.
Risikogruppe sind auch
junge Menschen wie Jan Kampmann.
Er ist Journalist
und querschnittsgelähmt.
Corona wäre für ihn
besonders gefährlich.
Die Idee der Selbstisolation
findet er schlimm.
In Krisensituation suchen
die Menschen einen Sündenbock.
Jetzt ist das die Risikogruppe,
weil gesagt wird:
Wir machen das nur für euch.
Die Sache ist aber komplexer.
Die Risikogruppe
ist fast die Hälfte der Bevölkerung,
wenn man Diabetiker und Raucher
mitzählt.
Man darf nicht
einzelne Personen stigmatisieren.
Das würde die Spaltung
der Gesellschaft vorantreiben.
Raul Krauthausen setzt sich ein
für die Belange von Behinderten.
Ihm graust bei der Vorstellung.
Virologen sagen,
dass es zu früh ist,
diese Lockerungen aufzulösen.
Das sollten wir ernst nehmen.
Die Lockerungen dann einzuführen
auf Kosten der Schwachen,
das ist fast menschenverachtend.
Eine schwierige
und sensible Diskussion hat begonnen.
Wie umgehen mit dieser Krise?
Es gibt Menschen, die versuchen,
das Positive zu sehen.
Die neue Ideen entwickeln,
das Leben ohne Termine genießen.
Aber es gibt auch Menschen,
die verzweifeln.
Eine Gruppe, die
im Schatten der Gesellschaft lebt,
trifft es besonders hart:
Menschen ohne offizielle Papiere.
Die sonst in Küchen und Haushalten
ihr Geld verdienen
und nicht auffallen wollen.
In Hamburg konnten wir
mit Betroffenen ins Gespräch kommen.
Diese Frau aus Malawi lebt seit
14 Jahren illegal in Deutschland.
Sie ist im sechsten Monat schwanger.
Hier wird sie kostenlos
und anonym behandelt.
Eine Krankenversicherung
hat sie nicht.
Und in Zeiten von Corona
auch keinen Job mehr.
Bisher putzte sie ohne Arbeitsvertrag
in Restaurants und Haushalten.
Die Corona-Zeit
ist für mich sehr hart.
Alle haben mir abgesagt.
Ich darf nicht mehr dahin kommen.
Wenn ich arbeite,
bekomme ich sofort Geld.
Wenn ich nicht arbeite,
bekomme ich kein Geld.
Viele Menschen ohne Papiere
verloren seit Corona ihren Job.
Sie leben jetzt
noch unsicherer als ohnehin schon.
Auch spendenfinanzierte Projekte,
wie diese anonyme Arztpraxis,
stoßen derzeit an Grenzen.
Seit 2011 betreibt
die Diakonie diese Ambulanz.
Jährlich würden dort
bis zu 800 Menschen behandelt.
Derzeit dürfen Patienten
nur mit Termin kommen.
Für Corona-Kranke
fehle aber die Ausstattung.
Wir fordern in dieser Corona-Zeit,
dass wir gefährdete Patienten
an einen Ort schicken können, wo
sie anonym untersucht werden können.
Anfragen an die Bundesregierung
und alle Bundesländer ergeben aber:
Mit besonderer Unterstützung
in der Corona-Krise
können Illegale nicht rechnen.
Das könne auch Folgen
für den Rest der Gesellschaft haben.
Diese Menschen haben Angst,
kontrolliert zu werden.
Sie ziehen sich zurück.
Das ist eine Gefahr für
die Verbreitung von diesem Virus.
Wenn Erkrankte
damit nicht zum Arzt gehen,
sie nicht informiert sind,
wie sie damit umgehen sollen:
Dann ist die Gefahr,
dass sich das Virus verbreitet.
Die Diakonie schätzt,
dass in Deutschland
500.000 Menschen ohne Papiere leben.
Offizielle Zahlen gibt es nicht.
Wenn die Regierung
keine Maßnahmen trifft,
bleiben Menschen in der Anonymität.
Ali lebt seit zehn Jahren
illegal in Deutschland.
Er arbeitet schwarz, ohne Zugang
zum Sozial- oder Gesundheitssystem.
Die Corona-Krise
verunsichert ihn zusätzlich.
Über Corona weiß ich nicht viel,
ob ich zum Krankenhaus gehe,
wenn ich Symptome habe.
Ich habe Angst, dort von der Polizei
verhaftet zu werden.
Illegale können
auch in der Corona-Krise
nicht mit Unterstützung rechnen.
Sie hoffen einfach,
gesund zu bleiben.
Im Juni kommt das Baby zur Welt.
Dann muss sie für sich
und das Kind sorgen.
Ohne staatliche Unterstützung.
Toilettenpapier-Rollen
sind ein Symbolbild dieser Krise.
Immer noch werden sie gehamstert.
Wer dann vor leeren Regalen steht,
der muss zu Ersatz greifen:
Feuchttücher oder Küchenrolle.
Aber das gehört nicht
in die Toilette,
weil es die Kläranlagen verstopft.
Nur ein Problem,
mit dem die Stadtreinigung
derzeit in Würzburg kämpft.
Müllbeseitigung in Corona-Zeiten:
Das Coronavirus macht selbst
vor der Müllabfuhr nicht halt.
In Würzburg gehören
überquellende Restmülltonnen
zum täglichen Geschäft.
Denn auch Biomüll
kommt jetzt in die graue Tonne -
und die Kartons
der zunehmenden Online-Bestellungen.
Bis auf Weiteres
bleibt die Mülltrennung ausgesetzt.
Wir müssen davon ausgehen,
dass sich mehr und schneller
Menschen mit dem Coronavirus
infizieren.
Das wird auch die Stadtverwaltung
und die Stadtreinigung betreffen.
Wir müssen haushalten und
einen Teil der Leute gesund halten,
die auch in sechs Wochen
noch den Müll abfahren können.
Deshalb muss das komprimiert werden.
Auch die Kläranlage
läuft im Notbetrieb -
noch weitgehend störungsfrei.
Denn das Klopapier-Hamstern
hinterlässt erste Spuren.
Zunehmend gelangen Taschentücher
oder Papier von der Küchenrolle
in den Kanal und
müssen mühsam herausgefischt werden.
Diese Feuchttücher lösen sich
nicht auf wie Toilettenpapier,
sondern wickeln sich
um alles Bewegliche.
Das ist für uns
ein immenser Wartungsaufwand.
Die Maschine muss zerlegt,
vielleicht sogar erneuert werden.
Nur Toilettenpapier
darf in die Kanalisation.
Wer das beherzigt,
entlastet auch seinen Geldbeutel -
wegen der
sonst steigenden Abwassergebühren.
Jetzt nach Schorndorf,
eine Stadt mit 40.000 Einwohnern,
rund 30 Kilometer
von Stuttgart entfernt.
Der Bürgermeister und seine Frau
gehören zu den über 36.000 Menschen,
die laut Robert Koch-Institut eine
Corona-Infektion überstanden haben.
Endlich mal eine Zahl,
die Mut macht.
Nun ist der Bürgermeister gesund
und darf wieder raus in seine Stadt.
Endlich wieder an die Luft
nach zwei Wochen Quarantäne.
Schorndorfs Oberbürgermeister
Matthias Klopfer
und seine Frau Anni Betz
waren an Covid-19 erkrankt.
Die ganze Stadt nahm Anteil
an ihrem Schicksal.
Hallo.
Schön, Sie zu sehen.
Bleiben Sie gesund.
Wie geht's Ihnen?
Wir freuen uns,
wieder draußen zu sein.
Man kann das erst nachvollziehen,
wenn man nicht aus dem Haus darf:
Wie schön Freiheit ist.
Das Schöne ist:
Alle Religionen und
alle Nationalitäten halten zusammen.
Zwei Minuten später erhält der OB
eine traurige Nachricht.
Die erste Schorndorferin
ist verstorben an Corona.
Das war klar, dass das kommt,
aber es ist trotzdem ein Einschnitt.
Matthias Klopfer hat sich
in Ischgl bei Skifahren infiziert.
Er hat dann seine Frau angesteckt,
beide erkrankten schwer.
Die Symptome
verfolgen einen im Schlaf.
Man wird kurzatmig,
das hatte ich nicht gekannt.
Es ist anstrengend.
Weil man hat Fieber,
muss aber funktionieren.
Man nimmt viel Paracetamol,
versucht, zwischendurch zu schlafen.
Dann klingelt das Telefon wieder,
man organisiert
eine Telefonkonferenz.
WhatsApp-Gruppe, Corona-Krisenstab -
man ist im permanenten Austausch.
Krankmelden
war keine Option in Corona-Zeiten.
Das ganze Rathaus
arbeitet im Homeoffice,
man telefoniert.
Eine weitere Schreckensnachricht:
25 Infizierte in einem Pflegeheim.
Man muss davon ausgehen,
dass das viel mehr werden.
Dass das ganze Haus
unter Quarantäne gestellt wird.
Matthias Klopfer
telefoniert mit dem Landratsamt.
Wie geht es weiter mit dem Heim?
Krisengespräch.
Dann Ortstermin
im städtischen Schwimmbad.
Hier herrscht seit Wochen Leere,
der Badebetrieb ist eingestellt.
32 von 39
müssen in Kurzarbeit gehen.
Aber ich kann nicht sagen,
für wie viele Wochen.
Wenigstens wird niemand
den Arbeitsplatz verlieren.
Ein leerer Marktplatz,
geschlossene Läden:
Der OB bangt um seine Stadt,
den Einzelhandel,
die Jobs, die Steuereinnahmen.
Die Sorgen haben die Freude,
wieder gesund zu sein, überlagert.
Doch auch Lichtblicke:
Am einzigen Marktstand
halten die Menschen Abstand.
So ist's perfekt.
Sensationell!
Stolz sind sie
auf ihre Schorndorfer in der Krise.
Aber das Virus wird ihnen und
der Stadt noch viel abverlangen.
Viele wollten zu Ostern an die See.
Und jetzt sind Küsten und Inseln
für Touristen gesperrt.
Als kleiner Trost
unser Sehnsuchtsfoto für alle,
die zu Hause bleiben.
Und noch ein Trost:
Es wird morgen
wieder sonnig und warm.
In der Nacht meist sternenklar.
Im Norden und in der Mitte
auch mal Wolken oder Nebelfelder.
Am Tag ist es sonnig.
Am Nachmittag
tauchen Quellwolken auf.
Im Nordwesten können die Wolken
auch Schauer bringen.
Und noch was Schönes:
Ein Blick in die Nacht lohnt sich.
Der hellste
und größte Vollmond des Jahres
ist heute zu bewundern.
Der Supermond
über einer Basilika in Tschechien.
Damit wünschen wir Ihnen
eine ruhige Nacht.
Gegen 2.55 Uhr meldet sich
Susanne Daubner mit der tagesschau.
Bis bald.
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