16. Der Kriminalkommissar lässt grüßen
Sechzehntes Kapitel - Der Kriminalkommissar lässt grüssen
Das Automobil war schon Unter den Linden. Da klopfte Emil dreimal an die Scheibe. Der Wagen hielt. Und der Junge fragte: "Wir sind wohl schon bald da, Herr Chauffeur?" "Jawoll", sagte der Mann. "Es tut mir leid, daß ich Ihnen Ungelegenheiten mache", meinte Emil. "Aber ich muß vorher erst noch nach der Kaiserallee. Ins Cafe Josty. Dort liegt nämlich ein Blumenstrauß für meine Großmutter. Der Koffer auch. Würden Sie so freundlich sein?" "Was heißt da freundlich? Hast du denn Geld, wenn das, was ich schon habe, nicht reicht?" "Ich hab Geld, Herr Chauffeur. Und ich muß die Blumen haben." "Na schön", sagte der Mann, bog links ab, fuhr durchs Brandenburger Tor, den grünen schattigen Tiergarten lang, nach dem Nollendorfplatz. Emil fand, der sähe jetzt, da nun alles gut war, viel harmloser und gemütlicher aus. Aber er griff sich doch vorsichtshalber in die Brusttasche. Das Geld war noch vorhanden. Dann fuhren sie die Motzstraße hinauf, bis zum anderen Ende, bogen rechts ein und hielten vor dem Cafe Josty. Emil stieg aus, begab sich zum Büfett, bat das Fräulein, sie möge ihm, bitte, Koffer und Blumen aushändigen, erhielt die Sachen, bedankte sich, kletterte wieder ins Auto und sagte: "So, Herr Chauffeur, und nun zur Großmutter!" Sie kehrten um, fuhren den weiten Weg zurück, über die Spree, durch ganz alte Straßen mit grauen Häusern. Der Junge hätte sich gern die Gegend näher betrachtet. Aber es war wie verhext. Dauernd fiel der Koffer um. Und blieb er mal paar Minuten stehen, so kroch bestimmt der Wind in das weiße Blumenpapier, daß es raschelte und riß. Und Emil mußte aufpassen, daß ihm der Strauß nicht einfach fortflog. Da bremste der Chauffeur. Das Auto hielt. Es war Schumannstraße 15. "Na, da wären wir ja", sagte Emil und stieg aus. "Bekommen Sie noch Geld von mir?" "Nein. Sondern du kriegst noch dreißig Pfennige raus." "I wo!" rief Emil. "Davon kaufen Sie sich paar Zigarren!" "Ich prieme, mein Junge", sagte der Chauffeur und fuhr weiter. Nun stieg Emil in die dritte Etage und klingelte bei Heimbolds. Es entstand großes Geschrei hinter der Tür. Dann wurde geöffnet. Und die Großmutter stand da, kriegte Emil beim Wickel, gab ihm gleichzeitig einen Kuß auf die linke Backe und einen Klaps auf die rechte, schleppte ihn an den Haaren in die Wohnung und rief: "O du verflixter Halunke, o du verflixter Halunke!" "Schöne Sachen hört man ja von dir", sagte Tante Martha freundlich und gab ihm die Hand. Und Pony Hütchen hielt ihm den Ellbogen hin, trug eine Schürze von ihrer Mutter und quiekte: "Vorsicht! Ich habe nasse Hände. Ich wasche nämlich Geschirr ab. Wir armen Frauen!" Nun gingen sie allesamt in die Stube. Emil mußte sich aufs Sofa setzen. Großmutter und Tante Martha betrachteten ihn, als wäre er ein sehr teures Bild von Tizian. "Hast du die Pinke?" fragte Pony Hütchen. "Klar!" meinte Emil, holte die drei Scheine aus der Tasche, gab hundertzwanzig Mark der Großmutter und sagte: "Hier, Großmutter, das ist das Geld. Und Mutter läßt herzlich grüßen. Und du sollst nicht böse sein, daß sie in den letzten Monaten nichts geschickt hat. Aber das Geschäft ginge nicht besonders. Und dafür wäre es diesmal mehr als sonst." "Ich danke dir schön, mein gutes Kind", antwortete die alte Frau, gab ihm den Zwanzigmarkschein zurück und sagte: "Der ist für dich! Weil du so ein tüchtiger Detektiv bist." "Nein, das nehme ich nicht. Ich habe ja von Mutter noch zwanzig Mark in der Tasche." "Emil, man muß seiner Großmutter folgen. Marsch, steck es ein!" "Nein, ich nehme es nicht." "Menschenskind!" rief Pony Hütchen. "Das ließe ich mir nicht zweimal sagen!" "Ach nein, ich möchte nicht." "Entweder du nimmst es, oder ich kriege vor Wut Rheumatismus", erklärte die Großmutter. "Schnell, steck das Geld weg!" sagte Tante Martha und schob ihm den Schein in die Tasche. "Ja, wenn ihr durchaus wollt", jammerte Emil. "Ich danke auch schön, Großmutter." "Ich habe zu danken, ich habe zu danken", entgegnete sie und strich Emil übers Haar. Dann überreichte Emil den Blumenstrauß. Pony schleppte eine Vase heran. Aber als man die Blumen ausgewickelt hatte, wußte man nicht, ob man lachen oder weinen sollte. "Das reinste Dörrgemüse", sagte Pony. "Sie haben seit gestern nachmittag kein Wasser mehr gehabt", erklärte Emil traurig. "Das ist ja kein Wunder. Als Mutter und ich sie gestern bei Stamnitzens kauften, waren sie noch ganz frisch." "Glaube ich, glaube ich", meinte die Großmutter und stellte die verwelkten Blumen ins Wasser. "Vielleicht werden sie wieder", tröstete Tante Martha. "So, und nun wollen wir zu Mittag essen. Der Onkel kommt erst zum Abend heim. Pony, deck den Tisch!" "Jawohl", sagte das kleine Mädchen. "Emil, was gibt's?" "Keine Ahnung." "Was ißt du am liebsten?" "Makkaroni mit Schinken." "Na also. Da weißt du ja, was es gibt!" Eigentlich hatte Emil ja schon am Tage vorher Makkaroni mit Schinken gegessen. Aber erstens verträgt man sein Lieblingsessen fast alle Tage. Und zweitens kam es Emil so vor, als wäre seit dem letzten Mittag, in Neustadt bei der Mutter, mindestens eine Woche vergangen. Und er hieb auf den Makkaroni los, als wäre er Herr Grundeis-Müller-Kießling. Nach dem Essen liefen Emil und Hütchen ein bißchen auf die Straße, weil der Junge Ponys kleines vernickeltes Rad probieren wollte. Großmutter legte sich aufs Sofa. Und Tante Martha buk einen Apfelkuchen im Ofen. Ihr Apfelkuchen war in der ganzen Familie berühmt. Emil radelte durch die Schumannstraße. Und Hütchen rannte hinter ihm her, hielt den Sattel fest und behauptete, das sei nötig, sonst fliege der Vetter hin. Dann mußte er absteigen, und sie fuhr ihm Kreise und Dreien und Achten vor. Da kam ein Polizist auf sie zu, der eine Mappe trug, und fragte: "Kinder, hier in Nummer 15 wohnen doch Heim-bolds?" "Jawohl", sagte Pony, "das sind wir. Einen Moment, Herr Major." Sie schloß ihr Rad in den Keller. "Ist es was Schlimmes?" erkundigte sich Emil. Er mußte noch immer an den verflixten Jeschke denken. "Ganz im Gegenteil. Bist du der Schüler Emil Tischbein?" "Jawohl." "Na, da kannst du dir aber wirklich gratulieren!" "Wer hat Geburtstag?" fragte Pony, die dazu kam. Aber der Wachtmeister erzählte nichts, sondern stieg schon die Treppe hoch. Tante Martha führte ihn in die Stube. Die Großmutter erwachte, setzte sich auf und war neugierig. Emil und Hütchen standen am Tisch und spannten. "Die Sache ist die", sagte der Wachtmeister und schloß dabei die Aktentasche auf. "Der Dieb, den der Realschüler Emil Tischbein heute früh hat festnehmen lassen, ist mit einem seit vier Wochen gesuchten Bankräuber aus Hannover identisch. Dieser Räuber hat eine große Menge Geld gestohlen. Und unser Erkennungsdienst hat ihn überführt. Er hat auch schon ein Geständnis abgelegt. Das meiste Geld hat man, in seinem Anzugfutter eingenäht, wiedergefunden. Lauter Tausendmarkscheine." "Du kriegst die Motten", sagte Pony Hütchen. "Die Bank", fuhr der Polizist fort, "hat nun vor vierzehn Tagen eine Prämie ausgesetzt, die der erhalten soll, der den Kerl erwischt. Und weil du", wandte er sich an Emil, "den Mann eingefangen hast, kriegst du die Prämie. Der Herr Kriminalkommissar läßt dich grüßen und freut sich, daß auf diese Weise deine Tüchtigkeit belohnt wird." Emil machte eine Verbeugung. Dann nahm der Beamte ein Bündel Geldscheine aus seiner Mappe, zählte sie auf den Tisch, und Tante Martha, die genau aufpaßte, flüsterte, als er fertig war: "Tausend Mark!" "Ei Potz!" rief Pony. "Nun haut's dreizehn!" Großmutter unterschrieb eine Quittung. Dann ging der Wachtmeister. Und Tante Martha gab ihm vorher ein großes Glas Kirschwasser aus Onkels Schrank. Emil hatte sich neben die Großmutter gesetzt und konnte kein Wort reden. Die alte Frau legte ihren Arm um ihn und sagte kopfschüttelnd: "Es ist doch kaum zu glauben. Es ist doch kaum zu glauben." Pony Hütchen stieg auf einen Stuhl, taktierte, als wäre eine Kapelle im Zimmer, und sang: "Nun laden wir, nun laden wir die ändern Jungens zum Kaffee ein!" "Ja", sagte Emil, "das auch. Aber vor allem... eigentlich könnte doch nun... was denkt ihr... Mutter auch nach Berlin kommen..."