Der deutsche Nachkriegsfilm
In Westdeutschland entwickelte sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs relativ schnell eine neue Filmindustrie. Bis auf die Trümmerfilme gilt der deutsche Nachkriegsfilm als oberflächlich und wenig ideenreich.
„Es wird ja alles wieder gut, / Nur ein kleines bisschen Mut, / Lässt das Glück dich auch manchmal allein. / Es wird ja immer wieder Mai, / Auch dein Kummer geht vorbei, / Und du brauchst nicht mehr traurig zu sein.“
Der Sänger Detlev Lais drückt in seinem Lied das aus, was damals nach Ende des Zweiten Weltkriegs dringend nötig war: den Mut nicht sinken zu lassen. Auch wenn man manchmal den Eindruck hat, dass das Glück einen verlassen hat, kommt es doch zurück – wie der Monat Mai. Denn in diesem Monat konnte man früher das Vieh wieder auf die Weide treiben. Der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll hatte jedoch das Kriegsende anders empfunden:
„Ich habe das nicht als Stunde Null empfunden, sondern als Stunde Nichts!“
Für Heinrich Böll war es also eine Zeit der totalen Zerstörung, des Nichts. Viele andere sahen im Ende des Krieges jedoch die sogenannte Stunde Null, einen Neuanfang – auch die deutsche Filmindustrie. Denn trotz Hunger und Wohnungsnot konnte sich erstaunlich rasch eine bescheidene Filmkultur entwickeln. Allerdings war es mit enormen Anstrengungen verbunden, in der unmittelbaren Nachkriegszeit Filme zu drehen. Es fehlte beinahe an allem: Die Studios waren zerstört, Filmmaterial war Mangelware, und Kameras gab es nur wenige. Schauspieler, Ausstatter, Musiker, Drehbuchautoren und Regisseure waren ausgewandert, verstorben oder lebten weit voneinander entfernt. Trotzdem war der Film ein wichtiges Medium, um über den Krieg und die Verbrechen der Nationalsozialisten aufzuklären.
Deutsche Nachkriegsproduktionen, sogenannte Trümmerfilme, thematisierten Schicksale von heimkehrenden Flüchtlingen oder die Lebensumstände im Alltag zwischen den Trümmern der zerbombten Städte. Mancher Film stellte aber auch die Frage nach der Schuld der Deutschen und den Verantwortlichen. Den Trümmerfilmen der unmittelbaren Nachkriegszeit folgte schon bald eine populäre Mischung aus Heimat-, Urlaubs- und Schlagerfilmen. Das hatte seinen Grund, sagte Helmut Käutner, einer der wichtigsten Nachkriegsregisseure:
„Auch die Trümmerfilme wurden eine Masche. Und dann kamen sehr bald wieder die Operette und das Volkslied in Gänsefüßchen und der kitschige Schwank. Es wurde eine allgemeine Banalität.“
Die Menschen hatten irgendwann genug von den Trümmerfilmen, da die Geschichten sich ähnelten. Sie wurden eine Masche – wie ein Pullover, bei dem sich eine Masche an die nächste reiht. Deshalb wurden Musikfilme gedreht, wie Käutner sagte – die Operette und das Volkslied in Gänsefüßchen. Setzt man etwas „in Gänsefüßchen“, wird dadurch ein Zitat gekennzeichnet. Im übertragenen Sinn kann der Begriff aber auch verwendet werden, um auszudrücken, dass man sich von etwas Gesagtem distanziert. Beim Sprechen werden dann mit den Fingern beider Hände in der Luft die Anführungszeichen dargestellt.
Neben den Musikfilmen wurden auch Schwänke auf die Leinwand gebracht. Ein Schwank ist eine Geschichte, die die Menschen auf eine meist grobe Art zum Lachen bringen soll. Die Komik wird dadurch erreicht, dass ein als dumm geltender Mensch einen anderen überlistet. Die deutsche Filmindustrie konzentrierte sich also darauf, die Menschen zu unterhalten. Die Filme wurden banal, dümmlich.
Filme, die all das thematisierten, womit die Menschen in ihrem Alltag nach Kriegsende wirklich zu tun hatten, fanden dagegen beim Publikum keinen Zuspruch. Dazu gehörten etwa ‚Die goldene Pest‘ von John Brahm aus dem Jahr 1954, ein Film über die US-amerikanische Besatzungsmacht, und Paul Mays kritische Betrachtung des Gesundheitswesens aus dem Jahr 1956: ‚Weil du arm bist, musst du früher sterben‘. Stattdessen wurde 1951 mit ‚Grün ist die Heide‘ jenes westdeutsche Film-Genre geboren, das dem anspruchsvollen Kinogänger ein Alptraum war: der sogenannte Heimatfilm.
In diesen Heimatfilmen wird eine unberührte Natur gezeigt. Ort der Handlung sind meist die Berge in Österreich, der Schweiz oder in Bayern, aber auch die Lüneburger Heide im Norden Deutschlands, der Schwarzwald oder der Bodensee. Charakteristisch ist eine melodramatische Handlung, die meistens eine Liebesgeschichte beinhaltet. Dazu kommen komische oder tragische Verwechslungen. Häufig gibt es Musikeinlagen. Die große Liebe, Eheglück, Natur- und Wohlstandssehnsucht gehören zu den beliebtesten Themen. Betont werden konservative Werte wie Ehe und Familie. Frauen werden meist nur als Hausfrau oder Mutter positiv dargestellt. Personen und Institutionen, die Macht verkörpern, dürfen nicht in Frage gestellt werden. Der Filmwissenschaftler Hans Helmut Prinzler begründet, warum der Heimatfilm beim Publikum so ankam:
„In ihm war schon von der Zeit viel aufgehoben. Also, er hat auch versucht, zu harmonisieren, bestimmte Spannungen zwischen Großstadt und Land. Er hat auch versucht, die Traumata des Krieges auszugleichen. Er ist natürlich auch damals eine Art von Ersatz für Tourismus gewesen. Also, man konnte es sich nicht leisten, in die Alpen, in 'n Schwarzwald oder in die Lüneburger Heide zu fahren. Das kriegte man im Kino, und das haben die Leute in vollen Zügen aufgenommen – mit all den Klischees, die da 'ne Rolle spielten.“
Die Heimatfilme erfüllten, so Prinzler, mehrere Funktionen, es war viel in ihnen aufgehoben: Zum einen sollte eine harmonische Atmosphäre geschaffen werden. Die friedliche Idylle sollte die Menschen die schlimmen, traumatischen Erfahrungen des Weltkrieges, die Traumata, vergessen lassen. Zum anderen wurde den Kinogängern gezeigt, wie es zum Beispiel in den Bergen oder im Schwarzwald aussieht, denn damals war kaum Geld vorhanden, um zu reisen. Obwohl die Heimatfilme kein wirkliches Bild der Realität wiedergaben, sondern nur ein Klischee, eine bestimmte Vorstellung, wie etwas sein könnte, schauten sich die Menschen diese Filme sehr gerne an. Sie nahmen sie in vollen Zügen auf – wie ein Raucher, der genussvoll eine Zigarette raucht. Diese konservative Weltsicht haben Filmkritiker den deutschen Filmemachern in den fünfziger und sechziger Jahren vorgeworfen. Gerhard Bliersbach, Psychologe und Filmkritiker: „Diese Filme sind ja kaum gewalttätig. Es bleibt ja ganz unterschwellig so mehr so als eine klimatische Bedrohung. Aber es wird so wenig ausgetragen. Ich finde dieses Kino der fünfziger Jahre ist ja ungeheuer aggressiv gebremst.“
Gerhard Bliersbach kritisiert, dass Gewalt in den Heimatfilmen nicht offen ausgetragen wird, dass die Filme aggressiv gebremst sind. Der Zuschauer spürt sie, sie ist unterschwellig, sie bedroht die Stimmung, das Klima, in der dargestellten heilen Welt. Mit der Einführung der Wehrpflicht 1957 kam eine Wende. Zahlreiche Kriegsfilme eroberten die Leinwand. Ausgeblendet aber blieben Fragen nach den Zielen der nationalsozialistischen Wehrmacht, nach ihren Verbrechen und ihren Opfern. Antikriegsfilme wie ‚Die Brücke‘ stachen da qualitativ heraus. Auffällig am deutschen Nachkriegskino war ansonsten der Mangel an filmischem Wagemut – auch in den Jugend- oder sogenannten Halbstarkenfilmen. Stattdessen gab es vor allem Filme, die jedem gefallen sollten. Bedeutungsvolle Streifen wurden nicht in Deutschland produziert, sondern in Japan, Frankreich, den USA und Italien. Und zudem begann ein neues Medium, das Fernsehen, dem Kino den Rang abzulaufen. Der Filmwissenschaftler Hans Helmut Prinzler sagt:
„Dieser Paradigmenwechsel vom Kino zum Fernsehen, das ist natürlich zentral fünfziger Jahre, also wo '54 ungefähr das offizielle Fernsehprogramm begonnen hat und bis Ende der 50er schon sehr in den Vordergrund kam. Der Verlust an Kinobesuchern ist eigentlich 'n ganz klares Signal, dass sehr viele Menschen vom Kino zum Fernsehen übergewechselt sind.“
Die offizielle Wiederaufnahme eines geregelten Fernsehbetriebs in Westdeutschland 1952 führte zu einem Paradigmenwechsel, zu einem Umbruch. Die Fernsehbilder brachten den Menschen die Lebenswirklichkeit ins Haus – egal, ob es sich zum Beispiel um die Krönung von Elizabeth II. 1953, die Fußballweltmeisterschaft 1954 oder generell um Nachrichten handelte. Fernsehen wurde in erster Linie als ein Medium gesehen, das der Bildung diente und weniger unterhalten sollte. Die Krise, in die das Kino Anfang der 1960er Jahre geriet, hatte jedoch – filmisch gesehen – vorher bereits begonnen.