Der Zustand Europas - Hans-Olaf Henkel, Plenum des Europäischen Parlaments
Meine sehr geehrten Damen und Herren, so gut, wie hier Europa dargestellt wird,
ist es nicht.
Der Europäische Patient ist krank und bevor ein Arzt eine Therapie empfiehlt, erstellt
erstellt er doch erst einmal eine Diagnose.
Das ist heute morgen nicht geschehen.
Ich fürchte, dass das heute morgen verabschiedete Rezept von mehr Europa dem Patienten den Rest
geben wird.
Der dramatische Zuwachs an rechtspopulistischen, rechtsextremen Parteien ist auch das Resultat
von zu viel Europa.
Der BREXIT, für mich die größte Katastrophe der letzten Jahre, ist eben auch – zumindest
indirekt – ein Resultat von zu viel Europa.
Es ist ja gut, dass Sie darauf hinweisen, dass die Briten jetzt alle Luxemburger werden
wollen, aber Herr Ministerpräsident, ich hätte schon erwartet, dass Sie mal darauf
hinweisen, was das für Europa bedeutet, dass hier ein Land geht, was so groß ist, wie
als wenn 9 oder 10 andere europäische Länder auf einmal Europa verlassen würden.
Auch die Staatskrise in Italien ist eine Folge, unter anderem, von zu viel Europa, zumindest
vom Euro.
Sie haben ja darauf hingewiesen, dass der Binnenmarkt irgendwie mit dem Euro zusammenhängt.
Meine Damen und Herren, es tut mir leid, das ist Unsinn.
Die wirtschaftliche Entwicklung der nicht-Euro-Länder in den letzten 20 Jahren in der EU war viel
besser, als die Entwicklung der Länder, die den Euro haben.
„Buongiorno“ kann man dazu nur sagen.
Es gibt überhaupt kein anderes Land, welches unter so einer „one size fits all“- Währung
leidet, wie Italien.
Vor Einführung des Euro war Italien noch ein Land mit einem Weltmarktanteil von 6%.
Heute ist dieser Anteil auf 3% geschrumpft.
Das Land ist überschuldet und die Jugendarbeitslosigkeit in Italien ist eine absolute Katastrophe.
Während Italien an einer aus seiner Sicht viel zu starken Währung leidet, erzielt die
deutsche Industrie aufgrund einer aus ihrer Sicht viel zu schwachen Währung,
einen gewaltigen Exportüberschuss.
Herr Ministerpräsident, sie haben zurecht darauf hingewiesen, dass sie glücklicherweise
nicht von den Kriegs- und Nachkriegswirren beeinflusst wurden,
bzw. sie mussten sie nicht erleben.
Bei mir war das anders.
Mein Vater ist im Krieg geblieben, wir sind 2x ausgebombt worden und ich bin froh, dass
wir seit über 70 Jahren Frieden haben, in Europa, aber das hat
mit dem Euro nichts zu tun.
Das liegt an den Demokratien.
Es hat noch nie eine Demokratie gegeben, die eine andere angegriffen hat.
Das ist das, was wir pflegen müssen, aber doch nicht den Euro.
Mal ganz davon abgesehen, dass sich Deutschland auch mit den nicht-Euro-Ländern nicht im
Krieg befindet, möchte ich darauf hinweisen, was der Euro im Augenblick gerade anrichtet.
In Italien wird mit antideutschen Parolen Stimmung gemacht.
Meine Damen und Herren, warum?
Ist doch ganz klar, weil hier der Euro den potentiell größten Gläubiger, nämlich
Deutschland, immer wieder dazu zwingt, den potentiell größten Schuldner, nämlich Italien,
dauernd Vorschriften zu machen.
Dabei ist doch Frau Merkel nicht von den Italienern gewählt worden.
Nach Griechenland zeigt nun auch Italien überdeutlich: Statt unterschiedliche ökonomische Kulturen
den Bedürfnissen einer Einheitswährung unterzuordnen, sollten wir dafür sorgen, dass eine Währung
den unterschiedlichen Kulturen entspricht.
Anstatt den Italienern dauernd vorzuschreiben, wie sie auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig
bleiben wollen, sollten wir es ihnen selbst überlassen.
- Ob sie es mit Arbeitsmarktreformen machen, mit Abwertung, oder mit einer Kombination
von beidem.
Die letzten Wahlen in Italien zeigen deutlich, dass immer mehr Italiener das auch so sehen.
Auf die Anfrage der beiden italienischen Abgeordneten dieses Hauses, Marco Valli und Marco Zanni,
hat der EZB-Präsident Mario Draghi darauf hingewiesen, und ich zitiere jetzt:
„Im Falle eines Austritts aus der Währungsunion hat Italien vorher alle Verbindlichkeiten
bei der EZB auszugleichen.“
Ende des Zitats.
Hier weist zwar Draghi auf eine große Hürde hin, für einen Ausstiegs Italiens aus der
Währungsunion, aber er deutet damit auch gleichzeitig eine Lösung für das italienische
Problem an, meine Damen und Herren.
Bei einem Austritt aus der Währungsunion – und das sage ich auch als Deutscher – sollte
Italien auch finanziell unterstützt werden.
Das wäre für uns eine längst fällige Bilanzbereinigung.
Hier komme ich zum Schluss: Ein krankes Italien in der Währungsunion ist für alle nicht
so gut, wie ein gesundes Italien mit einer eigenen Währung.