2-In die Fänge geraten | SWR Nachtcafé
Frau Galeoto, Sie waren in den Fängen einer Beziehung. Und als Sie sich aus dieser Beziehung gelöst haben, da hat Ihr früherer Partner Ihnen - eine grausame Vorstellung - ein Messer in den Nacken gerammt. Ja. Seitdem sind Sie gelähmt, und Sie haben nur knapp überlebt.
Ja. - Erst mal das Wichtigste: Wie geht es Ihnen heute?
Mir geht's gut soweit. Ich bin froh, dass ich noch lebe. - Mhm. Und ... ich musste meinen Körper, meine Gesundheit ... opfern. Aber ich bin froh. Und ... ich bin frei.
Und wir sind froh, dass Sie da sind. Ja.
Wenn wir ... Wenn wir noch mal zurückschauen: Wie haben Sie diesen Mann kennengelernt? Ich hab ihn über Weihnachten kennengelernt. Er kam zu einer Tante, die er im gleichen Ort hat wie ich. Und ich arbeitete in einem Supermarkt an der Kasse. Da haben wir uns gesehen. Und das wär ... Das war die erste Liebe.
Und was haben Sie, wenn Sie sagen, das war die erste Liebe, was haben Sie an ihm geliebt?
Er war schön. - Schön. Und ich glaube, ich habe mich zuerst von der Schönheit ... Sich von der Schönheit angezogen gefühlt, sozusagen.
– Ja, genau. Ja, Sie waren dann zusammen, aber die Beziehung hat sich verändert.
Ja, und das kam ... Also, wir haben 1992 geheiratet. Die ersten zwei Jahre waren schön. Zwei Jahre schön. - Ja.
Und dann, als ich mit der ersten Tochter schwanger war, da fing es an.
Was fing da an? Die erste Ohrfeige.
In welcher Situation? Die erste.
Wir hatten Streit ... und ... er konnte mit meiner Mutter nicht so gut. Und sie hatten immer wieder Streit. Und ich war halt in der Mitte.
- So dazwischen. Wie das viele kennen. Mhm. Und so fing es an. Und er hatte mir die Schuld gegeben. Und hat mir die erste Ohrfeige gegeben.
Und was ... was haben Sie ... War das erst mal nur Schock bei Ihnen, oder?
Im ersten Moment, ja. Und dann dachte ich, vielleicht bin ich schuld.
Vielleicht sind Sie schuld? - Ja.
Das ist immer das, was man denkt am Anfang.
Und war auch so ein Gedanke da: "Wenn er mich schlägt, dann kann er nicht mein Partner sein." War das auch?
- Nein, in diesem Moment nicht. Ich dachte, ja, vielleicht bin ich schuld, habe etwas falsch gemacht oder gesagt. Ich verzeihe ihm. –
"Ich verzeihe ihm."
Aber das war ... nicht so.
Es hat sich dann eher noch gesteigert.
Ja.
Wurde es dann auch von der Gewalttätigkeit ...
Später kam die zweite Ohrfeige, eine dritte ... Und dann immer viel schlimmer, immer viel schlimmer.
Eine Faust ... und einen Kick.
Ein Faustschlag?
- Ja. Und immer schlimmer. Bis am Schluss.
War da dann noch die Hoffnung, dass Sie diese ersten zwei Jahre noch mal wieder erleben? Oder war die dann mehr und mehr ...
- Nein, das war alles anders.
Es war alles anders.
Ja, meine Liebe wurde mit der Zeit immer kälter und ... ich habe gemerkt, bei ihm stimmt etwas nicht. Er war immer mehr aggressiv und hat sich auch nicht so um die Familie gekümmert.
Ich musste alles selber weiterführen.
Hat er Sie auch kontrolliert?
Mit der Zeit, ja.
Ja? Was heißt das?
Fing das an mit kontrollieren. Er hatte Macht über mich.
Das heißt?
Ich musste immer alles fragen, wenn ich irgendwo hingehen musste.
Wenn er Nein sagte ... dann war das Nein.
Hat er denn ...
Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass da im Hintergrund, wenn man gefangen ist, auch oft eine Drohung steht.
Hat er Ihnen dann auch gedroht?
Ich hatte Drohungen, alles Mögliche, Stalking, alles. Ich hab alles miterlebt.
Hatten Sie Angst vor ihm dann irgendwann auch?
Am Anfang, ja. Ziemlich. Sehr lang hatte ich Angst. Dann mit der Zeit habe ich ... hab ich gedacht, ich muss stark sein für meine Kinder.
Die Kinder waren auch da.
Ja, ich habe zwei Töchter. Und ...
Wir haben das schon öfter auch hier im "Nachtcafé" besprochen. Es gibt Beziehungen, da ist Gewalt, und trotzdem fällt die Trennung schwer. Ist es die Angst, ist es Abhängigkeit, was führt dazu, dass ein Ausbruch aus so einer toxischen Beziehung, wie man sie ja heute auch nennt, so schwerfällt oft?
Sie haben ja auch einige Dinge schon dazu gesagt. Also erst mal spielt, glaube ich, häufig Scham eine Rolle, sich damit irgendwie an andere zu wenden. Und Sie sind sehr mutig, indem Sie das tun. Und Sie sind ... sprechen sozusagen für viele. Weil es sind erschreckende Zahlen, die schon vor eigentlich fast 20 Jahren die Bielefelder Frauen-Studien Deutschland zutage gebracht haben.
Nämlich, dass 25 Prozent aller deutschen Frauen Gewalt in Beziehungen erlebt haben oder gegenwärtig erleben. Und jede Achte, also die Hälfte von denen, in einem strafrechtlich relevanten Sinne. Was ... was unglaublich ist. Wenn man dann schaut, was eigentlich in die Öffentlichkeit kommt, dann ist das gar nichts.
Das liegt, glaube ich, an ganz vielen Dingen. Kinder sind im Spiel, man hofft, es wird besser, man schämt sich. Dann fühlt man sich vielleicht auch gebunden. Das ist ja auch eine Bindung und meistens ist es so, dass die Partner auch erst mal wieder ködern, sich entschuldigen, sagen, es kommt nicht mehr vor.
Dann tut es das doch, und es ist ein Teufelskreis, aus dem lange kein Entkommen ist. Erst mal danke an Sie, dass Sie die Sprachlosigkeit durchbrechen.
Sie haben gesagt, irgendwann, irgendwann bin ich dann auch dagegen angegangen. Auch Ihre Töchter haben gesehen, das geht so nicht. Eine Tochter ist dann gekommen und hat Sie sozusagen abgeholt, Sie sind, ja, des Nachts geflohen in die Wohnung eines Bekannten.
Sie haben Ihren Ex-Mann dann auch angezeigt, war das klar, das war's jetzt? Da gibt's kein Zurück mehr?
Ja?
- Das geschah vor vier Jahren. Im Sommer. Ich hatte Ferien. Er hat mich quasi ... in der Wohnung eingesperrt.
Ich konnte nicht mehr raus, er hat mir meine Bankkarte, meine Schlüssel, mein Natel, alles weggenommen.
Ihr Telefon, also.
- Alles, ja. Und er sagt: "Von jetzt an, mache ich alles." "Du musst nichts mehr machen." "Du wirst nie mehr arbeiten gehen." Also ich war gesperrt. Und, ähm, meine Kinder, die Ältere war schon ausgezogen seit einem Jahr. Die Jüngere war fast 18, damals.
Und sie hat gemerkt, also, die Kleine wusste schon, weil sie lebte noch mit uns.
Die Ältere hat gemerkt, da stimmt etwas nicht. Und die Jüngere hat dann alles erzählt, dass wir Streit hatten wieder einmal und ... dass ich nicht mehr raus konnte und so.
Dann haben sie zusammen ... diesen Fluch ... Fluchtweg organisiert.
Ihr Ex-Mann kam dann in die Psychiatrie. Aber irgendwann war er auch wieder draußen. Und er hat dann zwar ein Kontaktverbot bekommen, aber hat er sich daran gehalten?
- Nein. Er hoffte immer, dass ich wieder zurückkomme. Er, ich hab gemerkt, er, immer wieder ... "Komm zurück. Ich liebe dich." Und so. Er hatte noch nicht geschnallt, dass ich tatsächlich ...
Dass Sie es ernst meinen.
- Ende war.
Mit der Zeit hat er es gemerkt, wo ich die Scheidung eingereicht habe. Und alles. Dann hat er wieder angefangen mir zu drohen: "Du wirst Weihnachten nicht erleben." Und: "Ich bringe dich um." "Entweder mich oder niemand."
Das ist ja ein Albtraum.
- Das ist eine schwere Zeit.
Was kann man eigentlich tun, was können Frauen tun, die von ihrem Ex-Mann oder ihrem aktuellen Partner bedroht werden.
Und so offensichtlich bedroht werden.
Ja, Öffentlichkeit machen, Öffentlichkeit schaffen. Auf jeden Fall, das ist was ganz Wichtiges. Weil das ist ja was, was Sie auch eindrucksvoll beschrieben haben, das ist die geheime Kontaktaufnahme, die eigentlich verboten ist. Mit Bedrohung verbunden. Problematisch ist, dass die deutsche Justiz, in der Schweiz scheint es ähnlich zu sein, nicht tätig wird, bevor nichts vorfällt. Also es ...
Es wurde etwas verschärft, man kann auch vorher tätig sein, aber lange war es so.
Mit Näherungsverbot dann, ja. Trotzdem passiert das ja leider immer wieder und relativ häufig und es hat auch ganz viel damit zu tun, ob irgendwie das Gegenüber spürt, da gibt's eine stille Hoffnung, da ist man nicht ganz eindeutig und klar.
So schwierig das ist, ist es, glaube ich, wichtig, möglichst klar zu sein. Dass "Nein" auch nein bedeutet.
Sie haben gesagt, im Sommer vor vier Jahren haben Sie sich getrennt. Dann kam der 27. Dezember 2018, also vor knapp vier Jahren, der Tag nach den Weihnachtsfeiertagen. Sie waren bei einer Freundin in einer Boutique, sie hatten versprochen, da auszuhelfen ...da auszuhelfen, was ist dann passiert?
Sie ging in den Ferien und ich musste über Weihnachten, Neujahr den Laden aufmachen. Und da kam er. Er wusste das.
Er wusste, dass Sie da sind?
- Ja, ja. Er hat mich gestalkt. Er wusste jeden Schritt, den ich mache. Da kam er am 27. in den Laden. Er kam das erste Mal und beschimpfte mich. "Bist du ganz sicher, dass du nicht mehr zurückkommst?" Und: "Dass du mich loswerden willst?" Ich hab gesagt: "Ja, jetzt ist es fertig." "Ich zieh durch." "Du machst dein Leben, ich mache mein Leben."
Also endgültig und klar, wie Sie gesagt haben, dass man Auftreten muss.
Das hab ich länger angefangen. Mit diesem "Nein" und fertig.
Dann ist er gegangen Und so, also zwischen halb eins ... Mittag ist er wieder gekommen.
Und ... ich war alleine im Laden, es war keine Kundschaft, nichts. Kam er hinein. Plötzlich. Und er war hinter meinem Rücken. Und schrie mich an, ganz fest.
Und sagte: "Bist du wirklich sicher?"
Und ich sagte: "Ja." "Geh jetzt endlich, du darfst nicht mal hier sein." "Geh und lass mich in Ruhe."
Und dann hat er mich ... mit dem Messer ... gestochen. Da fiel ich auf den Boden.
Ich fiel am Boden und ... im ersten Moment hab ich nichts mehr gespürt.
Ich hatte nur ein Kribbeln im ganzen Körper.
Und ich schaute zu ihm so hoch auf und sagte: "Was hast du mir getan?"
Und er hat sich vor mir hinuntergekniet Schaute mir in die Augen und sagte:
"Du hast das gewollt."
Ist wieder aufgestanden und ist gegangen.
Dann kam irgendwann Hilfe?
Dann kam irgendwann? - Nach circa einer halben Stunde.
Das war für mich eine Ewigkeit.
Nach einer halben Stunde dort kam Hilfe, Sie konnten sich ja nicht bewegen.
Sind dann ins Krankenhaus gekommen, welche Diagnose haben Sie erhalten?
Tetraplegie.
- Das heißt?
Ich bin ... am Anfang, bin ich von hier ... bis hier unten, alles gelähmt gewesen.
Ich konnte nicht mal mehr essen. Nichts, ich konnte mich nicht bewegen, ich war so. Dann mit der Zeit, konnte ich wieder langsam die Finger bewegen, dann Hände, das kam langsam alles wieder. Kam mit den Bewegungen auch Lebensmut zurück?
Ja, sehr.
Auch mit meinen Kindern, die gaben mir immer Hoffnung. Sie geben mir heute noch Hoffnung. Ich habe im Nachhinein einen Freund. Er hat mich in der Rehab kennengelernt. Und er hat mir sehr viel Mut gegeben. Jetzt bin ich da.
Ihr Ex-Mann hat 15 Jahre Haft bekommen, wegen versuchten Mordes. Haben Sie noch Angst, was passiert, wenn er rauskommt?
Nein. Ich habe vorher schon keine Angst mehr gehabt vor ihm. Ich hab gewusst, er wird mich nie lassen. Es muss etwas passieren. Das hab ich schon gewusst. Ich hab gesagt, ich werde mein Leben opfern für meine Kinder. Und ... ich bin heute noch so.
Ich werde weiterkämpfen.
Er wird's nicht schaffen mich ... hinunterzuziehen. Er wird's nicht schaffen.
- Nein.
Ist da neben dem, was ein Leben vielleicht schwer macht, auch so ein Gefühl, jetzt endlich aus diesen Fängen befreit zu sein?
- Ja.
Für mich war es wie ein Stein, der vom Herz gefallen ist. Ich lebe meinen Tag, jeden Tag. Und ich genieße alles, was ich ... man lernt auch damit umzugehen. Und man schätzt, was das Leben ist. Und ich werde weiterhin schätzen. Und ... Kraft haben.
Was würden Sie ... Sie gehören ja jetzt zu denen und Sie haben gesagt, das sind sehr, sehr viele, die das erleben.
Was würden Sie denen raten?
Wenn man das überhaupt kann, weil natürlich jedes Leben, jede Beziehung 'ne andere ist.
Aber die in der Situation noch drinstecken, die sie ... Mut haben.
- Mut haben.
Mut haben und sich nicht so hinunterdrücken lassen.
Es ist so gut, dass Sie heute hier sind.
Aus vielerlei Gründen. Schön, dass Sie da sind.