Ein Desaster, das darauf wartet, zu geschehen
Die Folgen des Abschusses einer israelischen F-16 über Syrien
Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.
Seit Israel im Sechstagekrieg 1967 seine arabischen Nachbarn angriff, unmittelbar nachdem es seine ersten einsatzfähigen Atomwaffen fertiggestellt hatte, unterstützen die USA Israel jedes Jahr mit Milliardenbeträgen. 2016 hatten die Hilfszahlungen den Gesamtbetrag von 127 Milliarden US Dollar erreicht. Kein anderes Land der Welt wird von den USA in vergleichbarem Umfang finanziell mit „Entwicklungshilfe“ alimentiert. [1]
Israel hat diese immense Unterstützung hauptsächlich verwendet, um vom in seiner Existenz gefährdeten Zwergstaat zur strategisch überlegenen Militärmacht im Nahen Osten aufzusteigen, mit undeklarierten Nuklearwaffen, die keiner Kontrolle unterliegen.
Die Hilfe der USA war und ist bedingungslos, sie haben ihre Unterstützung nicht von Friedensbemühungen Israels abhängig gemacht. Im Gegenteil, ein Friedensschluss mit den arabischen Staaten ist mit zunehmender Überlegenheit Israels in immer weitere Ferne gerückt.
Aus dem Zufluchtsstaat von Auswanderern und Flüchtlinge, von denen viele der Vernichtung durch die Nazis entkommen waren, ist eine Militärmacht geworden, die ihre totale Überlegenheit arrogant demonstriert: mit Angriffen auf andere Länder, mit mindestens 2.300 Mossad-Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, und durch ihre Luftwaffe, die den Himmel über dem Nahen Osten unangefochten beherrscht und alles bombardiert, was die israelische Regierung zum Ziel erklärt – seit Jahrzehnten ohne eigene Verluste.
Allein im letzten Jahr, seit IS und Al Quaida den Syrien-Krieg verlieren und Assad ihn mit russischer Hilfe gewinnt, hat Israel dutzende Male Syrien angegriffen.
Das Kalkül der Israelis, der USA und der mit ihnen verbündeten Saudis, das quasi-schiitische Syrien in einen gescheiterten Staat zu verwandeln und damit die anderen Schiiten, also Iran und die Hisbollah zu schwächen, ist nicht aufgegangen. Die israelische Regierung, die sich bisher zurückhalten konnte und nur zuzuschauen brauchte, wie „hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen“ (Goethe) muss zunehmend selber ran.
Jetzt ist zum ersten mal seit 35 Jahren ein israelisches Kampfflugzeug abgeschossen worden.
Die Vorgeschichte: Eine iranische Drohne hatte israelischen Luftraum verletzt, als Vergeltung dafür hat Israels Luftwaffe mit 8 F-16 Syrien angegriffen. Beim Angriff auf iranische Einheiten dort hat eine syrische Luftabwehrrakete eine F-16 zum Absturz gebracht, die Besatzung konnte sich mit dem Schleudersitz retten.
Ironie der Geschichte: Am 4. Dezember 2011 hatten die iranischen Streitkräfte über Kashmar, 225 Kilometer westlich der afghanischen Grenze, eine US Drohne vom Typ RQ-170 Sentinel erbeutet. Dieser Einsatz war kein Einzelfall, die Iraner hatten wiederholt gegen Luftraumverletzungen und Spionageflüge protestiert.
Aus der damals gekaperten RQ-170 Sentinel haben die Iraner eine eigene, sehr ähnliche Drohne entwickelt, die „Saeqeh“ (Donnerkeil) genannt wird. [2]
Ausgerechnet eine Drohne dieses Typs wurde jetzt abgeschossen[3], nachdem sie israelischen Luftraum verletzt hat – was die Iraner bestreiten.
Hätten sich die Iraner nach diesem Angriff das Recht herausgenommen, wären sie willens und in der Lage gewesen, die USA in Afghanistan anzugreifen, hätten wir wohl wenig über juristische Erwägungen gehört, aber viel über einen zerstörten Iran beim Gegenschlag.
Der Abschuss der F-16 hat Folgen. Er ist ein Ereignis, dass die Selbstsicherheit der israelischen Regierung erschüttert hat. Die Überlegenheit der israelischen Streitkräfte wird intern ja sogar religiös begründet. Gott sei eben mit Israel im Bunde, und er sei es, der dem Staat seine Überlegenheit ermögliche. „Gott wird unsere Feinde besiegen“ schreibt Dr. Joseph Frager in den Israel National News in übelster Fundamentalistenmanier und findet es nicht geschmacklos, theologisch darüber zu räsonnieren, ob „tzirah“, der Hornissenschwarm, der Israel laut heiliger Schrift schützen werde, die Raketenabwehr „Eiserner Dom“, die Arrow Rakete, oder die F-16 sei. [4]
Und jetzt ist ein Teil des unbesiegbaren Hornissenschwarms abgeschossen worden.
Die Vergeltung folgte auf dem Fuss. Die israelische Luftwaffe hat nach eigenen Angaben ein Viertel der syrischen Luftverteidigung zerbombt. Und man macht sich Gedanken über weitere Konsequenzen. Der Chef des israelischen Institutes für Studien zur nationalen Sicherheit, Generalmajor Amos Yadlin sagte in einem Interview mit dem israelischen Radio 103FM: „Dies ist eine wesentliche Eskalation und ein großer strategischer Konflikt steht bevor“. Und mit militaristischem Stolz fügte er hinzu: „Zum ersten Mal hat Israel iranische Ziele auf syrischem Boden angegriffen, nachdem eine iranische Drohne in israelischen Luftraum eingedrungen war. Es gibt weltweit keine andere Luftwaffe, die fähig ist, solche eine Leistung innerhalb von zwei Stunden zu vollbringen.“
Der Ruf der israelischen Luftwaffe, der israelische Unbesiegbarkeitsmythos muss wiederhergestellt werden.
Somit rückt der Krieg mit dem Iran in Reichweite. Er ist nicht unbedingt erwünscht, aber der wahre geostrategische Beweggrund des Konfliktes in Syrien ist die Vorherrschaft im Nahen Osten.
Deswegen sind die Saudis bereit, mit ihrem Feind Israel gegen ihren Erzfeind Iran anzutreten. Um den Iran, Syrien und die Hisbollah zu entmachten, die Vorherrschaft der Israelis und Saudis im Nahen Osten zu zementieren, haben sich die USA, Saudi Arabien und Israel zusammengetan.
Auch der Aufstand im Iran, der vor kurzem begann und dann verebbte, gehörte in dieses Kalkül, auch wenn er echte interne Beweggründe hatte. Das ist immer so, auch bei Farbrevolutionen in Osteuropa, oder auf dem Maidan: Die Empörung ist echt, aber die Bewegung wird dann durch „Hijacking“ übernommen. Und genutzt.
Auch die Amerikaner sind in dieser Richtung zunehmend militärisch aktiv. Es bleibt ihnen angesichts des russischen Erfolges und der zunehmenden Bedeutung Russland im Nahen Osten nichts anderes übrig.
Zur Erinnerung: Am 19. Juni 2017 hatte ein US Kampfjet vom Typ F-18 eine betagte syrische SU-22 abgeschossen. Es war der erste Abschuss durch einen US Jet seit dem Jugoslawienkrieg. Der Sprecher des Weißen Hauses Sean Spicer sagte damals, die USA wollten die Situation in Syrien deeskalieren, aber behielten sich das Recht zur Selbstverteidigung vor.
Selbstverteidigung? Was genau haben die USA in Syrien verloren? Welches Recht haben sie, dort Angriffe zu fliegen, die syrische Armee zu bombardieren und Flugzeuge abzuschießen?
Die Sache ist eindeutig: gar keines. Die Einsätze der USA in Syrien sind illegal. Die USA haben auch kein Recht, dort den IS zu bekämpfen. Was aber irgendwie nicht so wichtig zu sein scheint. Legal, illegal, scheißegal, diese Regel tritt immer dann in Kraft, wenn es um die Interessen des freien Westens geht, und das Recht mit Machtinteressen in Konkurrenz tritt.
Im Gegensatz dazu ist der vielgeschmähte Einsatz der Russen und Iraner in Syrien legal, denn sie wurden von der dortigen Regierung unter dem angeblichen „Schlächter Assad“ um Hilfe gebeten. Im syrischen Krieg, der immer wieder von außen angeheizt wird, sind bis zu 400.000 Menschen ums Leben gekommen.
Legal ist auch der Einsatz der USA im Irak, weil die irakische Regierung die USA um Hilfe gegen den IS gebeten hat. Die Sache hat natürlich den Schönheitsfehler, dass die USA diese Regierung erst mit Hilfe eines Krieges an die Macht gebracht hat, der bisher mehr als 1 Million Iraker das Leben gekostet hat. Aber diese Menschen sind nicht vom „Schlächter USA“ massakriert worden, sondern sie haben ihr Leben zur Verschönerung des Nahen Ostens und zum Lobpreis der Demokratie amerikanischer Provenienz, die nie Realität werden wird, freudig hingegeben. Oder war es anders?
Nur eingefleischte Transatlantiker, die sich vor jedem Nachdenken ein Gehirn in Amerika ausleihen, kann es da wundern, wenn die chinesische Führung den USA die Qualifikation abspricht, die Welt anzuführen. Der ständige Verweis auf Menschenrechte die „Verantwortung zu Beschützen“, ist angesichts der Blutspur, die die USA bei ihrem „7 Länder in 5 Jahren“ Projekt hinterlassen, eine verlogene Phrase.
Der Libyen-Krieg, ein komplettes Desaster ungeahnter Dimension, war der letzte nötige Nachweis, den China und Russland gebraucht haben, um sich einig zu sein, im Sicherheitsrat nie wieder einer angeblich limitierten „humanitären Intervention“ unter amerikanischer Führung zuzustimmen. Sie haben recht.
Die USA, deren internationaler Ruf unrettbar ramponiert ist, und die deswegen ihre Ziele nur noch mit Gewalt angehen können, die extrem selbstsicheren Israelis, die ihren Unbesiegbarkeitsmythos zurück haben wollen und die wahabitischen Saudis mit ihren religiösen Vormachtsbestrebungen einerseits – gegen die Iraner andererseits, deren bröckelndes Regime sich über den Hass auf Israel und die USA zusammenraufen kann – diese Zutaten zusammengemischt sind das Rezept für eine Katastrophe, die darauf wartet, geschehen zu dürfen.
Die einzige Rolle, die Deutschland in diesem Desaster spielen sollte, ist die eines ehrlichen Vermittlers, der den Frieden zu erhalten sucht. Das ist die „größere Verantwortung“, die Deutschland angesichts seiner gewachsenen Bedeutung in einer Welt übernehmen könnte und sollte, einer Welt, die durch das Totalversagen der USA zunehmend aus den Fugen gerät.
Wir sollten das politische Kapital unserer 70 Jahre nationaler Friedensdividende einsetzten, uns weiter zivilisiert benehmen, die Erfindung des „Runden Tisches“ exportieren und die Finger von Militäreinsätzen lassen. Wir sollten Frieden schaffen – ohne Waffen.
Die einzige Macht, die Deutschland einsetzen kann und sollte, ist die der Vernunft. Wir sind die beliebteste Nation der Welt. Wir können zur Abwechslung mal versuchen, diesen Ruf zu nutzen und zu festigen, statt ihn durch idiotische Auslandseinsätze zu beschädigen. Und wir sollten alles tun, um andere daran zu hindern, ein Desaster geschehen zu lassen. Schaffen wir das?