Boeings Todesmaschinen - #zoomIN vom 18.09.2019 | ZDF
Innerhalb von 5 Monaten stürzen zwei brandneue, baugleiche Flugzeuge ab.
346 Menschen sterben. Kritiker behaupten:
Das hätte verhindert werden können und müssen.
Geld sei Boeing beim Bau der 737 MAX wichtiger gewesen als Sicherheit.
In dieser Folge zoomIN geht es um die fünf Gründe,
warum dahinter zwar auch ein Softwareproblem, aber vor allem ein Skandal steckt:
1. MCAS: Das System hinter den Abstürzen. Am 10. März 2019 kracht ein fast neues Flugzeug der Ethiopian Airline kurz nach dem Start
mit über 1.000 km/h in ein Feld in Äthiopien. 157 Menschen sterben.
Nur fünf Monate vorher stürzt ein Flugzeug der Lion Air in Indonesien in die Java-See.
Auch hier fast ein nagelneues Flugzeug. Auch hier kurz nach dem Start. Auch hier keine Überlebenden.
Beide Flüge wurden vom baugleichen, neusten Boeing-Flugzeugtypen durchgeführt,
der 737 Max 8. Beide Abstürze zeigen in den vorläufigen Berichten viele Parallelen auf.
Als Ursache wird eine Software vermutet:
Maneuvering Characteristics Augmentation System
Kurz: MCAS ist eigentlich ein Anti-Absturz-System, das den Piloten der MAX in speziellen Flugsituationen helfen soll.
Wenn das Flugzeug zu steilt steht, greift MCAS ein und drückt automatisch, ganz ohne Befehl der Piloten,
über die gesamte Höhenflosse das Flugzeug nach unten.
Damit soll ein Strömungsabfall verhindert werden.
In beiden Abstürzen soll laut vorläufigem Absturzbericht ein fehlerhafter Sensor,
MCAS ausgelöst und den Flieger dann immer wieder nach unten gedrückt haben.
Im Fall von Lion Air waren es über 20 Mal und die Piloten versuchten jedes Mal dagegen zu steuern.
Es war ein Kampf zwischen Mensch und Maschine.
Den Anstellwinkel am Jet messen zwei Sensoren an der Nase des Fliegers.
Und MCAS reagiert sofort, sobald einer der Sensoren angibt, dass es gefährlich wird.
Warum Boeing die Daten aus nur einem Sensor nutzt, weiß man noch nicht.
Bei den Abstürzen hat wohl jeweils ein kaputter Sensor die tödliche Kettenreaktion ausgelöst.
Und falls ihr euch jetzt die Frage stellt, warum es dieses System überhaupt gibt,
dafür gibt es eine einfache Antwort, aber man muss einen ganzen Schritt zurück machen.
Das führt uns nämlich zu Grund 2:
Die Konkurrenz und der Wettbewerb zwischen Airbus und Boeing.
Auf dem Markt der Passagiermaschinen heißen die großen Player Boeing und Airbus.
Und wenn eins der Unternehmen einen neuen Flieger auf den Markt bringt,
kann das andere Unternehmen sehr viel Geld verlieren.
Und genau das stand Boing bevor.
Die 737 Max ist eine neuere Version der 737NG.
Die 737 ist ein Klassiker, in dem ihr bestimmt schon einmal gesessen habt, wenn ihr schon mal geflogen seid.
Und: Boeing wollte ursprünglich gar kein Update für die 737, sondern ein komplett neues Flugzeug bauen.
Und das, obwohl das teurer und aufwändiger ist.
Und das galt so lange bis Airbus 2010 angekündigt hat, den direkten Konkurrenten der 737,
die A320-Flotte zu verbessern.
Dafür wurden neuere, größere Turbinen unter die Flügel gesetzt, die den Flieger viel effizienter,
viel leiser und damit besser verkaufbar zu machen:
Die A320neo Reihe hat Boeing massiv unter Druck gesetzt.
Denn Airlines konnten damit sehr viel Geld sparen:
Sie brauchen weniger Kerosin, weniger Wartung und Piloten können nahtlos in neues Flugzeug übergehen.
Sie brauchten keine teuren Schulungen, weil es im Grunde das selbe Flugzeug ist, das sie sowieso schon fliegen.
Kurz darauf verkündete Boeing, ein Update der veralteten 737NG.
Das Problem: Im Gegensatz zu Airbus war das bei Boeing gar nicht so einfach möglich.
Denn während Airbus die neuen Triebwerke unter dem Flügel anbringen konnte,
war bei Boeing schlicht kein Platz dafür, die neuen Motoren waren zu groß.
Für die Max mussten daher die neuen Triebwerke weiter vorne und weiter oben am Flügel angebracht werden.
Und das hat das Flugverhalten der 737 Max im Vergleich zur NG entscheidend verändert.
Und zwar aerodynamisch. Die Position der neueren, stärkeren Triebwerke sorgen dafür,
dass der Auftrieb höher ist und der Jet unter bestimmten Voraussetzungen die Nase zu stark nach oben zieht.
Dann drohen Strömungsabriss und Absturz.
Hier kommt MCAS ins Spiel.
MCAS ist quasi eine Software-Schönheitskorrektur für einen physikalischen Unterschied in der Flugweise.
Das könnt ihr euch so vorstellen, als hätte jemand ein Auto gebaut,
dass auf der linken Seite schwerer ist, immer ein bisschen nach links zieht
und anstatt die Konstruktion des Autos zu verändern, hat man eine Software eingebaut, die dann eben nach rechts lenkt.
Die fertige Max jedenfalls hat sich für Boeing zunächst richtig gelohnt.
Sie wurde zu einem Verkaufshit, gerade bei Billigairlines:
Bisher ausgeliefert wurden über 370 neue Flugzeuge. Bei Boeing bestellt wurden etwa 5.000 weitere.
Die MAX bescherte Boeing einen Rekord an Bestellungen, einen Rekord-Umsatz und einen Rekord-Aktienstand.
Jetzt beschert sie dem Unternehmen die größte Krise seit langem.
Und damit kommen wir zu Punkt 3
3. Die Mangelhafte Schulung der Pilotinnen und Piloten. Jetzt haltet euch fest: Das System wurde nicht mal in den Handbüchern erwähnt.
Die Piloten, die auf die 737 Max geschult wurden, wussten gar nicht, das MCAS existiert.
Ziel war es ja, die Kosten für die Airlines zu minimieren und die Max sollte sich nahtlos in die 737-Reihe einfügen,
sich genau gleich fliegen lassen, eben wie die alten Flugzeuge.
Das stimmte aber nicht. Es wurden aber keine Flugsimulator-Stunden vorgeschrieben.
Und um auf die Max umzusteigen gab es je nach Airline oft nur eine 1-3 stündige Schulung auf dem iPad.
Die Piloten wären laut Boeing in der Lage gewesen, die Flieger unter Kontrolle zu bringen,
wären sie den Arbeitsabläufen, so wie vorgeschrieben, gefolgt.
Bei einigen Flügen ist das wohl auch gelungen.
So auch in der Lion Air Maschine in dem Flug vor dem Absturz.
Es ist aber wohl nicht selbsterklärend.
Vor allem wenn man das System im Hintergrund weder kennt, noch die Abläufe trainiert hat.
Piloten aus aller Welt Klagen gemeinsam gegen Boeing, weil sie sich schlecht informiert fühlen.
Hinzu kommt: Eine Warnleuchte im Cockpit, die Piloten auf die Unterschiede zwischen den Angle-of-Attack Sensoren hinweist,
wurde nicht in jedem Flugzeug eingebaut.
Genauso wie die Anzeige, die den Anstellwinkel anzeigt.
Beides sind Add-ons, so wie eine Lenkradheizung.
Und in beiden Absturzflugzeugen war die Anzeige nicht integriert.
Da bleibt die Frage: Warum wurde dieses Flugzeug jemals so zugelassen?
Und das bringt uns zu Punkt 4:
Die Nähe zwischen der FAA und Boeing.
Bevor ein Flugzeug abheben darf, muss es zugelassen werden.
In den USA ist dafür die Luftfahrtbehörde FAA zuständig.
Eine Art TÜV für Flugzeuge.
Die FAA überprüft neue Flugzeugtypen auf ihre Sicherheit und gibt sie frei oder gibt Mängel an die Hersteller weiter.
und Kritiker sagen, Boeing und die FAA seien viel zu nah miteinander verbandelt.
Seit 2005 überlässt die FAA Herstellern weite Teile der Überprüfung ihrer eigenen Produkte.
In diesem Fall einschließlich MCAS.
Diverse Zeitungsberichte weisen darauf hin,
dass es sowohl innerhalb von Boeing als auch bei der FAA massiv Druck ausgeübt wurde,
um die MAX so schnell wie möglich freizugeben.
Ingenieure bei Boeing sollen aufgefordert worden sein,
wesentliche Veränderungen am Flugzeug als geringe Änderungen einzustufen.
Damit konnte man eine genaue Überprüfung durch die FAA umgehen.
Und im Fall von MCAS soll beispielsweise die Gewalt mit der das System später gewirkt hat,
als geringer angegeben worden sein.
Boeing dementierte diese Berichte.
Aber auch innerhalb der FAA sollen Mitarbeiter unter Zeitdruck gesetzt worden sein.
Die Protokolle sollen nie vollständig und nie sorgfältig überprüft worden sein.
Und mit diesem ganzen Wissen im Hinterkopf, kommen wir zu Grund 5:
Zumindest der 2. Absturz hätte verhindert werden müssen.
Kurz nach dem Absturz von Lion Air war Verantwortlichen wohl recht schnell klar,
dass es sich um ein gravierendes Problem handeln könnte.
Mitarbeiter der FAA wandten sich an Journalisten, um darauf aufmerksam zu machen.
Und mehrere Piloten wiesen auf die wiederkehrende Probleme mit MCAS hin. Alle wurden ignoriert.
Die MAX-Flugzeuge blieben trotzdem in der Luft.
Nachgereicht wurde lediglich ein Hinweis, wie mit dem Problem im Cockpit umzugehen sei.
Die FAA wies kein Grounding der Maschinen an, sondern verschickte eine AD,
eine „airworthiness directive“, in dem sie die Maßnahmen erklärt.
Kritiker sagen: Boeing war der Profit hier, wie auch schon in der Konzeption des Flugzeuges,
wichtiger als die Sicherheit.
Laut Experten hatte das Unternehmen ein großes Interesse daran, die Flieger in der Luft zu halten.
Und schon kurze Zeit später kam es zum Absturz der ET302 in Äthiopien. 157 Menschen starben.
Seit Mitte März bleiben alle MAX Flugzeuge weltweit,
außer für Testflüge, auf dem Boden.
Der Deutsche Luftraum ist für die Maschinen gesperrt.
ABER: Sie sollen bald aber wieder in die Luft.
Wann genau ist noch unklar. Denn selbst im Juni 2019 fand die FAA weitere Mängel an der MAX.
Boeing hat bereits folgende Änderungen angekündigt:
Ein Software-Update und die Anzeige im Cockpit soll jetzt verpflichtend eingebaut werden,
nicht nur optional, MCAS soll nur noch einmalig auslösen und das mit weniger Gewalt.
Aktuell streiten die Piloten, FAA und Boeing noch darüber, welche Form der Schulung angemessen ist.
Boeing geht von einer 30-minütigen Schulung aus. Auf dem iPad.
In den USA wird gegen Boeing ermittelt.
Es gibt diverse Anzeigen gegen das Unternehmen, von Airlines, die Geld verloren haben,
von Hinterbliebenen, die geliebte Menschen verloren haben
und von Piloten, die das Vertrauen verloren haben.