heute journal vom 30.01.2021 - Wo das Virus Europa trennt
Guten Abend.
Pandemie-Politik wird gerade von Angst getrieben.
Angst davor, dass die Mutationen des Coronavirus die Seuche
schneller beschleunigen könnten als Impfungen sie aufhalten.
Deshalb kehrt zurück,
was es nicht nochmal geben sollte: Einreisesperren.
Seit heute sind für Menschen, die nicht Deutsche sind
oder fest in Deutschland wohnen,
Einreisen aus Brasilien, Südafrika, und, näher an zuhause,
auch aus Portugal und Großbritannien und Irland verboten.
Weitere Mutanten- Hotspots können folgen.
Grenzen sind von Haus aus zweischneidig.
An der deutsch-französischen Grenze ist es Frankreich,
das Beschränkungen und Kontrollen wieder einführt.
Nicht alle Maßnahmen leuchten den Betroffenen ein.
Vieles ist noch im Fluss.
Susanne Freitag berichtet aus dem Grenzgebiet des Saarlands.
In ihrer Bäckerei in Petite-Rosselle ist die Kundschaft seit Jahrzehnten
zur Hälfte französisch und zur Hälfte deutsch.
Heute ist das Lokalfernsehen in Rose-Marie Hucks Bäckerei
und der Abgeordnete der National- versammlung Christophe Arend.
Alle sorgen sie sich wieder mal um die Situation an der Grenze.
Denn wenn alles so kommt, wie der französische Premierminister
es gestern angekündigt hat, dann müssen ihre Kunden aus Deutschland
ab Montag einen negativen PCR-Test bei sich tragen.
Das versteht doch kein Mensch.
Mal machen sie die Grenze auf, dann wieder zu,
ich weiß nicht, was ich denken soll.
So ein Test kostet 150 Euro, das geben die Leute doch nicht aus,
um ein Baguette zu kaufen.
Und diese Situation finden Sie an 39 Grenzübergängen
zwischen Lothringen und dem Saarland.
Nur ein paar Meter weiter zeigt Christophe Arend uns,
wo das Problem liegt: Er geht einmal von Frankreich nach Deutschland
und wieder zurück von Deutschland nach Frankreich,
wie tausende Menschen das hier jeden Tag tun.
Sie haben sicherheitshalber schnell noch mal eingekauft.
Ich weiß nicht, was hier grade läuft.
Ich hoffe vor allem, dass das alles hier bald vorbei ist.
Die Angst vor Grenzschließungen ist irgendwie immer da.
Die Covid-Krise hat offengelegt,
wo es hakt zwischen Deutschland und Frankreich,
auch beim Arbeitssystem.
Philippe Henrion ist Grenzgänger.
Er lebt in Frankreich, arbeitet im saarländischen Völklingen
als Ausbilder beim TÜV.
Letzten März hatte er Kurzarbeit wegen Corona
und plötzlich 500 Euro weniger Lohn auf dem Konto.
Das Steuerrecht in Deutschland hat eine Lücke.
Bei den Deutschen wird die Steuer ja direkt vom Gehalt abgezogen
und das haben sie bei uns dann auch gemacht.
Das dürfte eigentlich nicht sein,
wir versteuern das Kurzarbeitergeld doch auch noch in Frankreich.
Deutschland hat Grenzschließungen für den Fall angekündigt,
dass die Mutationen sich in Nachbarländern zu stark ausbreiten.
Das ist in Lothringen derzeit nicht der Fall.
Dennoch stehen an dieser deutschen Tankstelle
französische Kunden Schlange - man weiß ja nie.
Wir machen uns Sorgen.
Wir sind total daran gewöhnt, einfach nach Deutschland zu fahren.
Deutschland und Frankreich sind hier total miteinander verwoben.
Wenn auf der einen Seite Virusmutationsgebiet ist,
ist es das auf der anderen Seite auch.
Wir sind ein gemeinsamer Lebensraum
und so müssen wir auch behandelt werden.
In Paris wird offenbar gerade gerade über eine Sonderlösung beraten.
Hier, wo Europa täglich gelebt wird, zeigt sich am deutlichsten,
wo seine Grenzen sind.
Weitere Corona-Informationen kompakt gefasst.
Das Robert-Koch-Institut verzeichnet weiter
eine hohe Anzahl an Übertragungen, obwohl sie in der Tendenz sinkt.
12.321 Neuinfektionen meldet das RKI binnen 24 Stunden,
das sind 4.096 weniger als noch vor einer Woche.
794 Menschen sind in Verbindung mit Covid-19 gestorben.
Die Sieben-Tage-Inzidenz für Deutschland liegt heute bei 91.
Die Impfverordnung für Deutschland soll überarbeitet werden,
das hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn heute angekündigt.
Man werde zwar weiter am Prinzip der Priorisierung festhalten.
Demnach werden das Personal in Pflegheimen
und Menschen ab 80 Jahren zuerst geimpft.
Die Impfverordnung müsse aber in Deutschland an die Altersempfehlung
für den neuen dritten Impfstoff von AstraZeneca angepasst werden.
Mit zunehmender Dauer der Corona-Einschränkungen
verschlechtere sich die Situation von Kindern und Familien,
so warnt die Kassenärztliche Bundesvereinigung.
Kinderärzte und Therapeuten würden von einer massiven Zunahme
verhaltensauffälliger Kinder berichten.
Die Situation in den Familien
hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgegriffen.
Als einen "gewaltigen Kraftakt" für Familien beschreibt sie
in ihrem wöchentlichen Podcast die gegenwärtige Situation
und wirbt um Geduld.
Die Pandemie ist die erste große internationale Krise,
die Großbritannien und die EU ohne einander,
getrennt und sogar vielfach zerstritten überstehen müssen.
Boris Johnson, der zuerst eine Trump-artige Verharmlosungskampagne
gegen die Wand gefahren hatte, setzt darauf,
dass eine erfolgreiche Impfkampagne
die Sünden des Anfangs vergessen macht.
Jedenfalls verhindert Corona gerade, dass an diesem Wochenende,
genau ein Jahr nach dem Brexit,
ein scharfes Licht auf die Brexit-Bilanz geworfen wird.
Die ist aus Sicht der betroffenen Briten alles andere
als eine ungetrübte Freude,
berichtet Andreas Stamm von den Inseln Ihrer Majestät.
Alles lief rund: satte Zuwächse im Geschäft mit dem Kontinent.
Dass Käse aus Nordengland gar französische Gaumen erfreut,
das halten sie bei der Cheshire Cheese Company
bis heute für ein kleines Wunder.
Die Käserei macht bislang ein Fünftel des Umsatzes
mit Einzelbestellungen aus Europa, rund 300.000 Euro jährlich.
Aus und vorbei über Nacht, als an Neujahr der Brexit real wurde,
die Übergangsphase endete, obwohl sie dachten,
sie wären auf die Folgen des Last- Minute-Handelsvertrags vorbereitet.
Uns war klar, dass jede Palette für den Großhandel
von einem Veterinär zertifiziert werden muss, für 180 Pfund.
Aber nun stellen wir fest,
dass wir das sogar bei jedem einzelnem Direktbesteller brauchen,
der über unsere Webseite für 25 oder 30 Euro was kauft.
Eigene Milchproduktion, traditionell und flexibel:
gerade noch Erfolgsmodell, jetzt Auslaufmodell.
Denn für Klein- und Mittelständler lohnt der Handel
mit dem Kontinent kaum noch.
Ihnen wird sogar von Regierungsstellen geraten,
eine Dependance in der EU zu eröffnen,
um im Geschäft zu bleiben.
Das überlegt auch die Käserei.
Zwölf neue Arbeitsplätze würden dann nicht in Macclesfield,
sondern in Frankreich entstehen.
Dieser Streit um die Impfstoffe zeigt ja,
wie die Spannungen zunehmen.
Meine Angst ist, dass ich nun in Europa investiere
und dann kommt es zu einem Handels- krieg und alles wäre verloren.
Ein Handelskrieg?
Im Streit der EU mit dem Hersteller AstraZeneca um Impfstofflieferungen
hatte Brüssel gestern fast eine Sonderklausel
des Brexit-Vertrags aktiviert,
die im Prinzip Grenzkontrollen zwischen Nordirland,
Teil des Vereinigten Königreichs, und EU-Mitglied Irland erlaubt hätte
Diese Grenze offen zu halten,
ein Wideraufflammen des Bürgerkriegs zu verhindern -
vier Jahre zähe Brexit-Verhandlungen hatte es gebraucht.
Hektische Telefondiplomatie zwischen London und Brüssel
verhinderte gestern Schlimmeres.
Die Regeln für Nordirland sollen den Frieden bewahren und den Handel.
Zumindest was den Handel angeht, funktioniert das definitiv nicht,
es verursacht Verwerfungen.
Und ich bin besorgt über die Spannungen in der Bevölkerung.
Denn der Sonderstatus Nordirlands,
das weiter Teil des EU-Binnenmarkts geblieben ist, macht große Probleme:
statt Obst und Gemüse, leere Supermarktregale.
Die Frischwaren, die wie bisher aus dem Rest
des Vereinigten Königreichs kommen, verrotten an der neuen Zollgrenze.
Obwohl noch nicht mal alle neuen Regeln angewendet werden,
sind Lieferanten, Spediteure, Kontrolleure überfordert.
Gerade steckt wieder eine Lieferung von Zwiebeln fest.
Der Grund: Es fehlt an einem Zollbeamten,
der sich die Ware anschaut und bestätigen kann,
dass das Zwiebeln sind.
Langfristig, so Ökonomen, könnte der EU-Austritt
der britischen Wirtschaft mehr schaden als die Corona-Pandemie,
doch die überdeckt momentan die Brexit-Folgen - noch.
Russland bereitet sich auf die für morgen erwarteten
neuen Proteste vor:
In über 100 Städten wollen Oppostionelle auf die Straßen gehen,
für die Freilassung von Kreml-Kritiker Nawalny
und gegen die Regierung von Präsident Putin.
Die Behörden warnen vor einer Teilnahme
an den nicht genehmigten Protesten.
Unterdessen hat ein russischer Milliardär und enger Vertrauter
von Putin erklärt, er sei Eigentümer des Palastes am Schwarzen Meer.
Nawalny hatte in einem Video behauptet, das Anwesen gehöre Putin,
was dieser bestreitet.
Bei einem Selbstmordttentat auf einen Militärstützpunkt
im Osten Afghanistans sind mindestens 14 Soldaten getötet worden.
Zu dem Anschlag bekannten sich die radikal-islamischen Taliban.
Trotz der laufenden Friedensgespräche zwischen den Taliban
und der afghanischen Regierung
gibt es immer wieder Anschläge auf Sicherheitskräfte.
In zahlreichen französischen Städten sind ingesamt fast 33.000 Menschen
gegen das geplante Sicherheitsgesetz auf die Straßen gegangen.
Allein in Paris beteiligten sich über 5.000 Demonstranten.
Dabei kam es auch zu Ausschreitungen, die Polizei setzte Wasserwerfer ein.
Die Demonstranten fürchten durch das Gesetz
Beschränkungen der Pressefreiheit, weil die Verbreitung von Aufnahmen
von Polizeieinsätzen eingegrenzt werden soll.
Die Proteste richten sich zugleich gegen die Corona-Maßnahmen,
die zur Schließung von Museen, Kinos und Theatern geführt haben.
Von allen Kulturstätten, die derzeit pandemiebedingt
brach liegen, ist die Hamburger Elbphilharmonie
eine der prächtigsten und modernsten und wahrscheinlich die teuerste.
Auch dort versucht man, aus der Zwangspause
das bisschen Gute rauszuholen, was rauszuholen ist.
Im Fall der Elphi wird was nachgeholt:
überfällige Säuberungsarbeiten, gewaltig groß und doch ganz fein.
Sven Rieken berichtet aus Hamburg.
* Musik *
Nur das wirklich gute Ohr kann wohl hören,
dass die Orgel der Elbphilharmonie leicht verstimmt ist.
Auch Bernd Reinartz hätte nicht gedacht,
dass er schon nach vier Jahren
die Pfeifen seines Meisterwerkes wiedersieht.
Der Orgelbauer nimmt sie alle
Du siehst, sie sind empfindlich.
mindestens einmal in die Hand.
Pfeifen haben Bärte, die haben Lippen,
eine Unterlippe, eine Oberlippe, eine Seiten- und einen Vorderbart.
Also, ist alles sehr menschlich, was wir hier tun.
Schuld an der Reinigung nach so kurzer Zeit
ist das späte Bauende der Elbphilharmonie.
Alles wurde auf den letzten Drücker fertig,
für eine Endreinigung blieb keine Zeit.
Die ganz kleinen Pfeifen, geht man ganz vorsichtig
nur mit einem Pinsel durch oder mit so einem Pfeifenputzer da durch.
Bei größeren, diesen riesigen Holzpfeifen,
die bis zu 11 m lang sind, da wird richtig auch mechanisch ausgesaugt.
4.765 Pfeifen - und keine ist wie die andere.
Immerhin haben die Orgelbauer aus Bonn Zeit.
Das Konzerthaus liegt brach.
Sinnbild für die Kultur, die hier sonst stattfindet.
Die Elbphilharmonie versucht gegenzuhalten, im Netz.
Aktuell mit dem Rising Stars Festival,
also den kommenden Stars der Klassikwelt.
Das Aris Quartett wäre in diesem Jahr
richtig durchgestartet - wäre.
Es ist sehr, sehr viel ausgefallen, vieles wurde verschoben.
Viele Sachen, auf die wir uns sehr gefreut hatten.
Für die man so viel arbeitet, die konnten nicht stattfinden.
In großen Konzerthäusern, USA-Tournee, solche Sachen.
Das ist natürlich sehr schade.
* Musik *
Eine verlorene Musiker-Generation, die zz. nur virtuell Gehör findet.
Der Nachwuchs ist sicher ausgebremst.
Da gibt es einfach viele, die Hoffnungen hatten,
die jetzt vom Musizieren leben wollten,
die gerade fertig sind mit ihrem Studium,
und da kommt buchstäblich nichts rein.
Die müssen zum Teil umdenken, sich andere Betätigungen suchen.
Die Elbphilharmonie plant trotzdem Monat für Monat weiter.
Irgendwann wird das musikalische Leben zurückkehren.
Auch Bernd Reinartz gibt sein Bestes,
damit, wenn es wieder losgeht, die Orgel gut klingt.
Die meiste Arbeit ist dann, wenn ein Ton besonders gut gelungen ist,
dann müssen wir die anderen auch so machen.
Irgendwann, so viel steht fest, werden diese Klänge auch wieder
vor Publikum erklingen.
Die Orgel der Elbphilharmonie jedenfalls ist dann bereit,
so sauber wie nie.
Eine Nachricht ist heute auch das Wetter in Deutschland,
so zwiegespalten es war: trübe und nass im Süden,
sonnig-winterlich im Norden.
Der Schnee im Alten Land bei Hamburg machte zwar vielen Freude,
Eis und Glätte führten aber auch zu zahlreichen Unfällen.
Auch der Fernverkehr der Bahn war auf vielen Strecken beeinträchtigt.
Im Südwesten dagegen: Tauwetter, Regen und Hochwasser.
Auf dem Rhein bei Karlsruhe
musste die Schifffahrt eingestellt werden.
Der Deutsche Wetterdienst warnt vor weiter anhaltendem Tauwetter
in Baden-Württemberg und Bayern.
Außerdem regnet es morgen ganz im Süden,
auf den Bergen fällt Schnee.
Sonst Sonne, an den Küsten Schneeschauer.
Die neue Woche beginnt mit Regen oder Schnee, nur im Norden mit Sonne.
Der Temperaturkontrast verstärkt sich wieder:
Fehlen noch die Gewinnzahlen vom Lotto.
Sie lauten:
Morgen, Sonntag, sind wir zur normalen journal-Zeit wieder da.
Verabredet mit EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen über die Klippen im Strom der Impfstoffe.
Und mit einem Gespräch mit Barack Obama über Zeitenwenden in den USA.
Bis dann.
Jetzt empfehlen wir Ihnen das sportstudio.
Einen guten Abend.