Lebensgefährliches Selfie: Folgen des Social Media Tourismus | ZAPP | NDR
Solche Posts kennt ihr bestimmt: Crazy and beautiful!
Spektakuläre Outdoor-Aufnahmen.
"Lebensgefahr"-Schild - bleiben die meisten stehen.
Das hat drastische Folgen.
Ich hab festgestellt, ich bin zu oft nah rangegangen.
Es geht viel um Selbstdarstellung, Gefahren werden ausgeblendet.
Wie weit darf man für Likes gehen?
Was sind die Folgen des Social-Media-Tourismus?
Für mich beginnt diese Reportage eigentlich schon vor Jahren.
Als Fotograf war ich für Reisemagazine an vielen Orten.
Ich kenne den Reiz des Abenteuers
und den Wunsch, spektakuläre Bilder einzufangen.
Oft hat das Folgen.
Am Kilimandscharo habe ich erlebt,
dass viele die Natur unterschätzen, unvorbereitet aufbrechen.
Und wie hier aufgrund von Höhenkrankheit
abtransportiert werden müssen.
Facebook, Instagram, TikTok:
Voller Posts, in denen waghalsige Dinge unternommen werden.
Mir scheint, es sind es diese Beiträge,
die viele Likes und Kommentare bekommen.
Alter ...
Ein Ort, der Selfie-Touristen anzieht: Berchtesgaden in Bayern.
So kann das Ganze aussehen.
Romantisch, als wenn kein anderer da wär.
Der Outdoor-Boom in den sozialen Netzwerken
hat negative Folgen.
Weltweit gibt es immer mehr Todesfälle durch "Killfies".
Auch am Königssee in Berchtesgaden
ist es immer wieder zu Unfällen gekommen.
Zwei junge Männer sind in den Becken des Wasserfalls ertrunken.
Trotz solcher Vorfälle lässt der Run auf den Königssee nicht nach.
Wir sind auf dem Weg dorthin, um uns ein Bild der Lage zu machen.
Und treffen Herrn Köppel vom Nationalpark Berchtesgaden.
Er möchte uns erzählen, wie er mit den Problemen umgeht.
Berchtesgaden ist Deutschlands einziger Alpen-Nationalpark.
Von Jahr zu Jahr steigen die Besucherzahlen.
Ein Ziel von vielen: der Wasserfall am Königssee.
Vorwiegend junges Publikum, das drängt in diese Richtung weiter.
Und stehen dahinten wieder, weil sie wollen dieses Foto,
wo üblicherweise das Mädel in den Gumpen sich räkelt.
Der Bub sucht ein Placement für sein Foto.
Dann raus, abtrocknen und die Nächsten.
Es wird 'ne Schlange abgearbeitet? Genau, da wird abgearbeitet!
Das Ganze sieht dann so aus.
Ich war der Meinung, des läuft sich irgendwann tot:
Wenn dieses Foto hunderttausendfach gemacht wurde:
Irgendwann müsste das Interesse schwinden.
Weit gefehlt - jeder braucht dieses Foto von sich.
Die Leute suchen diesen Ort auf,
nicht als traumhaft schönen Platz in unberührter Natur.
Die kommen, um das Foto zu machen, und verschwinden.
Liegen bleiben Fäkalien, Müll und Feuerstellen,
weil da hinten campen sie.
Bei Umweltschäden bleibt es nicht.
Am Königssee und im gesamten Alpenraum
kommt es immer wieder zu schlimmen Verletzungen und Todesfällen.
Ich besuche die Bergwacht in Ramsau bei Berchtesgaden und erfahre,
dass die Zahl der Rettungseinsätze steigt.
Was kann man dagegen tun?
Es ist nicht unsere Aufgabe, anzuklagen oder zu richten.
Wir sind da, um Leuten zu helfen.
Was sind die Gefahren, denen sich die Leute aussetzen?
Passieren kann alles.
Irgendwo umknicken und abstürzen,
da reicht oft relativ einfaches Gelände.
Dieser Hype nach dem ultimativen Foto ...
Ich weiß nicht, wie weit die das einplanen,
in welche Gefahr sie sich begeben.
Es geht viel um Selbstdarstellung. Da werden Gefahren ausgeblendet.
Oder wie hier nicht ernstgenommen.
"Lebensgefahr"-Schild - bleiben die meisten stehen.
Da müsst ihr durch!
Ich treffe auf Besucher, die zum Wasserfall wollen.
Die standen an den Warnschildern und haben das auch gelesen.
Aber es scheint so zu sein,
dass "Lebensgefahr" und Totenkopf die Leute nicht abschreckt.
Diese Erfahrung macht auch der Nationalpark Berchtesgaden.
Durch verharmlosende Postings
schätzen viele die Gefahren falsch ein.
Woher wisst ihr, dass die Leute, die sich in Gefahr begeben
und auch die Natur beschädigen, dass die über soziale Netzwerke kommen?
Speziell hier hinten haben wir die Besucher befragt
nach ihrer Motivation und nach den Quellen.
Daraus ging hervor, dass die allermeisten
über die sozialen Medien aufmerksam geworden sind.
2019 machte das Institut PSY:PLAN für den Nationalpark eine Studie.
Dabei kam heraus:
Eine Influencerin, die viele an diesen Ort gelockt hat,
ist Yvonne Pferrer.
Mit über 1,3 Mio. Followern auf Instagram
erreicht sie viele potentielle Nachahmer.
Dieses Foto hat laut Nationalpark einen riesigen Ansturm ausgelöst.
Ihr habt Kontakt aufgenommen. Ja, leider erfolglos.
Die junge Dame hatte wenig Einsehen für unsere Belange.
Den Beitrag löschen, wie es die Bitte war, wollte sie nicht.
Stattdessen hat sie den Posting-Text angepasst und schreibt:
Unter dem Beitrag viele kritische Kommentare:
Ich hab probiert,
zu ihr Kontakt aufzunehmen und ein Interview zu führen.
Doch mir wurde von ihrem Management nur versichert,
dass ihr Natur und Nachhaltigkeit wichtig wären.
Leider stehe sie aus Zeitgründen nicht für uns zur Verfügung.
Auch Drohnenaufnahmen wie diese sind im Nationalpark verboten.
Vermutlich war auch ihr Auftritt bei uns,
mit den Folgen, die wir hatten, der Grund dafür:
Wir haben über eine unpopuläre und neue Maßnahme nachgedacht.
Nämlich, dass wir dieses Gebiet vom Betretungsrecht herausnehmen,
sprich sperren!
Weil sie sich nicht mehr anders zu helfen wissen.
Wie ist es
mit dem Verantwortungsbewusstsein bei Influencern und Creatorn?
Ist ihnen bewusst, was sie mit ihren Posts auslösen?
Ich stoße auf Robert Juhnke.
Auch sein Feed: voll mit abenteuerlichen Posts.
Seine Bildunterschriften wie gemacht für Nachahmer:
"Would you sit on this edge?" oder "Would you stand there?"
Er ist bereit, mich für ein Interview zu treffen.
Social Media ist für ihn ein Nebenjob zum Studium.
Seine Aufnahmen veröffentlicht er auf Instagram und TikTok.
Siehst du das denn, oder ist dir das bewusst,
dass viele Leute gezielt zu Fotospots reisen?
Und dass dadurch Probleme entstehen?
Es ist 'ne Gratwanderung.
Ich kenn manche Locations auch nur durch Instagram,
und das wird auch so weitergehen.
Ich weiß auch nicht, was da die perfekte Lösung ist.
Du hast viele Beiträge, wo man nah an einer Klippe steht
oder die Drohne fliegt und du gehst darauf zu.
Ich habe viel draußen, aber da dachte ich:
Das sieht gefährlich aus.
Was veranlasst dich, das so umzusetzen?
Ich mache das nicht für Klicks oder Likes.
Das ist mir wichtig zu sagen. Ganz viele von diesen Sachen ...
Wenn man die Location kennt, weiß man meist auch:
Durch die Perspektive sieht das so gefährlich aus.
Aber wenn ich die Sachen ansehe, das ist schon krass.
Jaja.
Ich glaube, da muss man sich überlegen,
was jeder oder auch du damit auslöst.
Absolut!
Das sind auch Dinge, wo ich sagen kann,
da habe ich mich selber, ... da mache ich mir Gedanken.
Es ist schwierig, weil diese Motivation,
dass man enjemand dafür motiviert, dahin zu gehen, ist ja was Gutes.
Und ...
Ich find ... also ...
Aber es ist nicht gut, wenn wir an der Klippe stehen
und dann gehen alle nah ran. Das stimmt natürlich.
An super vielen Locations haben sie jetzt Begrenzungen und so angebaut.
Das ist auch richtig.
Am Ende des Tages muss ich einfach leider sagen,
ist das nicht meine Verantwortung, für irgendeine Person zu haften,
was die sich da überlegt, was sie da für sich machen möchte.
Also ...
Darauf kann ich keinen Einfluss haben.
Nach dem Interview sagt er mir,
dass er sich viele seiner Posts noch mal anschauen will.
Sie vermitteln anscheinend ein falsches Statement.
Sie locken viele an bestimmte Spots,
und dadurch hat er, finde ich, als Creator eine Verantwortung.
Was ist mit den Plattformen selber?
Bei TikTok interessieren sich laut Unternehmensangaben
über 48 % der Community in Deutschland für das Thema Reisen.
Da sollte es eine relevante Thematik sein.
Ich probiere, Kontakt zu TikTok und Instagram aufzunehmen.
Auf eine Antwort muss ich warten.
Muss ein guter Post mit Extremen und Gefahren verbunden sein?
Ich bin im Harz
und treffe Max und Max vom Fotografenkollektiv German Roamers.
Sie haben auf Instagram eine riesige Reichweite.
Inzwischen setzen sie bei ihren Posts auf schöne Landschaftsaufnahmen.
Geht es also doch anders?
Ich muss gestehen, ich bin das erste Mal hier.
Es gibt bei Social Media diesen Trend,
sich immer weiter an eine Klippe zu stellen.
Weil es spektakulär aussieht.
Was haltet ihr davon?
Ich würd eher sagen, dass ich dann halt
für das schöne Bild tatsächlich unterwegs bin.
Also klassisch fotografisch.
Da brauche ich keinen Extremsport oder so.
Da muss keiner mit 'ner Slackline über einen 500-Meter-Canyon hüpfen.
Oder sich an 'ne Kante stellen und im schlimmsten Fall fallen.
Das Bewusstsein ist gewachsen.
Man hat gemerkt, in der Vergangenheit habe ich Dinge getan,
die einen Einfluss darauf hatten, wie sich andere verhalten.
Man sollte nicht so nah an die Klippen gehen.
Man muss auch merken,
ich hab mich nicht richtig verhalten und muss das ändern.
Sie sagen mir, ihnen gehe es mehr darum,
in Ruhe und Abgeschiedenheit die Natur zu genießen.
Doch auch durch Posts wie ihre
ist es mit der Abgeschiedenheit mancher Orte schnell vorbei.
Ein schwer lösbarer Widerspruch.
Trotzdem können auch Creator wie die German Roamers was tun.
Wie verhindert ihr, dass diese Botschaft bei den Followern ankommt?
Dass die nicht auch in Massen, vielleicht sogar unerfahren,
an Spots aufbrechen und sich vielleicht sogar in Gefahr begeben?
Auschlaggebende Kriterien sind:
Sind gewisse Infrastrukturen da?
Ist die Möglichkeit gegeben, dass da mehr als ein Fotograf
und eine Begleitung bei einem Sonnenaufgang auftauchen?
Ist es irgendwo vernünftig, dass da mehr Leute hinkommen?
Man probiert, den Leuten mitzugeben: "Verhaltet euch vernünftig,
macht im Nationalpark kein Lagerfeuer, nehmt euren Müll mit."
Ritzt nicht in Bäume eure Initialen.
Es fehlt auch vielen dieses Bewusstsein,
das Hier und Jetzt zu erleben.
Dieses Privileg, was sie haben, reisen zu können.
Nicht den Moment nur einzufangen, sondern auch zu genießen,
dass man jetzt gerade diesen Moment erlebt.
Abenteuerliche Outdoor-Erlebnisse
sind wohl so was wie ein neues Statussymbol geworden.
Vorausgesetzt, man hat ein Foto.
Solange sich das nicht ändert,
werden wohl viele Probleme bestehen bleiben.
Ich habe eine Rückmeldung der Social Media-Plattformen.
TikTok schreibt:
Sie verweisen darauf, dass Videos die als "gefährliche Handlung"
eingeordnet werden, einen Wahnhinweis erhalten.
Bei den meisten Videos, die ich gesehen habe, fehlt dieser Hinweis.
Instagram beantwortet meine Fragen nicht,
sondern verweist auf seine Gemeinschafts-Richtlinien.
Die sagen nichts zu Problemen
wie Overtourism, Naturschäden und vermehrten Rettungseinsätzen.
Ich hab das Gefühl,
dass es nur über Eigenverantwortung gehen kann.
Wir müssen alle uns an die eigene Nase fassen und überlegen,
wie gehen wir mit der Natur und auch eigenen Gefahren um.
Denn es sollte doch in unser aller Interesse sein,
dass wir die Natur und uns selbst schützen.
Aber wie seht ihr das? Schreibt es in die Kommentare.
Vielleicht kennt ihr einen Ort, wo so einiges schiefläuft?
Wir sind gespannt, was ihr uns schreibt.
Lasst gerne ein Like da.
Und nicht vergessen, jeden Mittwoch gibt es eine neue Reportage bei Zapp. Untertitel: Norddeutscher Rundfunk 2021 Copyright Untertitel: NDR 2021