12. Ein grüner Liftboy entpuppt sich
Zwölftes Kapitel - Ein grüner Liftboy entpuppt sich
Gegen zehn Uhr erschien eine Abordnung des Bereitschaftsdienstes im Kinohofe, brachte noch einmal Stullen angeschleppt, als gelte es, hundert hungernde Völker zu füttern, und erbat weitere Befehle. Der Professor war sehr aufgebracht und erklärte, sie hätten hier gar nichts zu suchen, sondern am Nikolsburger Platz auf Traugott, den Verbindungsmann von der Telefonzentrale, zu warten. "Sei nicht so ekelhaft!" sagte Petzold. "Wir sind ganz einfach neugierig, wie es bei euch aussieht." "Und außerdem dachten wir schon, euch sei was zugestoßen, weil Traugott überhaupt nicht kam", fügte Ge-rold entschuldigend hinzu. "Wieviele sind noch am Nikolsburger Platz?" fragte Emil. "Vier. Oder drei", berichtete Friedrich der Erste. "Es können auch nur zwei sein", meinte Gerold. "Frage sie ja nicht weiter", rief der Professor wütend, "sonst sagen sie noch, es wäre überhaupt niemand mehr dort!" "Schrei gefälligst nicht so", sagte Petzold, "du hast mir einen Dreck zu befehlen." "Ich schlage vor, daß Petzold sofort ausgewiesen wird und daß man ihm verbietet, weiterhin an der Jagd teilzunehmen", rief der Professor und stampfte mit dem Fuß auf. "Es tut mir leid, daß ihr euch meinetwegen zankt", sagte Emil. "Wir wollen wie im Reichstag abstimmen. Ich beantrage nur, Petzold streng zu verwarnen. Denn es geht natürlich nicht, daß jeder einfach tut, was er will." "Macht euch ja nicht mausig, ihr Saukerle! Ich gehe sowieso, daß ihr's wißt!" Dann sagte Petzold noch etwas furchtbar Unanständiges und zog ab. "Er hat uns überhaupt erst angestiftet. Sonst wären wir gar nicht hierhergelaufen", erzählte Gerold. "Und Zerlett ist im Bereitschaftslager zurückgeblieben." "Kein Wort mehr über Petzold", befahl der Professor und sprach schon wieder ganz ruhig. Er nahm sich mächtig zusammen. "Erledigt." "Und was wird nun aus uns?" fragte Friedrich der Erste. "Das beste wird sein, ihr wartet, bis Gustav aus dem Hotel eintrifft und Bericht gibt", schlug Emil vor. "Gut", sagte der Professor. "Ist das dort nicht der Hotelboy?" "Ja, das ist er", bestätigte Emil. Im Torbogen stand - in einer grünen Livree und mit einem genau so grünen, schrägsitzenden Käppi auf dem Kopf - ein Junge. Er winkte den ändern und kam langsam näher. "Eine schneidige Uniform hat er an. Donnerwetter!" meinte Gerold neidisch. "Bringst du von unserem Spion Gustav Nachricht?" rief der Professor. Der Boy war schon ganz nahe, nickte und sagte: "Jawohl." "Also, bitte schön, was gibt's?" fragte Emil gespannt. Da erklang plötzlich eine Hupe! Und der grüne Boy sprang wie verrückt im Hausflur hin und her und lachte. "Emil, Mensch", rief er, "bist du aber dämlich!" Es war nämlich gar nicht der Boy, sondern Gustav selber. "Du grüner Junge!" schimpfte Emil zum Spaß. Da lachten die andern auch. Bis jemand in einem der Hofhäuser ein Fenster aufriß und "Ruhe!" schrie. "Großartig!" sagte der Professor. "Aber leiser, meine Herren. Komm her, Gustav, setz dich und erzähle." "Mensch, das reinste Theater. Zum Quietschen. Also, hört zu! Ich schleiche ins Hotel, sehe den Boy rumstehn und mache Winkewinke. Er kommt zu mir, na, und ich bete ihm die ganze Geschichte vor. Von A bis Z, so ungefähr. Von Emil. Und von uns. Und von dem Dieb. Und daß er in dem Hotel wohnte. Und daß wir eklig aufpassen müßten, damit wir ihm morgen das Geld wieder abjagen. "Sehr niedlich", sagt der Boy, "ich hab noch eine Uniform. Die ziehst du an und machst den zweiten Boy." "Aber was wird denn der Portier dazu sagen? Er mekkert sicher", geb ich zur Antwort. "Der meckert nicht. Der erlaubt's", sagt er, "denn der Portier ist mein Vater. " Was er seinem Ollen aufgeredet hat, weiß ich nicht. Jedenfalls kriegte ich die Uniform hier, darf in einer Hausdienerstube, die grade leer steht, übernachten und sogar noch jemanden mitbringen. Na, was sagt ihr nun?" "In welchem Zimmer wohnt der Dieb?" fragte der Professor. "Dir kann man aber auch mit gar nichts imponieren", knurrte Gustav gekränkt. "Ich habe natürlich nichts zu arbeiten. Nur im Wege sein soll ich nicht. Der Boy vermutete, der Dieb wohne auf Zimmer 61. Ich also rauf in die dritte Etage. Und nun Spion gespielt. Gänzlich unauffällig, versteht sich. Hinterm Treppengeländer gelauert und so. Nach einer halben Stunde etwa geht auch richtig die Tür von 61 auf. Und wer kommt rausgedusselt? Unser Herr Dieb! Er mußte mal - na ja, ihr wißt schon. Ich hatte ihn mir am Nachmittag gründlich beschnarcht. Er war's! Kleiner schwarzer Schnurrbart, Ohren, durch die der Mond scheinen kann, und eine Visage, die ich nicht geschenkt haben möchte. Wie er wieder zurückkommt, von - na ja, ihr wißt schon, da trudle ich ihm vor die Beine, stehe stramm und frage: "Suchen der Herr was? Haben der Herr Gast einen Wunsch ?" "Nein", sagte er, "ich brauche nichts. Oder doch! Warte mal! Melde dem Portier, er soll mich morgen früh Punkt acht Uhr wecken lassen. Zimmer 61. Vergiß es aber nicht !" "Nein, darauf können sich der Herr verlassen", sag ich und kneif mir vor Begeisterung in die Hose, "das vergeß ich nicht! Punkt acht klingelt auf Zimmer 61 das Telefon! " Die wecken nämlich telefonisch. Er nickt friedlich und trollt in die Klappe." "Ausgezeichnet!" Der Professor war aufs höchste befriedigt und die andern erst recht. "Ab acht Uhr wird er vor dem Hotel feierlich erwartet. Dann geht die Jagd weiter. Und dann wird er geschnappt." "Der ist so gut wie erledigt", rief Gerold. "Blumenspenden verbeten", sagte Gustav. "Und nun haue ich ab. Ich mußte nur für Zimmer 12 einen Brief in den Kasten werfen. Fünfzig Pfennig Trinkgeld. Ein lohnender Beruf. Der Boy hat an manchem Tag zehn Mark Trinkgelder. Erzählt er. Also, gegen sieben Uhr steh ich auf, kümmere mich darum, daß unser Halunke pünktlich geweckt wird. Und dann finde ich mich hier wieder ein." "Lieber Gustav, ich bin dir dankbar", meinte Emil, fast feierlich. "Nun kann nichts mehr passieren. Morgen wird er gehascht. Und jetzt können alle ruhig schlafen gehen, was, Professor?" "Jawohl. Alles rückt ab und schläft sich aus. Und morgen früh, Punkt acht Uhr, sind alle Anwesenden wieder hier. Wer noch etwas Geld locker machen kann, tut's. Ich rufe jetzt noch den kleinen Dienstag an. Er soll die andern, die sich morgens melden, wieder als Bereitschaftsdienst versammeln. Vielleicht müssen wir ein Kesseltreiben machen. Man kann nicht wissen." "Ich gehe mit Gustav ins Hotel schlafen", sagte Emil. "Los, Mensch! Es wird dir großartig gefallen. Eine wunderbare Flohkiste!" "Ich telefoniere erst noch", sagte der Professor. "Dann geh ich auch nach Hause und schicke Zerlett heim. Der sitzt sonst bis morgen früh am Nikolsburger Platz und wartet auf Kommandos. Ist alles klar?" "Jawohl, Herr Polizeipräsident", lachte Gustav. "Morgen früh Punkt acht hier im Hof", sagte Gerold. "Bißchen Geld mitbringen", erinnerte Friedrich der Erste. Man verabschiedete sich. Alle schüttelten sich, wie kleine ernste Männer, die Hände. Die einen marschierten heim. Gustav und Emil zogen ins Hotel. Der Professor ging quer über den Nollendorfplatz, um vom Cafe Hahnen aus den kleinen Dienstag anzurufen. Und eine Stunde später schliefen sie alle. Die meisten in ihren Betten. Zwei in einer Gesindestube, im vierten Stock des Hotel Kreid. Und einer neben dem Telefon, in Vaters Lehnstuhl. Das war der kleine Dienstag. Er verließ seinen Posten nicht. Traugott war nach Hause gegangen. Der kleine Dienstag aber wich nicht vom Apparat. Er hockte in den Polstern und schlief und träumte von vier Millionen Telefongesprächen. Um Mitternacht kamen seine Eltern aus dem Theater heim. Sie wunderten sich nicht wenig, als sie ihren Sohn im Lehnstuhl erblickten. Die Mutter nahm ihn hoch und trug ihn in sein Bett. Er zuckte zusammen und murmelte noch im Schlaf: "Parole Emil!"