Sekte Shinchonji? Was steckt hinter der koreanischen Neu-Religion? | Y-Kollektiv
Für die tobt ein göttlicher Krieg. Und zwar Gott gegen Satan.
Und entweder du bist auf Seiten Gottes oder du bist auf Seiten Satans.
Die – das ist Shinchonji – eine Neureligion aus Südkorea.
Sie rekrutieren auch in Deutschland. Ihre Methoden – höchst umstritten.
Und da werden dann Charaktereigenschaften abgefragt. Selbstständig, konservativ, vorsichtig, nervös.
Ich würde nicht wollen, dass jemand solche Sachen über mich sammelt, ganz ehrlich.
Ihre Mitglieder müssen einen Eid ablegen.
Damit verkauft man quasi seine Seele an Shinchonji. Sie dürfen einem alles vorschreiben:
Wann du aufzustehen hast, wann du zu missionieren hast.
Ich begebe mich auf eine Recherchereise, will herausfinden: Ist Shinchonji eine Sekte?
Und wie gerät man da rein?
Ich kann euch nur sagen, ihr macht Menschen kaputt, ihr zerstört Familien.
Ich bin auf der Social Media Plattform Jodel auf einen Post gestoßen. Da schreibt jemand
anonym, also so funktioniert die Plattform, ich habe meinen Freund an eine Sekte verloren.
Sie rekrutieren gerade massiv in Hamburg. Bitte, passt auf euch und eure Freunde auf.
Googelt Shinchonji.
Noch nie von gehört. Aber schon die erste Treffer-Seite gibt mir eine Idee davon,
in welche Richtung das Ganze gehen könnte. Warnung, vor einer koreanischen Sekte.
Missionierung mit Tarnkappe.
Shinchonji - der Name steht für „Neuer Himmel, neue Erde“. Das ist ihre Mission, heißt es.
Und das hier, ist ihr Gründer: Man He Lee. Ich stoße auf Videos, in denen er gefeiert wird, wie ein Popstar.
Er selbst nennt sich „Pastor der Endzeit“. Nur er allein könne die Bibel richtig auslegen
– und er bezeichnet sich als körperlich unsterblich. Weißte Bescheid.
Shinchonji ist eine christliche Glaubensgemeinschaft, angelehnt an die Bibel. Die Auslegung aber, ist extrem:
Ein dualistisches Weltbild – die Gläubigen gegen die Ungläubigen, God versus Satan.
In Deutschland hat Shinchonji um die 3000 Mitglieder – etwa so viele wie Scientology.
Das schätzt zumindest Oliver Koch, Referent für Weltanschauungsfragen, mit dem ich spreche.
Aber ist Shinchonji wirklich eine Sekte?
Was ist das für System und vor allem, wie gerät man da überhaupt rein?
Ich nehme Kontakt auf mit der Person, die den Jodel verfasst hat. Ich nenne sie in diesem Film Leonie.
Sie erzählt mir davon, wie sie ihren Freund an Shinchonji verloren hat.
Und auch von einer Dating-Plattform, auf der sie ihn einmal erwischt hat.
Himmlisch Plaudern – eine Kennenlern-Plattform für Christen.
Dort melde ich mich an – recherchiere verdeckt. Ich will wissen: Nutzt Shinchonji diese Plattform
zum Rekrutieren? Gleich auf der Startseite erscheint das hier:
Warnung vor falschen Bibelkursen und der Sekte Shinchonji. Leider erreichen uns immer wieder
Meldungen, dass auch hier die Shinchonji-Sekte versucht, Mitglieder zu werben.
Dies fängt erstmal harmlos an. Es kann z.B. mit einer Einladung zum gemeinsamen Bibellesen beginnen.
Dabei ist dann zufällig eine andere bibelkundige Person da und man wird an eine Bibelschule
oder einen Bibelkurs herangeführt.
Von anderen Aussteigern erfahre ich, dass Shinchonji während Corona vor allem online versucht, Mitglieder zu werben.
Hi Leonie.
Ich treffe Leonie, die den Jodel verfasst hat, in Hamburg.
Ich will ihre Geschichte hören, will wissen, wie ihr Freund bei Shinchonji reingeraten ist.
Sie möchte anonym bleiben, weil sie mit Shinchonji nicht in Zusammenhang gebracht werden will.
Zweieinhalb Jahre war sie mit ihrem Freund zusammen. Getrennt sind sie seit diesem Frühjahr.
Sie erzählt mir, wie alles begann: Er nimmt Bibelkurse, hört auf Alkohol zu trinken, lernt koreanisch.
Was Leonie anfangs noch für ein Corona-Hobby hält,
wird für ihren Freund immer mehr zum Lebensinhalt.
Ich bin halt oft ohne ihn ins Bett gegangen, weil er noch Kurse hatte und bin morgens alleine aufgewacht,
weil er eben schon lange aus dem Bett war und grundlos um 6 aufzustehen, habe ich noch nicht eingesehen.
Leonie fragt nach, bis ihr Freund ihr die Geschichte von Adam und Eva vermittelt – aus seiner Perspektive.
Es war total logisch, er hat das super erklärt. Es war wirklich fast schon faszinierend, weil
das alles Sachen waren, die ich noch nie gehört hatte und das war in sich so verdammt logisch,
dass ich wirklich neugierig geworden bin und meinte: Klasse, das würde ich auch gerne lernen.
Er stellt Kontakt zu einer Shinchonji-Lehrerin her. Von da an nimmt Leonie selbst einmal
wöchentlich Reli-Unterricht, wie sie es nennt. Nach ein paar Monaten aber, ist für sie Schluss.
Shinchonji merkt, dass Leonie sich nicht auf die Inhalte einlässt.
Sie zeigt mir Unterlagen, die sie bei ihrem Freund gefunden hat. Darunter auch solche
Köder-Zettel - interne Dokumente mit biblischen Lektionen. Köder - allein dieser Name.
Ihr Freund schließt sich für die Bibelkurse im Schlafzimmer ein, erzählt sie mir.
Die Kurse laufen per Zoom. Leonie wird misstrauisch, stellt Fragen.
Ich bin halt ja vom Teufel, denn sonst würde ich ja nicht so kritisch nachfragen.
Ich teste seinen Glauben. Mit jeder Nachfrage habe ich seinen Glaube halt verfestigt und ihn eigentlich weiter da reingetrieben.
Nur Satan möchte ihn davon abhalten, der Auserwählte zu sein.
Für die tobt ein göttlicher Krieg. Und zwar Gott gegen Satan. Und entweder du bist auf
Seiten Gottes oder du bist auf Seiten Satans.
Er schottet sich immer weiter ab, auf Fragen geht er nur oberflächlich ein.
Zeit für die Beziehung, nimmt er sich kaum noch, erzählt sie mir.
Gabs dann irgendwann den Punkt, wo du gesagt hast: Stop, das geht so nicht weiter? Ja,
das war tatsächlich der Tag der Trennung. Ich hatte ihm geschrieben und gesagt, dass
ich gerne für uns kochen wollen würde. Und er meinte: Ja, sehr gerne aber
ich gebe dir hier eine dreiviertel Stunde Zeit, denn davor gibt er selber einen Kurs, danach kriegt er einen Kurs.
Und die Zeiten sind nicht verhandelbar.
Dann stellt Leonie ihren Freund vor die Wahl.
Die oder ich – wer auch immer „die“ sind. Da habe ich wirklich explizit gefragt:
Wer seid ihr? Wie heißt ihr? Was macht ihr? Wer ist alles dabei? Und dann hat sich sein
Gesicht so ein bisschen verändert, er ist hart geworden und meinte, dann muss er halt
die wählen, er kann Gott nicht enttäuschen. Dann hat er seine Sachen gepackt, und das war's.
Für mich klingt das nach einer krassen Geschichte, wenn man dabei zusehen muss, wie man seinen Partner nach und nach verliert.
Von solchen Verläufen berichten mir mehrere Sekten-Beratungsstellen, mit denen ich telefoniere.
Einer der Hauptgründe ist: Shinchonji agiert unter Tarnnamen. Von Sektenberatungsstellen
gibt es im Netz ganze Listen davon.
Da sind die bis 2017 unter anderem als Frankfurt-Korea internationale Missionsgemeinde aufgetreten.
Oder bis 2018 Frankfurter Friedensgemeinde, International Bible College, Bible Center,
Deutschland Zion Gemeinde, Open Bible Academy.
Und das sind nur die Namen in Hessen.
Auf der Plattform Himmlisch Plaudern haben mich inzwischen vier Leute angeschrieben.
Wir schreiben über mehrere Wochen. Mit drei von ihnen verläuft sich das Gespräch – aber…
Eine war dabei, die ist quasi gefühlt mit der Tür ins Haus gefallen. Da kam direkt
in der zweiten Nachricht: „Momentan mache ich auch einen ganz tollen Bibelkurs und das bereitet mir sehr viel Freude."
Als ich darauf eingehe und nachfrage, werden die Nachrichten immer länger. Sie schwärmt
- von der Atmosphäre, den Inhalten, den Leuten. Alles fände online statt – per Zoom.
Hier schreibt sie auch: Aktuell wären sie 15 Schüler – zwischen 20 und 30.
Aber es wäre jetzt alles super online, weil man da so unabhängig ist und so. Und dann fragt sie auch:
Hast du schonmal einen Bibelkurs gemacht? Und so kamen wir dann ins Gespräch. Da bin ich natürlich dran geblieben.
Ich zeige Interesse. Direkt an einem Kurs teilnehmen ginge zwar nicht, aber sie schlägt
einen gemeinsam Zoom-Call mit einem Bibellehrer vor.
Ein paar Tage später haben wir zu dritt einen Videocall. Gefilmt werden wollen sie nicht.
Sie sagen mir, dass sie mit Shinchonji nichts zu tun haben. Prüfen kann ich das nicht.
In der Zwischenzeit, nehme ich Kontakt mit mehreren Aussteigern auf.
Sie erzählen mir ihre Geschichte, schicken mir interne Dokumente.
Sie geben Einblick, wie das System Shinchonji funktioniert. Wie junge Menschen gecatched werden sollen.
Darin heißt es:
Was ist der Geist? Gibt es den Geist oder nicht? Weil er unsichtbar ist,
denkt man oft, dass es ihn nicht gibt. Was denkst Du, was ist der Geist?
Denkst du, Du hast einen Geist?
Argumentiert wird dann mit Bibelversen:
Wind ist unsichtbar, existiert aber. Der heilige Geist ist auch unsichtbar, existiert aber.
Weitere Beispiele sind Radiowellen, Wind, Geruch.
Sie sind unsichtbar, existieren aber. Nur weil man den König im Palast nicht gesehen hat,
wird man nicht sagen, dass es ihn nicht gibt.
Ein Aussteiger sagt mir dazu, das seien Lektionen, die leicht verständlich sind und somit das
Interesse von jungen Christen wecken sollen. Er sagt mir auch, dass diese Argumentationsstruktur
typisch sei für Shinchonji. Viel Interpretations-Spielraum. Argumente, die weder klar belegt noch wiederlegt werden können.
Eine Mechanik, über die man quasi alles erklären könnte.
Wovon mir Aussteiger auch berichten: Klappe halten, niemandem von Shinchonji erzählen.
Shinchonji nennt das Mundschließung, denn Satan versuche, durch andere Personen, Mitglieder von der Lehre abzubringen.
Und ich bekomme auch Dokumente, die Einblick in die Rekrutierungsarbeit geben. In sogenannten
Früchte-Informationsformularen sammelt Shinchonji persönliche Daten von frisch Angeworbenen.
Dabei bleibt es nicht bloß bei der Anschrift – sie werden komplett durchleuchtet:
Da wird von negativen Faktoren gesprochen. Negative Faktoren – das ist dann in den
Augen von Shinchonji sowas wie Schwangerschaft, Vorbereitung für einen Job, Umzugspläne, Glückspiel.
Alles Faktoren, die potentielle Mitglieder von der Lehre abhalten könnten.
Auch der Job, die finanzielle Situation, die Arbeitszeit fließt in die Beurteilung mit ein. Aber es geht noch tiefer.
Und dann werden auch die Charaktereigenschaften abgefragt.
Darunter sowas wie Kommunikationsfähigkeit, Wunsch nach Sicherheit und Kreativität.
Und dann muss man hier bewerten zwischen schwach, mittel und stark. Und dann steht da oben als Erklärung:
Es sollten nicht mehr als drei dominante Typen vorliegen. Bei vier oder mehr
sollte geprüft werden, ob eine psychische Störung vorliegt. Idealzustand ist mittel.
Ich würde nicht wollen, das jemand solche Sachen über mich sammelt, ganz ehrlich.
Ich bekomme auch Finanztabellen zugeschickt, in denen die Rede ist von „Gemeindeabgaben“,
„Center-Unterstützung“ und „Tempelbau-Gabe“. Mehrere Aussteiger erzählen mir zudem,
dass Mitglieder nach Möglichkeit 10% ihres Einkommens an Shinchonji abgeben sollen.
Ich möchte mit ihnen über all das vor der Kamera sprechen. Zwei sagen mir zu, dann springen sie ab.
Eine kann ich dann doch treffen, in Frankfurt.
Hi Sophie, grüß dich!
Sie heißt Sophie, ist 27, studiert mittlerweile Theologie. Etwa 2 Jahre war sie mit Shinchonji in Kontakt.
Sie erzählt mir ihre Geschichte.
Also ich war hier in der Gegend unterwegs und wollte eigentlich nur ganz schnell durch
das Einkaufszentrum laufen. Und wurde dann halt aufgehalten von einer Dame, die meinte,
sie wolle einen Vortrag einüben und sie bräuchte da Hilfe, dass ihr jemand ein Feedback gibt.
Ich hab mich dann einfach darauf eingelassen, weil ich in dem Moment einfach nicht so misstrauisch
sein wollte. Sie hat einen wirklich so lieb angesprochen, dass ich so dachte, es kann
doch nichts falsches dabei sein.
Sophie sagt, das sei Strategie, junge Menschen gezielt unter einem Vorwand anzusprechen:
in Einkaufszentren, auf dem Uni-Campus oder an Bahnhöfen.
Nach ein paar Treffen im Café, fängt sie mit Bibelkursen an. Wenige Monate später,
wird sie selbst zum Rekrutieren losgeschickt.
Ganz am Anfang ist es eher eine freundschaftliche Basis. Man trifft sich mit der Person auch
mal in einem Café oder tauscht außerhalb Informationen über das Leben aus. Wie läuft's so? Wie geht's so?
Das kann auch schonmal wochenlang so gehen, bis man gefragt wird,
ob man Interesse hat an einem Bibelkurs.
Wer hinter diesen Bibelkursen steckt, wird nicht genannt.
Ich zeige Sophie den Chat auf Himmlisch Plaudern, möchte ihre Einschätzung dazu hören.
Was ist so da dein erster Eindruck? Das klingt 100% nach Shinchonji, weil das ja deren Strategie ist erstmal zu sagen:
Ja, ich suche Freunde, ich suche Gleichgesinnte, ich suche eine Gemeinde, wohlmöglich noch.
Und letztlich sind sie da schon fest drinne und versuchen grad nur Leute da reinzuziehen.
Reinziehen in ein dreistufiges Bibelkurssystem: Grundstufe, Mittelstufe und Oberstufe.
15 bis 20 Leute sind hier am Start, erzählt sie mir. Aber..
Davon sind halt dreiviertel schon Mitglieder, die halt den anderen ganz Neuen vorspielen,
dass sie den Kurs noch nicht kennen, noch nicht das Ende wissen, sondern das sie jetzt