Vivaldi und das Leben in Venedig Anfang des 18. Jahrhunderts | Terra X - YouTube
Er ist der Teufelsgeiger der der Barockzeit. Wegen seiner roten Haarpracht bekannt als der „Rote Priester“ von Venedig.
Er ist mit Madonna vergleichbar oder Lady Gaga. Er war ein Star, ein Popstar.
Venedig im 18. Jahrhundert. In den engen Gassen unweit des Markusdoms beginnt eine außergewöhnliche Musikerkarriere.
Fast hätten wir Vivaldis Musik nie zu Ohren bekommen. Schon bei seiner Geburt ist Antonio in Lebensgefahr.
Der Säugling ist schwach, die Hebamme fürchtet das Schlimmste und entscheidet sich zur Nottaufe.
Damals gängige Praxis, um den Platz im Himmel zu sichern.
Antonios Eltern sind verzweifelt. Es wäre schon das zweite Kind, das sie verlieren. Aber der Junge überlebt.
Das Taufregister in der Kirche San Giovanni in Bragora zeigt,
Zwei Monate nach seiner Geburt wird Antonio Lucio „offiziell“ getauft und vom Priester gesegnet.
Dem drohenden frühen Tod ist er entkommen…
Doch die Zukunftsaussichten für den kleinen Venezianer sind düster: In seiner Heimatstadt sind schwierige Zeiten angebrochen.
Die einst blühende Handelsmetropole spielt im Welthandel keine Rolle mehr, die Entdeckung Amerikas hat die ökonomische Weltordnung verschoben.
Doch die Venezianer erfinden sich neu.
Als „Kulturhauptstadt Europas“, in der sich die High Society auf Bällen und bei prächtigen Regatten vergnügt.
Aus ganz Europa kommen Touristen in die „Serenìsima “ – die „ehrwürdigste“ Republik Venedig.
Groß in Mode sind Ridotti, private Spielsalons. Für die Venezianer eine wichtige Einnahmequelle.
Vermögen werden hier verspielt, der letzte Klatsch ausgetauscht.
Und, hier verkehren auch die venezianischen Kurtisanen, die in ganz Europa berühmt sind.
Venedig ist die Musikhauptstadt der westlichen Welt zu dieser Zeit. Auch Vivaldis Vater ist musikalisch.
Es heißt immer, Vivaldis Vater sei Barbier gewesen. Aber der war nicht nur Barbier, er war auch Musiker in San Marco. Er spielte Geige und konnte seinen Sohn darin unterrichten.
Vivaldi wuchs in einem musikalischen Universum auf, sein Genie kam nicht von ungefähr. Er wuchs auf im Schatten der größten Musiker von San Marco.
In dieser immer noch patriarchalisch organisierten Gesellschaft ist es üblich, dass der Sohn denselben Beruf wie der Vater ergreift.
Antonio ist acht, als er von Giambattista Vivaldi seine erste Geige bekommt.
Und er zeigt herausragendes Talent. Dennoch bestimmen seine Eltern, dass er Priester werden soll.
Im 18. Jahrhundert Priester zu werden, bedeutete zum einen, höheren sozialen Status, aber auch die Chance auf eine gesicherte Zukunft.
Nichtadlige Familien hatten so die Möglichkeit, ihren Kindern ein geregeltes Einkommen zu sichern. Sie mussten sich nicht länger um deren Unterhalt kümmern.
Vivaldis Leidenschaft ist die Musik. Statt eine Karriere im Klerus zu verfolgen, geht er auf in seiner Rolle als Lehrer und Komponist an der Pieta.
Die Pieta war eine Institution, in die arme Familien ihre Kinder gaben, damit der Staat durch die Kirche für sie sorgen konnte.
In der Pietà finden auch unerwünschte Babies Aufnahme.
Es gibt eine Babyklappe. Uneheliche Kinder und Kinder von Familien in Not können dort abgelegt werden.
Den ausgesetzten Neugeborenen gibt man oft Erkennungszeichen mit, etwa die Hälfte eines Bildes oder einer Münze.
Viele hoffen, ihre Kinder in besseren Zeiten wieder zu sich nehmen zu können.
All diese Zeichen wurden im Konvent sorgfältig aufbewahrt, einige sind bis heute ausgestellt.
Besonders talentierte Mädchen werden zu Musikerinnen ausgebildet. Einer ihrer Lehrer ist Vivaldi.
Die „putte di Vivaldi“, die Kinder von Vivaldi, lernen Musizieren und Singen.
Das erste Mädchenorchester der Welt ist der Stolz der Pietà.
Die Konzerte ziehen nicht nur venezianische Kirchgänger, sondern auch Touristen an, aus ganz Europa.
Durch ihre musikalische Ausbildung hatten die Mädchen quasi schon eine Art Garantie für ihre Zukunft.
Sie waren nicht gezwungen, Nonnen zu werden, und konnten nach Verlassen der Pietà ihren Lebensunterhalt als Musikerinnen verdienen.
Seine Tätigkeit als Priester, Lehrer und Komponist ist für Vivaldi nicht genug, er hat einen verwegenen Traum. Er will ins Operngeschäft einsteigen.
Zwanzig Theater, darunter acht Opernhäuser, hat Venedig Anfang des 18. Jahrhunderts.
Sie sind ein Zentrum des gesellschaftlichen Lebens und setzen Millionen um.
Als Vivaldi ins Operngeschäft einsteigt, haben in Venedig jedes Jahr etwa zehn neue Opern Premiere.
Wie heute in Hollywood herrscht enorme Konkurrenz: Wer investiert mehr? Wer kann die besten Sänger gewinnen? Wer inszeniert grösser und spektakulärer?
Ein Misserfolg hätte Vivaldis neue Karriere gleich zu Beginn ruiniert. Das Teatro Sant' Angelo wird zu Vivaldis erster Bewährungsprobe.
Er inszeniert den „Orlando Furioso“, eine Ritter-Romanze, die zur Zeit Karls des Großen spielt.
Aus Gründen der Sittlichkeit hatte die Kirche 100 Jahre zuvor den Auftritt von Frauen im Theater verboten.
So waren Kastraten in Mode gekommen, die nicht nur Männer, sondern auch Frauenpartien sangen.
Damals werden die besten von ihnen so teuer gehandelt wie heute Fußballstars. Noch als Kind entmannt, kommt es bei ihnen nicht zum Stimmbruch.
Viele Kastraten leiden oft ein Leben lang an den Folgen dieser oft dilettantisch durchgeführten Eingriffe.
Einige werden große Stars. Bei ihren legendären Auftritten jubelt die Masse: "Es lebe das Messerchen!"
Im Kampf um das Publikum muss Oper vor allem eins sein, Show. Dafür wird komplexe Technik eingesetzt.
In einem der ältesten noch erhaltenen Barocktheater der Welt, dem Eckhof-Theater auf Schloss Friedenstein in Thüringen,
kann man heute noch nacherleben, was damals "Bühnentechnik" hieß.
Eine Weltneuheit hatte 1681 der Mailänder Bühnenbildner Giacomo Torelli hier eingebaut.
Schnellverwandlungsmaschinen: Nicht mehr starre Kulissen, bewegte Bilder waren angesagt.
Eindrucksvolle Geräusche kamen hinzu: Mit Kugeln aus verschiedenen Hölzern wurden unterschiedliche Arten von Donnergrollen erzeugt.
Leinenbespannte Walzen dienten als Windmaschinen.
Nur wenige Sekunden dauerte das Verschieben der Kulissen für den Bühnenbildwechsel.
„State of the art“ sollte diese Bühnentechnik zwei Jahrhunderte lang bleiben.
Ein wichtiger Grund für Vivaldis europaweiten Ruhm ist eine revolutionäre Entwicklung in der Technik des Notendrucks.
Zuerst hat man Noten einfach per Hand kopiert. Mit aufwändiger Setzkastentechnik haben dann vor allem venezianische Musikverlage ihre Partituren hergestellt.
Doch Amsterdam und London hängen die Italiener ab. Verleger drucken dort per Kupferstich.
Das macht die Noten besser lesbar, die Produktion läuft schneller.
Musikliebhaber in ganz Europa können so ganz einfach Partituren bestellen aus Katalogen.
Vivaldi ist einer der ersten Italiener, die ihre Werke in Amsterdam verlegen.
Das heißt allerdings auch, sich dem Geschmack nördlich der Alpen anzupassen. So bildet sich erstmals ein "europäischer Musikstil“.
In ganz Europa bricht ein regelrechtes "Vivaldi-Fieber" aus. Vivaldis berühmteste Komposition: Die „Vier Jahreszeiten“.
Nach mehr als zwei Jahrzehnten, ist das verwöhnte venezianische Publikum die Werke des Altmeisters leid.
Eine neue Musik, neue Stars, neue Aufregungen müssen her. Vivaldi hat sich den Trends nicht angepasst.
Jetzt übernehmen jüngere Akteure, wird die Szene international. Der Maestro ist nicht mehr „en vogue“.
Die Besucher wenden sich neuen Komponisten zu, die mit „modernen“ Stoffen und frischen Melodien in die Lagunen-Stadt kommen.
Vivaldi häuft Schulden an, im Alter von 62 Jahren sieht sich der ehemalige Liebling der Venezianer gezwungen, seine Heimat zu verlassen.
Zuflucht sucht er in Wien. Aber große Engagements bleiben aus. Nur der Verkauf von Partituren hält ihn über Wasser.
Einst war Vivaldi der reichste Musiker seiner Zeit. An seinem Lebensabend ist er zum Klinkenputzen verurteilt.
Wie es in der Todesanzeige heißt, stirbt Vivaldi im Juli 1741 an „innerem Brand“.
Was aber wird aus seinen Kompositionen? Ein Großteil von ihnen geht verloren. Die Geschwister Vivaldis verkaufen sie an verschiedene Sammler.
Sie verschwinden in Privatbibliotheken und hinter Klostermauern. Bleiben für lange Zeit verschollen.
Nach fast drei Jahrhunderten völliger Stille tauchen Vivaldis private Manuskripte plötzlich wieder auf.
Jemand findet seine Handschriften in den 1920er Jahren und kauft sie für die Bibliothek in Turin in Italien.
Und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wird Vivaldi dann wieder populär.
Seine Partituren werden gedruckt und in der ganzen Welt aufgeführt. Vivaldi wird ein Popstar.
Heute ist Vivaldi wieder ein Superstar, wie zu seinen besten Zeiten in Venedig.
Seine Musik ist allgegenwärtig, ob als klassisches Konzert oder Performance, als Soundtrack oder Fahrstuhl-Musik.
Neben Beethoven und Mozart gehört Vivaldi zu den Komponisten der klassischen Musik, die am meisten gespielt werden.
Was ist Euer liebstes Stück und was hat Euch am Leben im 18. Jahrhundert am meisten überrascht?
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