4-In die Fänge geraten | SWR Nachtcafé (1)
Sie, Frau Kunze, leiden unter paranoider Schizophrenie.
Und wir möchten heute einfach mehr erfahren, was das bedeutet.
Diese Krankheit kann sich ja auf ganz unterschiedliche Art und Weisen bemerkbar machen.
Sie hören zum Beispiel Stimmen.
Haben diesen Stimmen mittlerweile sogar Namen gegeben.
Wie haben Sie die genannt?
Also, es hatte bei mir angefangen, dass ich ihnen Namen gegeben habe,
als ich in der Therapie erstmals darüber gesprochen habe. - Ja.
Und zu dem Zeitpunkt hab ich ein Buch von Hermann Hesse gelesen, das "Demian" heißt. - Mhm.
Und unter anderem natürlich ein Charakter im Buch heißt Demian.
Ja.
Es gibt aber auch so eine Art mütterliche Figur in der Erzählung.
Und das ist halt die Eva. Und ...
Wir kommen zu diesen Stimmen auch noch zurück, aber möchten vorher auch Sie noch mal bisschen näher kennenlernen.
Sie waren als Kind auch viel bei Ihren Großeltern.
Wie wichtig waren die für Sie, wie wohl haben Sie sich da gefühlt?
Es war eine sehr schöne Zeit. Also, es war so, dass meine Eltern natürlich beide gearbeitet haben, als ich ein Kind war, gerade so erste Klasse.
Und da war ich dann halt nachmittags.
Also, meine Großeltern haben bei uns in demselben Haus gewohnt, die haben sich quasi mit den Eltern das Haus geteilt.
Und grade zu meiner Oma väterlicherseits hatte ich eine sehr, sehr enge gute Verbindung. - Mhm.
Und ... es war auch mit meiner älteren Schwester, die ist dreieinhalb Jahre älter als ich ...
Wir waren eigentlich auch beide unzertrennlich.
Wir waren immer mit der Oma unterwegs oder haben was gemacht.
Also war schon so ein Gefühl der Geborgenheit da. - Ja.
Und einfach 'ne schöne Zeit.
Als Sie dann 13 waren, ist Ihre Großmutter verstorben. - Genau.
Sie wurden in dieser Zeit in der Schule auch gemobbt.
Hat sich Ihr Leben da, würden Sie sagen, es hat sich verfinstert?
Und wenn ja, wie sehr?
Also, es war auf jeden Fall eine schwierige Zeit.
Ich denke generell, 13 ist ein Alter, wo viele Situationen empfinden, die irgendwie negativ sind.
Es ist halt die Zeit, in der die Pubertät einsetzt.
Mein Sohn wird 13, ich bin gespannt. (Lachen)
Also, ich denke, generell ist es auf jeden Fall eine Zeit, die für viele Menschen schwierig ist.
Ich wurde schon in der Grundschule etwas gehänselt, gemobbt.
Aber dann so ... in der achten Klasse war das, hatte sich das Ganze dann intensiviert.
Und ... infolgedessen hab ich dann auch angefangen, mich selbst zu verletzen, mit 13 Jahren.
Und hab das dann erst ganz spät auch meinen Eltern quasi gebeichtet.
Ich hab's immer versucht zu verstecken und wollt es auch selber nicht so richtig wahrhaben, und hatte dann mit knapp 14 Jahren dann auch einen Suizidversuch.
Hu ...
Daraufhin bin ich auch in die Kinder-Jugend-Klinik gekommen.
Und das hat mir aber eigentlich sehr gut geholfen.
Es war an sich ... also die ersten ein, zwei Wochen war's sehr schwierig, ich hätte alles getan, damit ich wieder nach Hause kann.
Und, ähm ...
Sie haben ja dann, als Sie zu Hause waren, die Schule gewechselt.
Raus aus der Schule, wo Sie gemobbt waren.
Ich hab das noch, während ich in der Klinik war.
Und war das in der neuen Schule auch besser?
Haben Sie sich da mehr aufgehoben gefühlt
Ja, sehr.
Also, ich hatte großes Glück mit meiner Klasse, hatte auch einen ganz tollen Klassenlehrer.
Der auch in Kombination mit der Schulleitung und meinem behandelnden Therapeuten auch Gespräche gesucht hat und versucht hat auch, mich zu integrieren.
Das ist auch sehr gut gelungen, ich hab mich in der Klasse wohlgefühlt.
Es war natürlich nicht einfach, ich war fast ein halbes Jahr in der Klinik, den Schulstoff nachzuholen, es war neunte Klasse.
Was langsam auf Abschluss in der zehnten Klasse hinführt.
Und ja ...
Aber Sie haben sich wohlgefühlt? - Ich hab mich wohlgefühlt.
Dann haben Sie aber irgendwann den Wahn entwickelt, dass eine gute Freundin in der Schule Ihnen was antun möchte.
Erzählen Sie mal was darüber.
Es war wirklich für mich auch eine sehr schwierige Phase.
Ich hatte angefangen, Stimmen zu hören.
Das war direkt so mit 16 Jahren, das war 2012.
Und ... dazu kamen aber diese Wahnvorstellungen.
Es war so ... ich hatte damals in der Zeit häufig mit zwei verschiedenen Kugelschreibern geschrieben.
Und die Schulfreundin hatte das dann auch übernommen, diese Kugelschreiber zu verwenden, es war ein roter und ein schwarzer.
Warum, weiß ich nicht mehr genau.
Und es war dann für mich der untrügliche Beweis, dass sie mir meine Seele stehlen möchte, um mich zu ersetzen oder umzubringen.
Es hört sich im Nachhinein immer an wie Science-Fiction oder Fantasy oder nach Horrorbuch.
Aber es war für mich in dieser Phase absolut Realität.
Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, ich hatte Ängste in der Schule.
Vor dieser ... - Vor dieser Freundin.
Mhm.
Und ich war zu der Zeit auch in psychotherapeutischer Behandlung.
Und das wurde aber nicht so richtig als Psychose erkannt.
Das heißt, es wurde halt nicht medikamentös behandelt und auch nicht psychotherapeutisch in dem Sinne.
Und das ging ein paar Monate, das weiß ich nicht mehr genau, vielleicht sieben, acht Monate.
Und dann hatte diese Freundin aber mit der Schule aufgehört, nach der zehnten Klasse den Abschluss gemacht.
Und, ähm ...
Ja, dann hatte sich das alles wieder bisschen eingerenkt ...
Aber Sie haben gesagt, das eine waren die Wahnvorstellungen, die wirklich für Außenstehende ... sich wirklich sehr heftig anhören, aber das war für Sie erlebte Realität. - Genau.
Sie haben gesagt, Sie haben mit 16 angefangen, Stimmen zu hören.
Beschreiben Sie mal, erinnern Sie sich noch daran, als Sie das erste Mal Stimmen gehört haben? Ja, ich erinnere mich sogar ziemlich gut.
Und zwar hatte ich bei meinen Eltern ...
zu Hause sollte ich halt immer das Bad reinigen.
Das war immer Mittwochnachmittag nach der Schule.
Und ... ich hing da so über der Wanne und hab die geschrubbt oder irgendwie saubergemacht.
Und hab dann halt mehrmals meinen Namen rufen hören.
Und es war etwas seltsam, weil meine Eltern waren noch auf Arbeit.
Und ich hab drei ältere Geschwister, und zu dem Zeitpunkt war die, die mir am nächsten ist, vom Altersabstand, die war auch grade im Auslandsemester oder Auslandsjahr.
Und dann dachte ich so ...
Also, ich hab mich gewundert halt, woher das kommt.
Und hab das aber erst mal abgetan.
Wie real waren die Stimmen, die Sie da gehört ...
Es war schon, es war wirklich, als hätte mich jemand gerufen, den ich kenne auch. - Ja.
Ich dachte damals, das ist so eine Form von Tinnitus.
Weil für mich war Tinnitus die Definition von etwas hören, das nicht da ist.
Das es so was wie Stimmen hören gibt, hatte man mal gehört oder gelesen, ich konnte das aber überhaupt nicht auf mich beziehen.
War das auch eine tiefe Verunsicherung? - Ja ...
Sie hören etwas, aber da ist niemand.
Ich hatte sehr starke Ängste dann auch.
Das ist eigentlich immer noch so, bei mir ist immer noch so, dass ich phasenweise Stimmen höre.
Es gibt aber mittlerweile Phasen, in denen es längere Zeit nicht vorkommt.
Und es ist trotzdem so, nach all den Jahren, mittlerweile fast zehn Jahre, nach all den Jahren hat's nichts von seiner Beklommenheit oder von dieser Angst verloren.
Was sagen die denn, greifen diese Stimmen auch in Situationen ein?
Ja, also, es ist, gerade die Eva war die erste Stimme, die ich vernommen habe, und da war es anfangs so, dass der Name gerufen wurde, später kamen dann aber auch Aufforderungen hinzu.
Also, dass ich mich ritzen sollte oder dass ich mir das Leben nehmen, mich umbringen soll. Es war halt auch auf beleidigend. "Du dummes Stück!" Und "Du bist eh verrückt!" Das war ... ja, es war extremst belastend.
Und später erst kam die Stimme Demian hinzu. Das war dann manchmal so, ich war, wo das damals losging, frisch in einer Partnerschaft. Und da hatte ich quasi die Stimme meines Partners nach Hilfe rufen hören. Also: "Anna, hilf mir, ich brauch jetzt Hilfe, du musst jetzt kommen." Und dann bin ich ihn suchen gegangen, oder wir hatten damals schon zusammen gewohnt. Und er saß am Rechner und hat was gespielt, der wusste von gar nix. Das war dann halt auch ... sehr schwierig, erst mal zu akzeptieren, dass es diese Imitation auch gab, die mich so beeinflusst hat. Wir hören jetzt etwas, was für viele fremd ist, weil es ja Welten sind, wenn man sie nicht erfahren hat, muss man sie erst mal kennenlernen oder sich reinversetzen. Was bedeutet es eigentlich, wenn wir an einer Psychose leiden? Wir haben jetzt zwei Formen kennengelernt, mit Wahnvorstellungen und Stimmen.
Welche gibt's sonst noch?
Also zunächst find ich das klasse, dass Sie das auch öffentlich machen und darüber reden, was gar nicht so selbstverständlich ist.
Auch danke von uns dafür noch mal. Genau.
(Applaus)
Und was die meisten nicht wissen und was mich auch erstaunt hat, als ich das vor wenigen Jahren gelesen habe:
Dass sechs bis sieben Prozent der Normalbevölkerung, der gesunden Normalbevölkerung in ihrem Leben schizophrenieartige Symptome haben.
Für kurze Zeit.
Also Stimmen hören ist überhaupt nichts, was nur im Rahmen einer schizophrenen Psychose vorkommt.
Es kommt etwa auch bei vielen Traumafolgestörungen vor.
Aber auch in der Normalbevölkerung.
Das ist was, was sehr verblüfft.
Es ist nicht so weit vom Alltagserleben weg, wie man denkt.
Und Sie haben das sehr eindrucksvoll beschrieben.
Der Charakter des Bedrohtseins, dass es mich massiv ängstigt.
Und dass es dann auch kommentierende und herabwürdigende Stimmen gibt, die mich gar zur Selbstverletzung oder zum Suizid auffordern.
Das ist etwas, was dringend behandlungsbedürftig ist.
Sie haben ja gesagt, es wurde gar nicht gleich erkannt.
Irgendwann wussten Sie dann, was es ist.
Hat Ihnen denn seitdem etwas geholfen?
Ist es besser geworden nach Ihrer Einschätzung?
Für Sie erträglicher geworden?
Also, es hat mir sehr stark weiterhin geholfen,
Therapie zu machen. - Ja.
Ich bin psychotherapeutisch und psychiatrisch angebunden.
Was mir auch sehr gut geholfen hat, ist das sogenannte Metakognitive Training.
Da lernt man halt auch, mit den verschiedenen Empfindungen in der Psychose umzugehen.
Wir hatten auch in der Klinik etwa Psychoedukation.
Wo wir erfahren haben, was die Krankheit bedeutet, was sie ist, wie man sie behandeln kann.
Und weiterhin natürlich auf jeden Fall meinen Partner, mit dem ich auch schon verheiratet bin.
Meine Familie auf jeden Fall auch, ist mir sehr wichtig.
Ich sag immer, ich hab eine multiprofessionelle Familie.
Meine Mutter ist Heilpädagogin, meine Schwestern Psychiaterin und Sozialarbeiterin.
Da haben Sie ein perfektes Umfeld.
Wie ist es denn...
Sie haben ja auch beschrieben: Als Sie sich aus den Fängen befreit haben, bedeutet es trotzdem noch, dass Sie achtsam sind. In welchen Situationen ist es für Sie auch schwierig nach wie vor?
Es gibt eigentlich viele. - Ja.
Also, ich hab diesen Monat frisch ein Studium begonnen. Und da ist es ... Das ist auch häufig eine Folge von so psychotischen Erfahrungen, dass man etwa ganz starken Konzentrationsverlust hat. Das fällt mir dann schon schwer, eine anderthalbe Stunde oder länger am Ball zu bleiben, sich zu konzentrieren. Weiterhin muss ich wirklich immer aufpassen, dass ich ein Gleichgewicht schaffe zwischen Anstrengungen oder, ja, Forderungen und Unterforderungen.
Dass ich einfach für mich selber darauf achte, was ich jetzt auch mit meinen Kräften schaffe.
Ich muss halt abwägen:
Kann ich jetzt zu der Party gehen, oder ist es mir zu anstrengend?
Oder mach ich heute noch einen Termin, oder lass es lieber?
Es ist letztendlich immer so ein bisschen ein Drahtseilakt.
Und die Balance zu halten ist unglaublich wichtig für mich.
Bei Außenstehenden löst das manchmal Ängste aus -was man nicht kennt, was man nicht einschätzen kann.
Es ist wichtig, zu sagen, es gibt Therapien.
Welche Therapien gibt es, und wie erfolgreich sind die mittlerweile?
Die Verläufe der schizophrenen Psychose sind auch sehr unterschiedlich.
Tatsächlich gibt es ungefähr ein Drittel, die einmal eine heftige Episode haben und dann zeitlebens nichts mehr.
Es gibt diejenigen, die wiederkehrend darunter erkranken.
Aber jedes Mal danach sozusagen wieder in den Normalzustand kommen.
Dann noch etwa ein Drittel, die auch unter Einschränkungen leiden.
Das heißt, die Prognose ist gar nicht so schlecht, wie man denkt.
Wenn man Diabetes nimmt als eine Volkskrankheit, ist es durchaus vergleichbar.
Ich glaub, das muss man sagen, auch da ist es klar, dass man Medikamente nimmt.