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Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, 11. September, rue Toullier - 003

11. September, rue Toullier - 003

Dieses ausgezeichnete Hôtel ist sehr alt, schon zu König Chlodwigs Zeiten starb man darin in einigen Betten. Jetzt wird in 559 Betten gestorben. Natürlich fabrikmäßig. Bei so enormer Produktion ist der einzelne Tod nicht so gut ausgeführt, aber darauf kommt es auch nicht an. Die Masse macht es. Wer giebt heute noch[713] etwas für einen gut ausgearbeiteten Tod? Niemand. Sogar die Reichen, die es sich doch leisten könnten, ausführlich zu sterben, fangen an, nachlässig und gleichgültig zu werden; der Wunsch, einen eigenen Tod zu haben, wird immer seltener. Eine Weile noch, und er wird ebenso selten sein wie ein eigenes Leben. Gott, das ist alles da. Man kommt, man findet ein Leben, fertig, man hat es nur anzuziehen. Man will gehen oder man ist dazu gezwungen: nun, keine Anstrengung: Voilà votre mort, monsieur. Man stirbt, wie es gerade kommt; man stirbt den Tod, der zu der Krankheit gehört, die man hat (denn seit man alle Krankheiten kennt, weiß man auch, daß die verschiedenen letalen Abschlüsse zu den Krankheiten gehören und nicht zu den Menschen; und der Kranke hat sozusagen nichts zu tun).

In den Sanatorien, wo ja so gern und mit so viel Dankbarkeit gegen Ärzte und Schwestern gestorben wird, stirbt man einen von den an der Anstalt angestellten Toden; das wird gerne gesehen. Wenn man aber zu Hause stirbt, ist es natürlich, jenen höflichen Tod der guten Kreise zu wählen, mit dem gleichsam das Begräbnis erster Klasse schon anfängt und die ganze Folge seiner wunderschönen Gebräuche. Da stehen dann die Armen vor so einem Haus und sehen sich satt. Ihr Tod ist natürlich banal, ohne alle Umstände. Sie sind froh, wenn sie einen finden, der ungefähr paßt. Zu weit darf er sein: man wächst immer noch ein bißchen. Nur wenn er nicht zugeht über der Brust oder würgt, dann hat es seine Not. [714]

Wenn ich nach Hause denke, wo nun niemand mehr ist, dann glaube ich, das muß früher anders gewesen sein. Früher wußte man (oder vielleicht man ahnte es), daß man den Tod in sich hatte wie die Frucht den Kern. Die Kinder hatten einen kleinen in sich und die Erwachsenen einen großen. Die Frauen hatten ihn im Schoß und die Männer in der Brust. Den hatte man, und das gab einem eine eigentümliche Würde und einen stillen Stolz.

Meinem Großvater noch, dem alten Kammerherrn Brigge, sah man es an, daß er einen Tod in sich trug. Und was war das für einer: zwei Monate lang und so laut, daß man ihn hörte bis aufs Vorwerk hinaus.

Das lange, alte Herrenhaus war zu klein für diesen Tod, es schien, als müßte man Flügel anbauen, denn der Körper des Kammerherrn wurde immer größer, und er wollte fortwährend aus einem Raum in den anderen getragen sein und geriet in fürchterlichen Zorn, wenn der Tag noch nicht zu Ende war und es gab kein Zimmer mehr, in dem er nicht schon gelegen hatte. Dann ging es mit dem ganzen Zuge von Dienern, Jungfern und Hunden, die er immer um sich hatte, die Treppe hinauf und, unter Vorantritt des Haushofmeisters, in seiner hochseligen Mutter Sterbezimmer, das ganz in dem Zustande, in dem sie es vor dreiundzwanzig Jahren verlassen hatte, erhalten worden war und das sonst nie jemand betreten durfte. Jetzt brach die ganze Meute dort ein. Die Vorhänge wurden zurückgezogen, und das robuste Licht eines Sommernachmittags untersuchte alle die scheuen, erschrockenen Gegenstände und[715] drehte sich ungeschickt um in den aufgerissenen Spiegeln. Und die Leute machten es ebenso. Es gab da Zofen, die vor Neugierde nicht wußten, wo ihre Hände sich gerade aufhielten, junge Bediente, die alles anglotzten, und ältere Dienstleute, die herumgingen und sich zu erinnern suchten, was man ihnen von diesem verschlossenen Zimmer, in dem sie sich nun glücklich befanden, alles erzählt hatte.

Vor allem aber schien den Hunden der Aufenthalt in einem Raum, wo alle Dinge rochen, ungemein anregend. Die großen, schmalen russischen Windhunde liefen beschäftigt hinter den Lehnstühlen hin und her, durchquerten in langem Tanzschritt mit wiegender Bewegung das Gemach, hoben sich wie Wappenhunde auf und schauten, die schmalen Pfoten auf das weißgoldene Fensterbrett gestützt, mit spitzem, gespanntem Gesicht und zurückgezogener Stirn nach rechts und nach links in den Hof. Kleine, handschuhgelbe Dachshunde saßen, mit Gesichtern, als wäre alles ganz in der Ordnung, in dem breiten, seidenen Polstersessel am Fenster, und ein stichelhaariger, mürrisch aussehender Hühnerhund rieb seinen Rücken an der Kante eines goldbeinigen Tisches, auf dessen gemalter Platte die Sèvrestassen zitterten.

Ja, es war für diese geistesabwesenden, verschlafenen Dinge eine schreckliche Zeit. Es passierte, daß aus Büchern, die irgend eine hastige Hand ungeschickt geöffnet hatte, Rosenblätter heraustaumelten, die zertreten wurden; kleine, schwächliche Gegenstände wurden ergriffen und, nachdem sie sofort zerbrochen waren,[716] schnell wieder hingelegt, manches Verbogene auch unter Vorhänge gesteckt oder gar hinter das goldene Netz des Kamingitters geworfen. Und von Zeit zu Zeit fiel etwas, fiel verhüllt auf Teppich, fiel hell auf das harte Parkett, aber es zerschlug da und dort, zersprang scharf oder brach fast lautlos auf, denn diese Dinge, verwöhnt wie sie waren, vertrugen keinerlei Fall.

Und wäre es jemandem eingefallen zu fragen, was die Ursache von alledem sei, was über dieses ängstlich gehütete Zimmer alles Untergangs Fülle herabgerufen habe, – so hätte es nur eine Antwort gegeben: der Tod.

Der Tod des Kammerherrn Christoph Detlev Brigge auf Ulsgaard. Denn dieser lag, groß über seine dunkelblaue Uniform hinausquellend, mitten auf dem Fußboden und rührte sich nicht. In seinem großen, fremden, niemandem mehr bekannten Gesicht waren die Augen zugefallen: er sah nicht, was geschah. Man hatte zuerst versucht, ihn auf das Bett zu legen, aber er hatte sich dagegen gewehrt, denn er haßte Betten seit jenen ersten Nächten, in denen seine Krankheit gewachsen war. Auch hatte sich das Bett da oben als zu klein erwiesen, und da war nichts anderes übrig geblieben, als ihn so auf den Teppich zu legen; denn hinunter hatte er nicht gewollt.

Da lag er nun, und man konnte denken, daß er gestorben sei. Die Hunde hatten sich, da es langsam zu dämmern begann, einer nach dem anderen durch die Türspalte gezogen, nur der Harthaarige mit dem mürrischen Gesicht saß bei seinem Herrn, und eine von seinen breiten, zottigen Vorderpfoten lag auf Christoph Detlevs großer, grauer Hand. Auch von der Dienerschaft standen jetzt[717] die meisten draußen in dem weißen Gang, der heller war als das Zimmer; die aber, welche noch drinnen geblieben waren, sahen manchmal heimlich nach dem großen, dunkelnden Haufen in der Mitte, und sie wünschten, daß das nichts mehr wäre als ein großer Anzug über einem verdorbenen Ding.

Aber es war noch etwas. Es war eine Stimme, die Stimme, die noch vor sieben Wochen niemand gekannt hatte: denn es war nicht die Stimme des Kammerherrn. Nicht Christoph Detlev war es, welchem diese Stimme gehörte, es war Christoph Detlevs Tod.

Christoph Detlevs Tod lebte nun schon seit vielen, vielen Tagen auf Ulsgaard und redete mit allen und verlangte. Verlangte, getragen zu werden, verlangte das blaue Zimmer, verlangte den kleinen Salon, verlangte den Saal. Verlangte die Hunde, verlangte, daß man lache, spreche, spiele und still sei und alles zugleich. Verlangte Freunde zu sehen, Frauen und Verstorbene, und verlangte selber zu sterben: verlangte. Verlangte und schrie.

Denn, wenn die Nacht gekommen war und die von den übermüden Dienstleuten, welche nicht Wache hatten, einzuschlafen versuchten, dann schrie Christoph Detlevs Tod, schrie und stöhnte, brüllte so lange und anhaltend, daß die Hunde, die zuerst mitheulten, verstummten und nicht wagten sich hinzulegen und, auf ihren langen, schlanken, zitternden Beinen stehend, sich fürchteten. Und wenn sie es durch die weite, silberne, dänische Sommernacht im Dorfe hörten, daß er brüllte, so standen sie auf wie beim Gewitter, kleideten sich an und blieben ohne ein Wort um die Lampe[718] sitzen, bis es vorüber war. Und die Frauen, welche nahe vor dem Niederkommen waren, wurden in die entlegensten Stuben gelegt und in die dichtesten Bettverschläge; aber sie hörten es, sie hörten es, als ob es in ihrem eigenen Leibe wäre, und sie flehten, auch aufstehen zu dürfen, und kamen, weiß und weit, und setzten sich zu den andern mit ihren verwischten Gesichtern. Und die Kühe, welche kalbten in dieser Zeit, waren hülflos und verschlossen, und einer riß man die tote Frucht mit allen Eingeweiden aus dem Leibe, als sie gar nicht kommen wollte. Und alle taten ihr Tagwerk schlecht und vergaßen das Heu hereinzubringen, weil sie sich bei Tage ängstigten vor der Nacht und weil sie vom vielen Wachsein und vom erschreckten Aufstehen so ermattet waren, daß sie sich auf nichts besinnen konnten. Und wenn sie am Sonntag in die weiße, friedliche Kirche gingen, so beteten sie, es möge keinen Herrn mehr auf Ulsgaard geben: denn dieser war ein schrecklicher Herr. Und was sie alle dachten und beteten, das sagte der Pfarrer laut von der Kanzel herab, denn auch er hatte keine Nächte mehr und konnte Gott nicht begreifen. Und die Glocke sagte es, die einen furchtbaren Rivalen bekommen hatte, der die ganze Nacht dröhnte und gegen den sie, selbst wenn sie aus allem Metall zu läuten begann, nichts vermochte. Ja, alle sagten es, und es gab einen unter den jungen Leuten, der geträumt hatte, er wäre ins Schloß gegangen und hätte den gnädigen Herrn erschlagen mit seiner Mistforke, und so aufgebracht war man, so zu Ende, so überreizt, daß alle zuhörten, als er seinen[719] Traum erzählte, und ihn, ganz ohne es zu wissen, daraufhin ansahen, ob er solcher Tat wohl gewachsen sei. So fühlte und sprach man in der ganzen Gegend, in der man den Kammerherrn noch vor einigen Wochen geliebt und bedauert hatte. Aber obwohl man so sprach, veränderte sich nichts. Christoph Detlevs Tod, der auf Ulsgaard wohnte, ließ sich nicht drängen. Er war für zehn Wochen gekommen, und die blieb er. Und während dieser Zeit war er mehr Herr, als Christoph Detlev Brigge es je gewesen war, er war wie ein König, den man den Schrecklichen nennt, später und immer.

Das war nicht der Tod irgendeines Wassersüchtigen, das war der böse, fürstliche Tod, den der Kammerherr sein ganzes Leben lang in sich getragen und aus sich genährt hatte. Alles Übermaß an Stolz, Willen und Herrenkraft, das er selbst in seinen ruhigen Tagen nicht hatte verbrauchen können, war in seinen Tod eingegangen, in den Tod, der nun auf Ulsgaard saß und vergeudete.

Wie hätte der Kammerherr Brigge den angesehen, der von ihm verlangt hätte, er solle einen anderen Tod sterben als diesen. Er starb seinen schweren Tod.

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11. September, rue Toullier - 003 September|| September 11, rue Toullier - 003 9月11日、トゥーリエ通り - 003 9월 11일, 툴리에 거리 - 003

Dieses ausgezeichnete Hôtel ist sehr alt, schon zu König Chlodwigs Zeiten starb man darin in einigen Betten. This|||||||||Clovis||||||| This excellent hotel is very old, even in King Chlodwigs times one died in it in some beds. Jetzt wird in 559 Betten gestorben. Now|||| Now it is dead in 559 beds. Natürlich fabrikmäßig. |factory-style Naturally, factory-made. Bei so enormer Produktion ist der einzelne Tod nicht so gut ausgeführt, aber darauf kommt es auch nicht an. With||enormous|||||||||executed||it|||||on With such enormous production, the individual death is not executed so well, but that's not the point either. Die Masse macht es. The|mass||it The mass makes it. Wer giebt heute noch[713] etwas für einen gut ausgearbeiteten Tod? Who||||something||||developed| Who still gives something for a well-prepared death today? Niemand. Nobody. Sogar die Reichen, die es sich doch leisten könnten, ausführlich zu sterben, fangen an, nachlässig und gleichgültig zu werden; der Wunsch, einen eigenen Tod zu haben, wird immer seltener. Even|||||||afford||at length|||||negligent||indifferent|||||||||||| Even the rich, who could afford to die elaborately, start to become negligent and indifferent; the desire to have one's own death is becoming increasingly rare. Eine Weile noch, und er wird ebenso selten sein wie ein eigenes Leben. ||still|||||||||own| For a while, he will be as rare as a life of one's own. Gott, das ist alles da. God|||all| God, it's all there. Man kommt, man findet ein Leben, fertig, man hat es nur anzuziehen. |||||||||||put on You arrive, you find a life, done, you just have to put it on. Man will gehen oder man ist dazu gezwungen: nun, keine Anstrengung: Voilà votre mort, monsieur. Man||||||to that|forced|||effort|||| One either wants to go or is forced to: well, no effort: Voilà votre mort, monsieur. Man stirbt, wie es gerade kommt; man stirbt den Tod, der zu der Krankheit gehört, die man hat (denn seit man alle Krankheiten kennt, weiß man auch, daß die verschiedenen letalen Abschlüsse zu den Krankheiten gehören und nicht zu den Menschen; und der Kranke hat sozusagen nichts zu tun). ||as|||comes|||||||||||||||||||||||||lethal|outcomes||||||||||||patient||so to speak||| One dies as it comes; one dies the death that belongs to the illness one has (for since all illnesses are known, it is also known that the various lethal outcomes belong to the illnesses and not to the people; and the patient, so to speak, has nothing to do).

In den Sanatorien, wo ja so gern und mit so viel Dankbarkeit gegen Ärzte und Schwestern gestorben wird, stirbt man einen von den an der Anstalt angestellten Toden; das wird gerne gesehen. In||sanatoriums|||||||||||||||||||||||institution|employed|||||seen In sanatoriums, where one dies so happily and with so much gratitude towards doctors and nurses, one dies one of the deaths employed at the institution; this is gladly accepted. Wenn man aber zu Hause stirbt, ist es natürlich, jenen höflichen Tod der guten Kreise zu wählen, mit dem gleichsam das Begräbnis erster Klasse schon anfängt und die ganze Folge seiner wunderschönen Gebräuche. ||||||||||polite||||circles|||||as if||burial|||||||||||customs But if you die at home, it is natural to choose that polite death of the good circles, with which the first-class funeral almost begins and the whole sequence of its beautiful customs. Da stehen dann die Armen vor so einem Haus und sehen sich satt. There||||||||||see|| Then the poor stand in front of such a house and look their fill. Ihr Tod ist natürlich banal, ohne alle Umstände. ||||banal|without||circumstances Their death is naturally banal, without any circumstances. Sie sind froh, wenn sie einen finden, der ungefähr paßt. they||||||||about|fits They are glad when they find one that fits about. Zu weit darf er sein: man wächst immer noch ein bißchen. too||||||grow|||| He may be too far: one still grows a bit. Nur wenn er nicht zugeht über der Brust oder würgt, dann hat es seine Not. Only||||closes|||chest||chokes|then|||| Only if it doesn't close over the chest or squeeze, then it's in trouble. [714] [714]

Wenn ich nach Hause denke, wo nun niemand mehr ist, dann glaube ich, das muß früher anders gewesen sein. If|||||||||||||||||| When I think of home, where now no one is, then I believe it must have been different before. Früher wußte man (oder vielleicht man ahnte es), daß man den Tod  in  sich hatte wie die Frucht den Kern. ||||||||||||||||the|||core In the past, people knew (or perhaps sensed) that they had death within them like a fruit has its core. Die Kinder hatten einen kleinen in sich und die Erwachsenen einen großen. The||||||||||| Children had a small one within them and adults had a large one. Die Frauen hatten ihn im Schoß und die Männer in der Brust. The||had||||||||| Women had it in their womb and men in their chest. Den  hatte  man, und das gab einem eine eigentümliche Würde und einen stillen Stolz. ||||||||peculiar|dignity||||pride One had that, and it gave one a peculiar dignity and a quiet pride.

Meinem Großvater noch, dem alten Kammerherrn Brigge, sah man es an, daß er einen Tod in sich trug. My|||||chamberlain||saw|||||||||| My grandfather, the old Chamberlain Brigge, still showed that he carried a death within himself. Und was war das für einer: zwei Monate lang und so laut, daß man ihn hörte bis aufs Vorwerk hinaus. ||||||||||||||||||farmstead| And what kind of death was it: for two months and so loud that it could be heard all the way to the outbuildings.

Das lange, alte Herrenhaus war zu klein für diesen Tod, es schien, als müßte man Flügel anbauen, denn der Körper des Kammerherrn wurde immer größer, und er wollte fortwährend aus einem Raum in den anderen getragen sein und geriet in fürchterlichen Zorn, wenn der Tag noch nicht zu Ende war und es gab kein Zimmer mehr, in dem er nicht schon gelegen hatte. The|||manor||||||||||||wings|build (with 'wings')||||||||||||continuously||||||||||got||terrifying|||||||||||||||||||||| The long, old mansion was too small for this death, it seemed as if wings had to be added, because the body of the chamberlain kept getting larger, and he wanted to be constantly carried from one room to another and became terribly angry if the day was not yet over and there was no room left where he had not already been. Dann ging es mit dem ganzen Zuge von Dienern, Jungfern und Hunden, die er immer um sich hatte, die Treppe hinauf und, unter Vorantritt des Haushofmeisters, in seiner hochseligen Mutter Sterbezimmer, das ganz in dem Zustande, in dem sie es vor dreiundzwanzig Jahren verlassen hatte, erhalten worden war und das sonst nie jemand betreten durfte. ||||||train||servants|maid|||||||||||||under|preceding||steward|||blessed||death chamber|||||||||||||left||been received|||||||||was allowed to Then the whole train of servants, maidens, and dogs, whom he always had around him, went up the stairs and, led by the steward, entered his late mother's death chamber, which had been left exactly as it was twenty-three years ago when she had passed away and which otherwise no one was ever allowed to enter. Jetzt brach die ganze Meute dort ein. Now||||pack|| Now the whole pack broke in there. Die Vorhänge wurden zurückgezogen, und das robuste Licht eines Sommernachmittags untersuchte alle die scheuen, erschrockenen Gegenstände und[715] drehte sich ungeschickt um in den aufgerissenen Spiegeln. ||||||robust||||examined|||shy|startled|objects||||awkwardly||||ripped| The curtains were drawn back, and the strong light of a summer afternoon examined all the shy, startled objects and awkwardly turned around in the gaping mirrors. Und die Leute machten es ebenso. And||||| And the people did the same. Es gab da Zofen, die vor Neugierde nicht wußten, wo ihre Hände sich gerade aufhielten, junge Bediente, die alles anglotzten, und ältere Dienstleute, die herumgingen und sich zu erinnern suchten, was man ihnen von diesem verschlossenen Zimmer, in dem sie sich nun glücklich befanden, alles erzählt hatte. |||maids|||||||||||were keeping|||||stared at|||||walked around|||||||||||||||||||||| There were maids who out of curiosity did not know where to put their hands, young servants who stared at everything, and older servants who walked around trying to remember everything they had been told about this locked room, where they now found themselves happily.

Vor allem aber schien den Hunden der Aufenthalt in einem Raum, wo alle Dinge rochen, ungemein anregend. Above|||||||stay|||||||smelled|extremely|stimulating Above all, the dogs seemed to find the stay in a room where everything smelled very stimulating. Die großen, schmalen russischen Windhunde liefen beschäftigt hinter den Lehnstühlen hin und her, durchquerten in langem Tanzschritt mit wiegender Bewegung das Gemach, hoben sich wie Wappenhunde auf und schauten, die schmalen Pfoten auf das weißgoldene Fensterbrett gestützt, mit spitzem, gespanntem Gesicht und zurückgezogener Stirn nach rechts und nach links in den Hof. ||||greyhounds|||||armchairs||||crossed|||||swaying|||room||||heraldic dogs||||||paws||||windowsill|rested||pointed|tense|||withdrawn||||||||| The large, slender Russian wolfhounds busily ran behind the armchairs, crossed the room in long dancing steps with a swaying motion, raised themselves like heraldic hounds and, with their narrow paws resting on the white-gold windowsill, looked to the right and left into the courtyard with pointed, tense faces and withdrawn foreheads. Kleine, handschuhgelbe Dachshunde saßen, mit Gesichtern, als wäre alles ganz in der Ordnung, in dem breiten, seidenen Polstersessel am Fenster, und ein stichelhaariger, mürrisch aussehender Hühnerhund rieb seinen Rücken an der Kante eines goldbeinigen Tisches, auf dessen gemalter Platte die Sèvrestassen zitterten. little|glove-yellow||||faces|||||||||||silken|armchair|||||wire-haired|grumpy||chicken dog||||||edge||||||painted|plate||Sèvres cups|trembled Small, glove-yellow dachshunds sat in the wide, silk upholstered armchair by the window, their faces as if everything was perfectly fine, and a wiry, sullen-looking terrier rubbed his back against the edge of a gold-legged table, on the painted top of which the Sèvres cups trembled.

Ja, es war für diese geistesabwesenden, verschlafenen Dinge eine schreckliche Zeit. |||||absent-minded|sleepy|||| Yes, it was a terrible time for these absent-minded, sleepy things. Es passierte, daß aus Büchern, die irgend eine hastige Hand ungeschickt geöffnet hatte, Rosenblätter heraustaumelten, die zertreten wurden; kleine, schwächliche Gegenstände wurden ergriffen und, nachdem sie sofort zerbrochen waren,[716] schnell wieder hingelegt, manches Verbogene auch unter Vorhänge gesteckt oder gar hinter das goldene Netz des Kamingitters geworfen. It||||||||hasty||clumsily|||rose petals|tumbled out||trampled|||weak|||grabbed||||immediately|||||placed||bent||||||||||||fireplace screen| It happened that rose petals tumbled out of books that some hurried hand clumsily opened, only to be trampled; small, delicate objects were picked up and, once they were immediately broken, quickly set back down, some even bent and tucked under curtains or thrown behind the golden mesh of the fireplace screen. Und von Zeit zu Zeit fiel etwas, fiel verhüllt auf Teppich, fiel hell auf das harte Parkett, aber es zerschlug da und dort, zersprang scharf oder brach fast lautlos auf, denn diese Dinge, verwöhnt wie sie waren, vertrugen keinerlei Fall. ||||||||veiled||||||||parquet|||shattered||||shattered|||broke|||||||spoiled||||withstood|| And from time to time something fell, fell veiled onto the carpet, fell brightly onto the hard parquet floor, but it shattered here and there, cracked sharply or broke almost silently, because these things, spoiled as they were, could not withstand any fall.

Und wäre es jemandem eingefallen zu fragen, was die Ursache von alledem sei, was über dieses ängstlich gehütete Zimmer alles Untergangs Fülle herabgerufen habe, – so hätte es nur  eine  Antwort gegeben: der Tod. And||||occurred|||||cause|||||||anxiously|guarded|||downfall|abundance|called down||||||||||death And if someone had thought to ask what the cause of all this was, what had brought down the fullness of destruction upon this fearfully guarded room - the only answer would have been: death.

Der Tod des Kammerherrn Christoph Detlev Brigge auf Ulsgaard. The death of the chamberlain Christoph Detlev Brigge at Ulsgaard. Denn dieser lag, groß über seine dunkelblaue Uniform hinausquellend, mitten auf dem Fußboden und rührte sich nicht. For||||||||bulging|||||||| For he lay, his body overflowing beyond his dark blue uniform, in the middle of the floor and did not move. In seinem großen, fremden, niemandem mehr bekannten Gesicht waren die Augen zugefallen: er sah nicht, was geschah. |||||||||||closed||||| In his large, foreign, no longer familiar face, his eyes had closed: he did not see what was happening. Man hatte zuerst versucht, ihn auf das Bett zu legen, aber er hatte sich dagegen gewehrt, denn er haßte Betten seit jenen ersten Nächten, in denen seine Krankheit gewachsen war. Man||||||||||||||against|resisted|||hated||||||||||| At first, they had tried to lay him on the bed, but he had resisted because he loathed beds since those first nights when his illness had grown. Auch hatte sich das Bett da oben als zu klein erwiesen, und da war nichts anderes übrig geblieben, als ihn so auf den Teppich zu legen; denn hinunter hatte er nicht gewollt. ||||||||||proved||||||left|||||||||||down||||wanted Also, the bed up there had proved to be too small, and there was nothing else left but to lay him on the carpet; because he had not wanted to go downstairs.

Da lag er nun, und man konnte denken, daß er gestorben sei. There||||||||||| There he lay now, and one could think that he was dead. Die Hunde hatten sich, da es langsam zu dämmern begann, einer nach dem anderen durch die Türspalte gezogen, nur der Harthaarige mit dem mürrischen Gesicht saß bei seinem Herrn, und eine von seinen breiten, zottigen Vorderpfoten lag auf Christoph Detlevs großer, grauer Hand. ||||||||dusk||||||||door crack||||long-haired|||grumpy|||||||||||shaggy|||||||| As it slowly began to dawn, the dogs had one by one squeezed through the door cracks, only the wiry-haired one with the grumpy face sat next to his master, and one of his broad, shaggy front paws lay on Christoph Detlev's large, gray hand. Auch von der Dienerschaft standen jetzt[717] die meisten draußen in dem weißen Gang, der heller war als das Zimmer; die aber, welche noch drinnen geblieben waren, sahen manchmal heimlich nach dem großen, dunkelnden Haufen in der Mitte, und sie wünschten, daß das nichts mehr wäre als ein großer Anzug über einem verdorbenen Ding. |||servants||||||||white|||||||||||||||||secretly||||darkening|pile|||||||||||||||suit|||spoiled| Now most of the servants were standing outside in the white corridor, which was brighter than the room; but those who had remained inside sometimes looked furtively at the large, darkening heap in the middle, and they wished that it was nothing more than a large suit over a spoiled thing.

Aber es war noch etwas. Es war eine Stimme, die Stimme, die noch vor sieben Wochen niemand gekannt hatte: denn es war nicht die Stimme des Kammerherrn. Nicht Christoph Detlev war es, welchem diese Stimme gehörte, es war Christoph Detlevs Tod.

Christoph Detlevs Tod lebte nun schon seit vielen, vielen Tagen auf Ulsgaard und redete mit allen und verlangte. |||||||||||||||||demanded Verlangte, getragen zu werden, verlangte das blaue Zimmer, verlangte den kleinen Salon, verlangte den Saal. demanded|worn||||||||||||| Verlangte die Hunde, verlangte, daß man lache, spreche, spiele und still sei und alles zugleich. Verlangte Freunde zu sehen, Frauen und Verstorbene, und verlangte selber zu sterben: verlangte. ||||||deceased|||||| Verlangte und schrie.

Denn, wenn die Nacht gekommen war und die von den übermüden Dienstleuten, welche nicht Wache hatten, einzuschlafen versuchten, dann schrie Christoph Detlevs Tod, schrie und stöhnte, brüllte so lange und anhaltend, daß die Hunde, die zuerst mitheulten, verstummten und nicht wagten sich hinzulegen und, auf ihren langen, schlanken, zitternden Beinen stehend, sich fürchteten. ||||||||||overtired|||not|guard|had||||||||||groaned|bellowed||||continuously||||||howled|fell silent|||||lie down|||||slender|trembling|||| For when night fell and the exhausted servants who were not on duty tried to fall asleep, then Christoph Detlev's death screamed, screamed and groaned, roared so long and persistently that the dogs, who first howled along, fell silent and did not dare to lie down, standing on their long, slim, trembling legs, afraid. Und wenn sie es durch die weite, silberne, dänische Sommernacht im Dorfe hörten, daß er brüllte, so standen sie auf wie beim Gewitter, kleideten sich an und blieben ohne ein Wort um die Lampe[718] sitzen, bis es vorüber war. And when they heard him roaring through the vast, silver, Danish summer night in the village, they would get up as if during a thunderstorm, get dressed and sit silently around the lamp until it was over. Und die Frauen, welche nahe vor dem Niederkommen waren, wurden in die entlegensten Stuben gelegt und in die dichtesten Bettverschläge; aber sie hörten es, sie hörten es, als ob es in ihrem eigenen Leibe wäre, und sie flehten, auch aufstehen zu dürfen, und kamen, weiß und weit, und setzten sich zu den andern mit ihren verwischten Gesichtern. |||||||giving birth|||||most remote|rooms|||||dense|bed canopies||||||||||||||||||pleaded|||||||white||wide|||||||||blurred| And the women who were near giving birth were placed in the most remote rooms and in the densest bed enclosures; but they heard it, they heard it, as if it were in their own bodies, and they pleaded to be allowed to get up, and came, pale and scared, and sat down with the others with their blurred faces. Und die Kühe, welche kalbten in dieser Zeit, waren hülflos und verschlossen, und einer riß man die tote Frucht mit allen Eingeweiden aus dem Leibe, als sie gar nicht kommen wollte. |||||||||helpless||closed||||||||||innards|||body|||||| And the cows that calved during this time were helpless and closed off, and one had to remove the dead fetus with all its guts from the body, when it did not want to come out at all. Und alle taten ihr Tagwerk schlecht und vergaßen das Heu hereinzubringen, weil sie sich bei Tage ängstigten vor der Nacht und weil sie vom vielen Wachsein und vom erschreckten Aufstehen so ermattet waren, daß sie sich auf nichts besinnen konnten. ||||day's work|||forgot|||||||||were afraid|||||||||being awake|||startled|getting up||exhausted|||||||remember| And everyone did their daily work poorly and forgot to bring in the hay, because they were afraid of the night during the day and because they were so exhausted from staying awake so much and from getting up in fright that they could not think of anything. Und wenn sie am Sonntag in die weiße, friedliche Kirche gingen, so beteten sie, es möge keinen Herrn mehr auf Ulsgaard geben: denn dieser war ein schrecklicher Herr. |||||||||||||||may|||||||||||terrible| And when they went to the white, peaceful church on Sunday, they prayed that there would be no more master in Ulsgaard: for this one was a terrible master. Und was sie alle dachten und beteten, das sagte der Pfarrer laut von der Kanzel herab, denn auch er hatte keine Nächte mehr und konnte Gott nicht begreifen. ||||||||||||||pulpit|||||||||||||understand And what they all thought and prayed, the priest said aloud from the pulpit, for he too had sleepless nights and could not comprehend God. Und die Glocke sagte es, die einen furchtbaren Rivalen bekommen hatte, der die ganze Nacht dröhnte und gegen den sie, selbst wenn sie aus allem Metall zu läuten begann, nichts vermochte. ||||||||rival|||||||thundered|||||||||||||began||was able to And the bell said it, which had acquired a terrible rival that boomed all night and against which it, even if it began to ring with all metal, could do nothing. Ja, alle sagten es, und es gab einen unter den jungen Leuten, der geträumt hatte, er wäre ins Schloß gegangen und hätte den gnädigen Herrn erschlagen mit seiner Mistforke, und so aufgebracht war man, so zu Ende, so überreizt, daß alle zuhörten, als er seinen[719] Traum erzählte, und ihn, ganz ohne es zu wissen, daraufhin ansahen, ob er solcher Tat wohl gewachsen sei. |||||||||||||||||||||||||slain|||pitchfork|||upset|||so|to|||overstimulated|||listened||||||||||||||looked at|if|he|||likely|grown|be Yes, everyone said it, and there was one among the young people who had dreamed that he had gone into the castle and killed the gracious lord with his pitchfork, and people were so agitated, so at their wit's end, so overwrought, that they all listened as he told his dream, and looked at him, all unknowingly, to see if he was capable of such an act. So fühlte und sprach man in der ganzen Gegend, in der man den Kammerherrn noch vor einigen Wochen geliebt und bedauert hatte. ||||||||||||||||||||pitied| That was how people felt and spoke in the whole region, where they had loved and pitied the chamberlain just a few weeks ago. Aber obwohl man so sprach, veränderte sich nichts. But although they spoke like this, nothing changed. Christoph Detlevs Tod, der auf Ulsgaard wohnte, ließ sich nicht drängen. |||||Ulsgaard||could not|||hurry (with 'not') Christoph Detlev's death, who lived on Ulsgaard, could not be rushed. Er war für zehn Wochen gekommen, und die blieb er. He had come for ten weeks, and he stayed for them. Und während dieser Zeit war er mehr Herr, als Christoph Detlev Brigge es je gewesen war, er war wie ein König, den man den Schrecklichen nennt, später und immer. ||||||||||||||||||||||||||||always And during this time he was more of a master than Christoph Detlev Brigge had ever been, he was like a king known as the Terrible, later and always.

Das war nicht der Tod irgendeines Wassersüchtigen, das war der böse, fürstliche Tod, den der Kammerherr sein ganzes Leben lang in sich getragen und aus sich genährt hatte. |||||any|dropsy patient|||||princely||||chamberlain|||||||carried||||nourished| This was not the death of some dropsical person, this was the evil, princely death that the chamberlain had carried within him and nourished from himself all his life. Alles Übermaß an Stolz, Willen und Herrenkraft, das er selbst in seinen ruhigen Tagen nicht hatte verbrauchen können, war in seinen Tod eingegangen, in den Tod, der nun auf Ulsgaard saß und vergeudete. |excess|||||||||||||||consume||||||entered|||||||Ulsgaard|||wasted All excess of pride, will, and lordly power that he himself had not been able to use up in his quiet days had entered into his death, into the death that now sat and wasted at Ulsgaard.

Wie hätte der Kammerherr Brigge den angesehen, der von ihm verlangt hätte, er solle einen anderen Tod sterben als diesen. Er starb seinen schweren Tod.