Maß der Liebe
Wie du mir nötig bist? Wie Trank und Speise
Dem Hungernden, dem Frierenden das Kleid;
Wie Schlaf dem Müden, Glanz der Meeresreise
Dem Eingeschloss'nen, der nach Freiheit schreit. So lieb' ich dich. Wie dieser Erde Gaben,
Salz, Brot und Wein und Licht und Windeswehen,
Die, ob wir sie auch bitter nötig haben
Sich doch nicht allezeit von selbst verstehen.
Und tiefer noch. Denn auch die ungewissen
Und fernen Mächte, die man Gott genannt,
Sie drangen mir zu Herzen mit den Küssen,
Den Worten deines Mundes, und die Blüte
Irdischer Liebe nahm ich mir zum Pfand
Für eine Welt des Geistes und der Güte.
Marie Luise Kaschnitz, 1925