Die Kündigungen und Zürich ohne ü-Pünktchen
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Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Herzlich Willkommen zur Sendung „Zukker im Leben“ vom 12. April 2019. Ich habe Ihnen das letzte Mal versprochen, dass ich Ihnen wieder von meiner neuen Arbeit erzähle. Und es ist wieder so viel passiert. Was genau? Erfahren Sie heute. Und dann erzähle ich Ihnen heute von etwas,das für Irritation und Unterhaltung sorgt. Warum? Verrate ich Ihnen ebenfalls heute. Viel Vergnügen!
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Es ist wie verhext[1]. Ich habe Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ja bereits von meinem neuen Job erzählt. Ich habe jetzt eine Festanstellungund bin ganz glücklich, dass ich mit den 40%meine Miete und die Versicherungen bezahlen kann. Aber wissen Sie was? Es ist ein sehr spezielles Team, mit dem ich arbeite. Bei der letzten Sitzung hat unser Chef gerade einmal zwei Sätze gesagt, da unterbricht ihn eine Kollegin und sagt: „Also mir ist eine Sitzung um 10 Uhr einfach zu früh. Ich kann erst um 11 Uhr arbeiten, dann bin ich auf einem guten Energielevel.“ Ich kann nicht anders, als laut zu lachen. Sie ist etwas irritiert und sagt: „Und die Sitzungen sind mir viel zu unstrukturiert [2]. Soll ich die Sitzungen ab jetzt vielleicht leiten [3]?“ Mir bleibt das Lachen im Hals stecken. Der Chef ist irritiert und sagt zu ihr: „Vielleicht sollten wir zwei nach der Sitzung noch kurz zusammen reden.“ Dann besprechen wir, was es zu tun gibt. Auf unserem Programm, das überall aufgehängt ist, steht, dass eine Veranstaltung zum Thema Klima und Streiken [4] stattfinden wird.Das ist im Moment ein sehr grosses Thema, man liest überall in den Zeitungen davon und ganze Schulklassen gehen freitags auf die Strasse und setzen sich ein für eine bessere Welt. Ich muss die Veranstaltungen bewerben [5], weil ich für die Kommunikation zuständig bin. Ich frage in die Runde: „Wen wollen wir mit dieser Veranstaltung ansprechen [6]?“ Eine andere Kollegin sagt: „Es sind alle Menschen herzlich willkommen.“Ich sage zu ihr: „Das ist natürlich schön, aber so ist es schwierig, eigentlich unmöglich ein Publikum anzusprechen.“ Die erste Kollegin sucht einen Zettel und sagt dann zu mir: „Also bei dieser Veranstaltung machen wir ja eine Diskussionsrunde mit Experten zum Thema Klima.Könntest du das moderieren [7]?“ Ich versuche ernst zu bleiben und frage zurück: „Wer sind denn die Gäste? Die Veranstaltung ist nächste Woche und das Thema komplex [8].“ Jetzt sagt der Chef: „Es gibt doch noch gar keine Gäste für die Diskussionsrunde. Und wir werden auch keine mehr finden. Ich finde das alles nicht so gut, aber die Veranstaltung wird abgesagt.“ Ich kann mich nicht zurückhalten [9] und sage: „Gut, das ist für mich sehr konkret, das kann ich gut kommunizieren.“ Danach ist komische Stimmung im Büro. Die Kollegin, die nicht gerne vor 11 Uhr arbeitet, redet lange mit dem Chef und packt danach ihre Sachen. Für immer. Die andere Kollegin versteht nicht, warum wir denn nicht doch noch etwas improvisieren möchten, vielleicht würden wir doch noch Experten finden. Als der Chef ihr dann sehr ausführlich [10] erklärt, dass wir unglaublich unprofessionell sind, schreibt sie ihre Kündigung [11] und sagt: „In einem Büro, in dem ich mich nicht selber verwirklichen [12] kann, will ich nicht mehr arbeiten.“ Ich bin im falschen Film und sehr froh, dass ich nur 40% hier arbeite. Als ich im Februar angefangen habe, waren wir sechs Mitarbeiter. Eine Mitarbeiterin ist seit Wochen krankgeschrieben, eine hat ihre Sachen gepackt und die dritte hat gekündigt. Heute sind wir noch zu dritt: Der Chef, der Chef vom Kaffee und ich. Verrückt, oder?
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Es ist Montagmorgen und ich liege sehr erkältet [13] im Bett. Alle meine Freunde waren in den letzten Wochen krank. Es ging eine Grippe um, die mich nie erwischt [14] hat. Nicht, dass das einen Zusammenhang hätte,aber manchmal dachte ich, vielleicht erwischt es mich nicht, weil ich schon genug gelitten [15] habe nach meinem Unfall. Aber eigentlich ist es eher erstaunlich, dass es mich nicht erwischt hat, weil mein Immunsystem sicher angeschlagen [16] ist, nach 15 Vollnarkosen. Es hat mich dann also doch erwischt, zuerst mit hohem Fieber und jetzt mit einer Erkältung. Ich liege also im Bett und surfe im Internet. Plötzlich lese ich in der Neuen Zürcher Zeitung, dass Zürich bald die ü-Pünktchen verlieren soll und wir alle Zurich schreiben müssen. Sogar die Ortsschilder werden angepasst, weil viele Touristen irritiert [17] seien,was denn diese Pünktchen bedeuten. Zürich soll also auch mitmachen können im internationalen Markt und keine Insel sein. Zürich könne sointernational zu einem Brand, einer Marke werden. Es werden bald Leute darüber beraten, ob wir bald „Zuri-Lackerli“ statt „Züri-Läckerli“ essen, beim „Zurich Marathon“ joggen und eines der bekanntesten Feste in Zürich plötzlich „Zurcher Sechselauten“, statt Zürcher Sechseläuten heisst? Das wäre für die stolzen Zürcherinnen und Zürcher natürlich ganz schlimm, weil viele Menschen hier sehr an diesen Dingen hängen und sich damit identifizieren [18]. Alle diese Informationen liefert eine Frau von der Zurcher, äh, Zürcher Stadtentwicklung. Sie heisst: Angie Angleterre. Ich stocke [19] kurz und denke: Angleterre? Wer heisst denn so? Das heisst doch einfach „England“ auf Französisch. Ich hole den Fiebermesser und merke, dass ich doch wieder Fieber habe. Ich schicke den Artikel an einige Freunde und schreibe dazu in der Whatsapp-Nachricht: „Was ist denn das für eine komische Idee? Hat unsere Stadt keine anderen Probleme als ü-Pünktchen?“ Ich bin wirklich verwirrt, was das soll. Dann schicken die anderen Emojis zurück, bis Anna schreibt:„Nora, welcher Tag ist heute?“ Oha! Montag, der 1. April. Bravo! Das war der allerbeste Aprilscherz, auf den ich seit vielen Jahren hereingefallen[20] bin. Kennen Sie den Brauch [21] des Aprilscherzes, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer? Immer am 1. April erzählen Menschen sich gegenseitig Geschichten, die erfunden [22] sind. Je näher die Geschichte an der Wirklichkeit ist, umso lustiger ist es dann, wenn man sagt „April, April!“und zugibt, dass es ein Witz war. Dieser Brauch hat sich schon vor vielen Jahren in Europa und Amerika etabliert [23]. Viele Zeitungen und Radios denken sich jedes Jahr etwas aus und verwirren [24] so die Gesellschaft.Passen Sie also gut auf, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, dass es Ihnen das nächste Jahr nicht genau so geht, wie mir. Erkältung und auf einen Aprilscherz hereinfallen, ist keine Kombination, die ich empfehlen kann.
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Ich freue mich sehr, wenn ich Ihnen am 26. April auf podclub.ch und in der App wieder aus meinem Leben erzählen darf. Dann werde ich Ihnen erzählen, wie ich dieses Jahr Ostern gefeiert habe. Schauen Sie doch bei Instagram vorbei und üben Sie mit dem Vokabeltrainer in unserer App. Auf Wiederhören! Glossar: Zukker im Leben (D) [1] verhext: verzaubert, verwandelt, komisch
[2] unstrukturiert: chaotisch, unorganisiert
[3] etwas leiten: etwas führen
[4] das Streiken: hier: auf die Strasse gehen, um auf etwas aufmerksam zu machen (meist politische Anliegen)
[5] etwas bewerben: Werbung machen für etwas
[6] jemanden ansprechen: hier: bei jemandem Interesse wecken für etwas
[7] moderieren: eine Gesprächsrunde leiten
[8] komplex: schwierig, kompliziert
[9] sich zurückhalten: nichts sagen, sich beherrschen
[10] ausführlich: sehr lange und genau
[11] die Kündigung: die Erklärung, dass ein Arbeitsverhältnis zu Ende ist
[12] sich selbst verwirklichen: die eigenen Fähigkeiten zeigen oder entwickeln
[13] erkältet sein: Schnupfen, Kopfschmerzen, Halsschmerzen haben
[14] erwischen: bekommen
[15] leiden: starke Schmerzen haben
[16] angeschlagen: geschwächt, angegriffen; nicht gesund
[17] irritiert sein: etwas nicht verstehen
[18] sich mit etwas identifizieren: eine enge Verbindung mit etwas haben
[19] stocken: inne halten, kurz überlegen
[20] auf etwas hereinfallen: getäuscht worden sein
[21] der Brauch: die Tradition, etwas, was man immer wieder tut mit grosser Bedeutungs
[22] erfinden: sich ausdenken
[23] etabliert: bekannt, verbreitet
[24] jemanden verwirren: jemanden durcheinander bringen, dass man nicht mehr weiss, was stimmt