Nach dem Corona-Kabinett: Kanzlerin Merkel zur aktuellen Lage
Meine Damen und Herren, bevor ich Ihnen noch einmal von
einem Beschluss des Coronakabinetts berichten möchte,
der mir sehr wichtig ist, möchte ich einige
Bemerkungen zur aktuellen Lage machen.
Wir haben ja in den letzten vier Wochen,
also seit Beginn der harten Maßnahmen
und der Kontaktbeschränkungen,
insgesamt sehr viel erreicht.
Es ist insbesondere gelungen, die Infektionszahlen
so weit unter Kontrolle zu bringen,
dass sie nicht mehr exponentiell steigen.
Dass dies gelungen ist, dass der
Reproduktionsfaktor jetzt auch bei unter 1 liegt
und dass es an etlichen Tagen mehr
Genesene als neu Infizierte gibt,
ist vorneweg den Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken,
die alle Einschränkungen mit so übergroßer Disziplin
und insgesamt auch sehr viel Geduld getragen haben.
Auch heute möchte ich dafür noch
einmal von ganzem Herzen Danke sagen.
Es gibt also eine wachsende Zahl von
Genesenen und weniger Infektionen,
und das ist sozusagen das Ergebnis
der Kontaktbeschränkungen.
Aber wir dürfen keine Sekunde aus den Augen verlieren, dass wir
trotz allem immer noch ganz am Anfang der Pandemie stehen,
dass wir am Anfang stehen und noch
lange nicht über den Berg sind.
Ich glaube, das müssen wir uns gerade zu Beginn dieser
Woche, in der ja die ersten Lockerungen in Kraft treten,
wieder und wieder klarmachen.
Natürlich fällt das schwer.
Aber wenn wir jetzt Beschränkungen aufheben, wenn wir
Lockerungen machen, dann wissen wir eben nicht genau,
was die Folge davon ist, und deshalb müssen wir
schrittweise, langsam und vorsichtig vorgehen.
Denn es wäre jammerschade, wenn wir
sehenden Auges in einen Rückfall gingen,
wenn wir sehenden Auges die
ersten Erfolge gefährden würden.
Deshalb dürfen wir keine Sekunde
leichtfertig oder leichtsinnig werden.
Wir dürfen uns keine Sekunde in Sicherheit wiegen.
Es ist ganz, ganz wichtig, dass wir sozusagen weder
leichtsinnig sind noch uns in Sicherheit wiegen,
sondern wir müssen wachsam und diszipliniert bleiben.
Wenn ich von „wir“ rede, dann sind das wir
alle, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.
Damit das auch ganz klar ist: Ich
weiß ja um die Not vieler Menschen.
Ich weiß um die Not von Eltern und Kindern,
um die Not gerade auch von Alleinerziehenden.
Ich sehe die Not so vieler in der
Gastronomie und bei den Hotels,
und ich sehe die Not so vieler Menschen, die um die Zukunft
ihres Geschäfts, ihres Betriebs, ihres Unternehmens bangen.
Auch die Not vieler Künstler, die nicht wissen,
wie es für sie weitergehen kann, sehe ich.
Ich sehe die Erwartung der Kirchen
und Religionsgemeinschaften,
die den Gläubigen mehr als nur
Online-Gottesdienste ermöglichen möchten,
und die Sehnsucht von Gläubigen, in den Gottesdiensten endlich
wieder die Gemeinschaft mit anderen erleben zu können.
Ich sehe natürlich das dringende Bedürfnis,
das Freiheitsrecht der Versammlung und
Demonstration wieder wahrnehmen zu können,
und ich weiß auch um die Not einsamer Menschen, die ihre
Einsamkeit jetzt noch viel, viel stärker als sonst spüren.
Das heißt ja auch: Diese Pandemie verlangt uns allen in diesem
Lande jedem Einzelnen und auch der Gemeinschaft ziemlich viel ab.
Aber ich bin zugleich davon überzeugt,
dass wir all dieser Not, all den Hoffnungen und
Erwartungen, Wünschen und Ansprüchen am besten begegnen,
wenn wir gerade am Anfang dieser Pandemie weiter auch
die Kraft für harte und strenge Maßnahmen aufbringen.
Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir ja am letzten
Mittwoch gemeinsam mit den Ministerpräsidenten beschlossen haben,
dass bis mindestens zum 3.
Mai die Regeln weiter gelten:
1,5 Meter Abstand im Freien,
Aufenthalt zu Hause nur im eigenen Hausstand,
im Freien auch nur mit dem eigenen Hausstand oder aber
mit einer Person, die nicht zu diesem Hausstand gehört,
keine touristischen Reisen,
sozusagen keine Reisen in die Ferne.
Meine Sorge und sozusagen meine Mahnung,
dass wir am Anfang dieser Epidemie jetzt ganz
sorgsam sind und dass wir konzentriert bleiben,
habe ich auch in allen Gesprächen mit den Ministerpräsidenten
der Bundesländer deutlich gemacht und mache ich deutlich.
Der Spielraum, den wir uns gegeben
haben - der Spielraum wird ja umgesetzt,
im Wesentlichen von den Bundesländern durch die Allgemein-
verfügungen, durch die Zuständigkeit im Infektionsschutzgesetz,
soll möglichst eng und nicht
möglichst weit ausgenutzt wird;
denn ich glaube, dass wir ansonsten Gefahr laufen
könnten, dass wir die Lockerungen nicht genau übersehen.
Die Situation, die wir jetzt jeden
Tag haben, ist eben trügerisch;
denn was das, was wir heute begonnen
haben - die Öffnung der Läden,
auf die wir uns auch gemeinsam geeinigt haben,
bezüglich der Infektionszahlen bedeutet, das
werden wir in 14 Tagen sehen, nicht vorher.
Das ist das, was die Sache so schwierig macht.
Ich glaube, uns eint alle
Bund und Länder, Ministerpräsidenten, Bürgerinnen
und Bürger, mich und die Bundesregierung,
dass es keinen erneuten allgemeinen Shutdown geben
wird und dass er nicht wieder verhängt werden muss.
Aber das wäre natürlich bei einem erneuten
exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen die Folge.
Das wäre unvermeidlich
und würde auch dazu führen, dass wir in Krankenhäusern doch
in eine Notsituation kämen, die wir bis jetzt nicht hatten.
Genau das wollen wir ja vermeiden,
dass wir zu so dramatischen Zuständen
kommen wie in anderen Ländern,
weil wir natürlich gerade auch vorerkrankte Menschen,
ältere Menschen nicht in Gefahr bringen wollen.
Wir wollen sie aber auch nicht monatelang isolieren
man könnte auch „wegsperren“ sagen;
das entspräche in keiner Weise unserem Menschenbild.
Ich glaube ganz fest, dass sozusagen
die Verhinderung eines Rückschritts,
dass wir also wieder zu härteren
Maßnahmen zurückkehren müssen,
nicht nur im Interesse der Bekämpfung der Pandemie ist,
sondern auch im Interesse der
Entwicklung unserer Wirtschaft
und des gesellschaftlichen Lebens.
Deshalb werde ich nicht nachlassen,
wieder und wieder darauf hinzuwirken,
dass wir weiterhin konsequent
und diszipliniert sein müssen.
Je nachhaltiger die Reproduktionszahl unter eins geht,
desto mehr und nachhaltiger können wir auch wieder
öffentliches, soziales, wirtschaftliches Leben entfalten.
Das ist ja unser aller Interesse.
Um diese Situation auch gut bewältigen zu können,
brauchen wir vor allen Dingen - das sagen
uns alle internationalen Erfahrungen -
eine präzise Nachverfolgung aller Infektionsketten.
Das heißt, jeder oder jede, der oder die neu
infiziert ist, muss daraufhin gefragt werden,
mit welchen Kontaktpersonen er oder sie in Kontakt war.
Die müssen alle miteinander in Quarantäne.
Das präzise hinzubekommen wird nur dann gelingen,
wenn wir den öffentlichen Gesundheitsdienst stärken.
Dazu sind schon Verabredungen zwischen
Bund und Ländern getroffen worden,
nämlich am 25.
März,
dass pro 20 000 Einwohnern mindestens
ein Kontaktnachverfolgungsteam
aus fünf Personen in Einsatz gebracht wird.
Wir haben jetzt miteinander besprochen, dass,
durch das Bundesgesundheitsministerium finanziert,
105 mobile Teams zur Unterstützung
des öffentlichen Gesundheitsdienstes
bei Kontaktpersonennachverfolgung und -management geschult
und zur Unterstützung vor Ort eingesetzt werden können.
Das ist heute auch mit den Ländern besprochen worden.
Ab dem 22.
April wird es eine
Meldepflicht durch die Länder geben,
dass Gesundheitsämter, die diese
Aufgabe noch nicht erfüllen können,
dies den Landesaufsichtsbehörden melden,
damit wir Abhilfe schaffen können.
Zum Beispiel hilft in Brandenburg die
Bundeswehr bei solchen Kontaktnachverfolgungen.
Das verlangt ja keine gesundheitsspezifischen Kenntnisse,
sondern man muss einfach Telefonketten aufsetzen.
Wir werden beim RKI eine Serviceeinheit
„Kontaktstelle kommunaler öffentlicher
Gesundheitsdienst“ mit 40 Mitarbeitern aufbauen,
die dann immer für zehn
Gesundheitsämter Ansprechpartner sind.
Das mag sich sehr technisch anhören.
Aber wir wissen aus Südkorea, aus den asiatischen Ländern,
die sich mit solchen Epidemien beschäftigt haben,
dass es von entscheidender Bedeutung ist,
dass wir genau diese Infektionsketten,
und zwar jede einzelne, gut nachvollziehen können.
Dann können wir das Virus wirklich eindämmen.
Lockerungen ohne diese bessere Erfassung
werden nicht die erwünschte Wirkung entfalten.
Wie gesagt, ich möchte, dass wir den
Reproduktionsfaktor möglichst bald
und natürlich möglichst erfolgreich weiter drücken können.
Danke schön.
Das war's für heute.