Rente: einkalkulierte Armut – MONITOR
Es kann nicht sein, dass viele Menschen so tief in der Armut leben,
sich teilweise kein Essen leisten können.
Auf dem Boden schlafen müssen mit 82 Jahren, weil das Lattenrost kaputtgeht.
Das Arbeitsleben ist vorbei, und danach kommt die Armut.
Ich hab immer gearbeitet. Das verstehen die alle nicht.
Irgendwelche Rücklagen zu schaffen, das geht nicht.
Aber was ist, wenn die Brille kaputtgeht?
Wie kommt man aus, wenn man nur ein paar Euro pro Woche hat?
Das ist ein Paprikasch von einem halben Huhn,
das ist die Hühnerbrühe von dem halben Huhn,
das ist noch die Hühnersuppe von dem halben Huhn.
Mehr als 3 Mio. Rentner und Pensionäre gelten in Deutschland als armutsgefährdet.
Und sie ist eine von ihnen: Therese Nieder.
Jeden Montag geht sie einkaufen. Aber nicht im Supermarkt.
(Frau) Alle verfügbaren Kräfte zum Ausladen bitte.
Therese Nieder geht zur Tafel im Münchner Stadtteil Ramersdorf.
Anfangs mit einem unangenehmen Gefühl, sagt die 79-Jährige.
Das war nicht leicht. Ich hab mich geniert.
Ich hab gedacht, oh Gott, wenn mich jemand sieht, der mich kennt.
Dann hab ich gedacht, mei, es waren lauter Fremde.
Dann mit jedem Mal wirds besser.
Die Rente von Therese Nieder wird mit staatlicher Grundsicherung aufgestockt.
Zusammen sind das zwar gut 1.100 Euro monatlich.
Nach Abzug von Miete, Strom oder Versicherungen
bleiben ihr aber nur noch rund 8,30 Euro am Tag.
Für Lebensmittel, Reparaturen, Medikamente oder Kleidung.
Die Zahl armutsgefährdeter Rentner und Pensionäre in Deutschland
stieg nach den jüngsten vorliegenden Zahlen 2017 auf 3,2 Mio.
Plus 33% seit 2010.
Trotzdem sehe man hier nur wenige ältere Menschen,
sagt die Leiterin dieses Münchner Tafel-Standortes Birgit Schuster-Fuchs.
Viele schämten sich zu kommen, sagt sie.
Es ist tatsächlich auch oft der 1. Besuch sehr tränenreich.
Ich hätte mir nie in meinem Leben vorstellen können, dass ich mal bettel.
Das ist ein Satz, der tatsächlich von dieser Kriegs- oder Nachkriegsgeneration
häufig gesagt wird.
Ich versuche dann natürlich zu erklären,
dass das hier nichts mit betteln zu tun hat.
Hallo, Grüß Gott.
Bitte, kommen Sie rein.
Wir besuchen Therese Nieder zu Hause.
Sie lebt in einer kleinen, gemütlichen Wohnung im Osten Münchens.
Das ist der Sohn, und das ist die Älteste.
3 Kinder hat sie.
10 Jahre war sie nur für sie da, dann ging die Ehe in die Brüche.
Sie musste allein klarkommen.
Wie haben sie das denn gemacht?
Indem ich Nachtschicht, nennt man das, jetzt nennt man es anders.
Von 3 in der Früh bis 8 gearbeitet, Post verteilt.
Dann, wenn ich heimgekommen bin, Kinder fertig gemacht zum Schule schicken.
Und die Kleine in den Kindergarten schicken.
Und dann konnten Sie ins Bett gehen?
Dann konnte ich schlafen, wenn nicht grad wieder was geklingelt hat.
Ab und zu hat sie mit Nähen was dazu verdient.
Sozialamt kam für Therese Nieder nie infrage.
Doch auch, als sie später wieder Vollzeit arbeitete,
die ersten Jahre, als sie nur für die Kinder da war,
hat sie für ihre Rente nie wieder aufgeholt.
(Nieder) Das fehlt einfach.
Man wird bestraft, wenn man Kinder erzieht.
Ich krieg ja ein bisschen Müttergeld.
Aber das ist ganz minimal.
Und die 10 Jahre, wo ich daheim war, die fehlen halt an der Rente.
Die lange umstrittene Mütterrente
bringt ihr aktuell zusätzlich 49,60 Euro monatlich.
Sie bekommt also mehr Rente,
die wird aber auf die staatliche Grundsicherung angerechnet.
Ein Nullsummenspiel.
Wir sind in Köln.
Diese Frau arbeitet daran, armen Rentnern das Leben zu erleichtern.
Sandra Bisping vom Verein "Ein Herz für Rentner".
Sie prüft gerade den Antrag von Burckhard Nirschl.
Sie haben gesagt, Sie brauchen eine Waschmaschine.
Ihre alte ist jetzt kaputtgegangen. - Ja genau.
Die alte ist kaputtgegangen, die hat 10 Jahre gehalten.
Der 63-jährige Elektriker lebt von Erwerbsminderungsrente.
Mal eben eine neue Waschmaschine ist für ihn nicht drin.
Ich hätte mir höchstens irgendwo eine gebrauchte holen können.
Für 70, 80 Euro, aber wer weiß, wie lange die gehalten hätte.
Na ja, und 70, 80 Euro ist für Sie ja auch Geld.
Ja, das ist für mich viel Geld.
Ich hätte 3 Monate sparen müssen, ne?
Sandra Bisping stieg vor wenigen Jahren aus ihrem alten Beruf aus.
Ihr sei schnell klar gewesen:
Sie will sich für alte Menschen engagieren.
Deshalb gründete sie den Verein.
Ich finde, unsere Rentner leben leider, wie man es immer wieder sieht,
am Rande der Gesellschaft.
Nicht in der Mitte der Gesellschaft, wo sie wirklich hingehören.
Da kämpfen wir für, dass sie diese Wertschätzung bekommen,
dass sie am Sozialleben teilnehmen können.
Mit finanzieller Hilfe, mit kostenlosen Veranstaltungen,
damit sie wirklich letztendlich ihren Lebensalltag noch genießen können.
In ihrem Büro hängen Bilder einer Berliner Fotografin.
Sie zeigen Menschen, die ihr Verein unterstützt.
Es gehe um die Menschenwürde, sagt Sandra Bisping.
Sie will helfen. Dort, wo der Sozialstaat versagt.
(Bisping) Grundsätzlich sollte es uns gar nicht geben müssen.
So wie ne Tafel z.B. auch.
Wir sind in einem reichen Sozialstaat Deutschland, heißt es immer.
Es kann nicht sein, dass wirklich viele Menschen so tief in der Armut leben,
sich teilweise kein Essen leisten können.
Auf dem Boden schlafen müssen mit 82 Jahren, weil das Lattenrost kaputtgeht.
Oder die Brille.
Wie bei Gisela Breuhaus, 70, aus Wachtberg bei Bonn.
Nach 15 Jahren ging ihre Brille kaputt.
Ich bin gestürzt, und die Brille war total zerkratzt.
Sie war auch schon ziemlich alt.
Ich hätte auf jeden Fall eine neue benötigt.
Aber ich hätte nie gewusst, wie ich das finanzieren sollte.
Der Verein von Sandra Bisping hat ihre neue Brille bezahlt.
Sie will den Bügel noch etwas anpassen lassen.
Wir begleiten sie.
Gisela Breuhaus ist heute schwerbehindert.
Auch sie hat sich um die Kindererziehung gekümmert
und 16 Jahre lang Angehörige gepflegt.
Erst ihren Vater, später ihren Mann.
Obwohl für pflegende Angehörige seit Jahren Beiträge
in die Rentenkasse gezahlt werden:
Vor der Altersarmut hat es sie nicht geschützt.
Ihre gesetzliche Krankenkasse hat zur Brille nichts dazugegeben.
Zuschüsse gibt es heute nur noch bei sehr starken Sehbehinderungen.
Wenn es nun den Verein nicht gegeben hätte?
Das wär eng geworden.
Das weiß ich nicht.
Da hätte ich mir irgendwo Geld leihen müssen oder so.
Ein Problem, mit dem Menschen wie sie immer zu kämpfen haben.
Auch Therese Nieder.
Sie hat von dem Verein eine neue Couch bekommen. Und:
Dann habe ich den Pulli bekommen, einen wunderschönen, weichen, angenehmen Pulli.
Und eine wärmende Bettunterlage.
Es ist immer dasselbe.
Menschen wie sie haben keine Rücklagen.
Eine kaputte Waschmaschine wird zur finanziellen Herausforderung.
Und dann?
Entweder das Konto überziehen.
Oder Geld zu leihen und dann kleinweise wieder zurückzahlen.
Fällt Ihnen das denn leicht, Bekannte zu fragen?
Nein. Nein, gar nicht.
Ich will mich nicht...
Ich hab ja immer gearbeitet, und das verstehen die alle nicht.
Auch Gisela Breuhaus bekommt zusätzlich zur Rente staatliche Grundsicherung.
Trotzdem bleiben ihr am Ende nur rund 330 Euro zum Leben.
Seit Kurzem bekommt sie zusätzlich 38 Euro monatlich vom Rentner-Hilfe-Verein
als Patenschaft.
Damit möchten wir ihnen ein Stück Würde zurückgeben,
weil sie über dieses Geld frei verfügen können.
Sie sollen auch mal die Möglichkeit haben, in ein Café zu gehen,
ein Stück Kuchen zu essen.
Einen Cappuccino zu trinken oder ihrem kleinen Enkel was zu kaufen.
An ihrem Kühlschrank demonstriert Gisela Breuhaus, was Sparsamkeit heißt.
Mehrere Frischhaltedosen sind gefüllt mit Sachen aus einem halben Huhn,
gekauft von einer Nachbarin für 4 Euro.
Das ist ein Paprikasch von einem halben Huhn.
Das ist die Hühnerbrühe von dem halben Huhn.
Das ist noch die Hühnersuppe von dem halben Huhn.
Wie lange kommen Sie mit so was hin? - Ne gute Woche.
Dazu kommen natürlich dann so was wie Spätzle auch.
Regelmäßig ist Sandra Bisping unterwegs zu potenziellen Spendern,
um für ihre Sache zu werben.
Sie glaubt nicht, dass die Politik das Problem der Altersarmut
in den Griff bekommt.
Auch nicht mit der jetzt geplanten Grundrente.
Ich find es gut, dass es da jetzt einen Ansatz gibt.
Aber es ist einfach noch nicht zu Ende gedacht.
Es löst einfach nicht das Problem der Altersarmut.
Verschiedene Experten teilen diese Ansicht.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung,
geht davon aus, dass die Altersarmut in den kommenden 10 bis 15 Jahren
noch deutlich steigen wird.
Sie müssten heute schon knapp 12 Euro an Stundenlohn haben.
Damit Sie, wenn Sie über 40 Jahre lang in Vollzeit zu Mindestlohn arbeiten,
im Alter genug Geld haben,
dass Sie eben nicht auf staatliche Leistungen angewiesen sind.
Und das ist eine Orientierungsgröße.
40 Jahre Vollzeit zu 12 Euro, das müssen Sie schaffen,
damit Sie im Alter nicht eben sagen müssen, ich hab nicht genug Geld.
Ich muss noch mal aufstocken, ich brauch Grundsicherung,
um der Altersarmut zu entgehen.
Therese Nieder geht alle 2 Wochen zum Kaffeeklatsch des Vereins,
kommt so unter Leute.
Denn mit der Armut kommt oft auch die Einsamkeit.
Gisela Breuhaus bekämpft die drohende Einsamkeit, in dem sie sich engagiert.
Etwa für die Belange von Behinderten.
Und mit den 38 Euro vom Verein reicht es auch mal für einen Konzertbesuch.
* Musik *
Bislang, sagt die Klassikliebhaberin,
müsse ihr Wohnzimmer als Konzertsaal herhalten.