Wie man aus Scheiße Bonbons macht | Fabian Wichmann | TEDxMünchen
Transkribierer: Ksenia Belyakova Lektorat: Jo Pi Ich starte eigentlich mit ein paar schlechten Sachen, mit ein paar schlechten Nachrichten,
und zwar bin ich hier, um erstmal euch zu sagen, was da draußen alles so schiefläuft.
Wir haben auf der Straße und im Internet quasi einen Kulturkampf, wir sehen dort mehr als 500 rechtsextreme Übergriffe, wir haben mehr als 1800 Menschen, Asylbewerber, die angegriffen worden sind, und wir haben mehr als 87 Feuer an Asylbewerberheimen, 7 Tötungsdelikte zählte die Polizei.
Das ist eine Steigerung von 30 Prozent
und das war nur bis Oktober dieses Jahres.
Das ist 30 Prozent mehr als im Jahr davor im gesamten Verlauf. Wenn man jetzt so dasteht und denkt: Okay, was machen wir jetzt damit? Ich habe eine kleine Geschichte.
Ich komme aus einem Land,
wo wir immer versuchten, das Beste aus dem zu machen, was wir hatten.
Dieses Land gibt es nicht mehr, es war die DDR. Dort versuchte man aus allem, was man nur hatte, irgendwas daraus zu machen, denn dort gab es viel, und zwar viel nicht. Also musste man schauen, dass man daraus was macht. Ein Beispiel war nur: Es ist ja bald Weihnachten, und viele kennen vielleicht den Dresdner Christstollen. Er wird aus Zitronat hergestellt.
Zitronat stellt man wiederum aus der Zitronenschale einer Zitronatzitrone her. Man muss die kandieren, und nutzt dann dieses Zitronat. Das hatte man nicht.
Also überlegte man sich, man macht was anderes daraus. Man nimmt einfach Kandinat, man stellt Kandinattee her. Das macht man aus einer Tomate, aus einer grünen Tomate. Also macht man aus einer grünen Tomate
eine gelbe Zitrone für einen Christstollen. Das ist beeindruckend.
(Lachen)
So beeindruckend, dass ich dachte, da müsste man doch was daraus machen. Und als ich damals die Grenze überquerte
und quasi über Nacht unfreiwillig Flüchtling wurde, weil mein Land war nicht mehr da,
da wurde ich von Grenzklatschern und Bananenwerfern begrüßt, im positiven Sinne,
andere kennen das vielleicht ein bisschen negativ, Olli Kahn hier aus München, der hat da ja auch Erfahrung. Bei mir war es positiv.
Aber wie gesagt,
in diesem Land versuchten wir dann aus dem, was wir da haben, das Beste daraus zu machen.
Da sagte man,
dann macht man halt einfach aus Scheiße Bonbons. Ich dachte: Okay, aus Scheiße Bonbons?
Es klingt vielleicht ein bisschen drastisch, aber man kann es ja nicht anders sagen.
Scheiße bleibt Scheiße, auch wenn man Kacke sagt, das ist einfach Scheiße, und die Situation, wie wir sie vorhin beschrieben haben, die ist einfach Scheiße. Also, das Problem war da,
es fehlte eigentlich bloß noch die passende Idee, um aus dieser Scheiße irgendwas zu machen.
Ich dachte mir: Okay, wenn die Neonazis dort marschieren und wenn die Neonazis im Netz hassen,
dann sollen sie das wenigstens gegen sich selbst oder irgendwie selbstwirksam machen.
Oder wenn sie schon hassen und demonstrieren, dann doch vielleicht -- für -- etwas, also für Geflüchtete, oder gegen sich selbst und für den Ausstieg? Okay, damit war die Idee schon etwas konkreter, und ich dachte, das könnte funktionieren.
Also fehlte eigentlich bloß noch das, was immer fehlt: das Geld. Also versuchte ich mich im Fundraising.
Wer jetzt Fundraising nicht wirklich kennt: Fundraising ist quasi qualifiziertes Betteln. (Lachen)
Gut.
Das habe ich gemacht, und es klappte. Es hat funktioniert! Am Ende hatten wir unsere kleine Aktion fertig. Interessanterweise war es fast genau heute vor zwei Jahren in Wunsiedel, also ein bisschen weiter von hier, und damit konnten Neonazis das erste Mal weltweit unfreiwillig gegen sich selbst laufen, (Lachen)
was sehr interessant war, und wie das aussah, zeige ich jetzt mal kurz.
(Video) Wunsiedel in Oberfranken:
eine kleine Stadt mit einem großen Problem, einem Nazi-Problem.
Denn seit über 25 Jahren kommen und marschieren Rechtsradikale einmal pro Jahr zu Hunderten durch Wunsiedel. Die Stadt — hilflos.
Darum läuft 2014 alles ein bisschen anders. Denn wir haben den Nazi-Aufmarsch heimlich in etwas Sinnvolles verwandelt, den unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands. Die Idee: Für jeden Meter der Neonazis gehen 10 Euro an ein Aussteiger-Programm für eben diese Neonazis, "EXIT-Deutschland". Je länger marschiert wird, desto mehr Geld kommt zusammen. So machen sich die Neonazis Schritt für Schritt gegen Neonazis stark und finanzieren ungewollt ihren eigenen Ausstieg aus der Szene. Und das Schönste: All das erfahren sie erst, wenn sie marschieren. Pünktlich um 13:48 läuft die Aktion "Rechts gegen Rechts" offiziell an. Das erste Mal in der Geschichte marschieren Neonazis gegen sich selbst. Wie es sich für einen Spendenlauf gehört,
sorgen motivierende Plakate und Schilder dafür, dass die Teilnehmer durchhalten und nicht vergessen, wofür sie gerade marschieren oder auch wogegen. Markierungen auf der Straße informieren die ernst blickenden Teilnehmer über den aktuellen Spendenstand.
Selbst an die Kondition der Rechten wurde gedacht. Als Stärkung gibt es Bananen, damit auch der untrainierte Neofaschist im Spendenschritt über die Ziellinie kommt. Um 15:28 haben die Neonazis das Ziel erreicht. 10.000 Euro gehen an die Neonazi-Aussteiger-Initiative EXIT-Deutschland.
10.000 Euro, um den Rechten zu helfen, aus der rechten Szene auszusteigen. Gesammelt von den Rechten höchstpersönlich. Danke an alle Helfer und Sponsoren!
Danke an die Neonazis fürs Spendensammeln! Danke für das Wunder von Wunsiedel!
Wunsiedel in Oberfranken: eine kleine Stadt mit einer großen Idee. (Lachen, Beifall)
Okay, es waren dann doch 20.000, also nochmal 10.000 Euro mehr, EXIT-Deutschland wurde ...
(Beifall)
EXIT-Deutschland wurde sogar im Weißen Haus präsentiert. Die Europäische Kommission hat es als Best Practice ausgezeichnet, und -- was mich ja noch mehr freute -- der eine oder andere Fundraiser sagte, wir hätten das Fundraising revolutioniert.
Und ich kannte den Begriff vorher nicht mal wirklich. Das hat wiederum andere geärgert.
Okay, wir haben es in Wunsiedel und in Remagen geschafft und viele Gemeinden wollten auf einmal unfreiwillig spendable Neonazis haben. Verständlich!
(Lachen)
Die Idee vervielfältigte sich, noch bis heute, also nicht heute am Tag, aber vor ein paar Tagen, und wir dachten uns: Wir haben es so oft in der Realität, aber da gibt es doch bestimmt noch andere Orte, wo Hass ist und wo man was machen kann.
Wo ist eigentlich dieser Tage mehr Hass als auf der Straße? Das ist eigentlich nur im Internet.
Dort kann man seinem Gegenüber ein virtuelles Konzentrationslager wünschen, an den Galgen oder ans Erschießungskommando schicken. Ich will jetzt die Einzelheiten gar nicht bringen, denn wir sprechen hier von Good News, also überspringe ich diesen Teil. Wir überlegten uns: Facebook.
Alle kennen Facebook und alle wissen, welcher Hass da eigentlich ist, und genau dort sind wir dann hin.
Wir sagten: Dann suchen wir uns Hass da und lassen die Spender dort spenden. Wie das funktioniert?
Ihr kennt es vielleicht: Ihr seid bei Facebook, scrollt die Seiten durch und aus Versehen kommt ihr in die Kommentare und denkt euch: Was für eine Scheiße! Und genau diese "Scheiße" sieht der Nutzer und schickt sie uns zu. Wir gucken uns den Hasskommentar an und sagen: Okay, der passt, der trifft es. Dann geben wir einen Euro
an die Aktion "Deutschland Hilft" für ihre Flüchtlingsarbeit und an EXIT-Deutschland frei.
So weit, so gut.
Aber: Der Nutzer, der natürlich diesen Kommentar verfasst hat, wird natürlich freundlich darüber informiert, dass er mit seinem Hass wiederum einen Euro freigegeben hat, und wir bedanken uns recht höflich dafür.
Und somit ist er sich seiner Situation bewusst. Und wenn man diesen Hass im Netz zu Hilfe macht, was bekommt man? Noch mehr Hass. (Lachen) Das ist sehr praktisch: Da kann man noch mehr Hilfe daraus machen. Man bekommt Liebe von den Leuten,
die uns die Hasskommentare und die Spenden zusenden, und man bekommt die Situation, über die man lacht. Und zwar genau dann, wenn uns die hassenden Menschen mit ihrem Anwalt drohen, weil sie sich betrogen sehen, oder weil sie ihren Kontostand prüfen,
um zu prüfen, ob da wirklich ein Euro fehlt, um dann zu sagen: Natürlich fehlt da kein Euro! (Lachen)
All das bekommen wir zurück.
Das kann sehr erfolgreich sein, das sehen wir jetzt. Wir sind seit einem Jahr dabei.
Wir haben jetzt 20.000 Euro darüber unfreiwillig gespendet bekommen. Wir haben 38 Millionen Nutzer über dieses Jahr erreicht und wir machen immer noch weiter.
Denn der Hass ist noch da.
Wenn ihr jetzt so denkt: Sehr schön, was die da machen, toll, finde ich super, dann sage ich ja, und wir machen das gern für euch. Weil der Hass ist da.
Aber: Wenn ihr uns dabei unterstützt, diesen Hass [zu] Hilfe zu machen, wenn ihr spendet, wenn ihr uns in dieser Arbeit unterstützt, dann können wir da zusammen eine Riesensache daraus machen, und dann sind diese 20.000 EUR an Spenden noch eine Kleinigkeit. Wir werden ein Zeichen setzen, zu sagen:
Leute, diesen Hass im Netz, den nehmen wir nicht hin. Danke.
(Beifall)