Die Sprache hat andere Augen - Herta Müller 2009 - Nobelstiftung
[Herta Müller] Hallo ...
[Marika Griehsel] Frau Müller, Herzliche Glückwünsche.
Mein Name ist Marika Griehsel und ich rufe aus Schweden an und das ist die Nobelstiftung website. Wir wollen ganz gerne herzliche Glückwünsche sagen ...
[HM] Ich danke Ihnen.
[MG] Sie schreiben ja in Deutsch, und Sie haben gesagt, daβ Schreiben für Sie sehr wichtig ist, für das Leben ...
[HM] Na ja, es war das Einzige wo ich noch Ich selber sein konnte, weil das war während der Diktatur ... und na ja, es gab mir Halt ... aber so wichtig war das garnicht, weil ich habe auch dann gearbeitet - wenn ich eine Stelle hatte - ich bin ja immer überall rausgeschmissen worden. Und dann hatte ich ständig diese Schickanen gehabt, die Verhörungen und Verfolgungen. Manchmal kam einem das Schreiben auch vor, als wäre man nicht mehr ganz bei Trost ... weil das Land so arm war und man hat so viel Unglück gesehen und manchmal hat man sich gedacht, na ja, irgendwie ist das doch..es hat in dieser Welt garnichts zu suchen.
[MG] Aber es war irgendwie immer was Sie gemacht haben um die andere Seite auch zu sehen, oder?
[HM]Damit ich doch eine Gewissheit habe daβ ich es noch selber bin, daβ ich existiere.
[MG] Es war 1987 als Sie nach Deutschland gegangen sind?
[HM] Ja.
[MG] Aber trotzdem schreiben Sie immer noch sehr viel über das alte Land ... warum ist das so, meinen Sie?
[HM] Na ja, weil ich glaube daβ das schwere Gewicht ... daβ die Literatur geht dorthin, wo das Gewicht ist. Und ich habe in dieser Diktatur über 30 Jahre gelebt und da sind die Beschädigungen und das Thema ... ich habe das Thema nicht gewählt, das Thema sucht immer mich. Ich werde das Thema nicht ... ich bin es immer noch nicht los. Und man muβ über das schreiben, was einem ständig beschäftigt. Und Diktatur ist ja auch wichtig ... denn leider war die Diktatur nicht die Allerletzte. Es gibt leider immer noch so viele auf der Welt.
[MG] Als Sie angefangen haben zu schreiben, für wen schrieben Sie und für wen schreiben Sie jetzt?
[HM] Also, Ich habe immer eigentlich nur für mich geschrieben. Um die Dinge, um Dinge mit mir zu klären, um zu begreifen auf eine innere Art was eigentlich passiert. Oder: was ist aus mir geworden? Ich komme aus einem ganz kleinem Dorf, und dann kam ich in die Stadt, und es waren immer Brüche und dann war ich Minderheit, Deutsche ... und man gehörte sowieso nicht dazu. Dann hatte ich mit den Landsleuten, mit der deutschen Minderheit diesen groβen Konflikt gehabt: die haben mich ja ex-kommuniziert, schon als das erste Buch geschrieben habe, als sogenannte Nestbeschmutzerin, weil ich ja über die Situation mit der Verstrickung mit dem Nationalsozialistismus geschrieben habe, oder über dieses archaische starre Dorfleben, über diesen Etnozentrismus. Und das haben sie mir nicht nachgesehen.
Die wollten Heimatliteratur und ich habe das nicht geliefert und die fühlten sich von mir, ja, daβ ich sie kompromitiere. Das ist eine sehr konservative Minderheit und insofern war ich von denen ausgeschlossen, und in der rumänischen Gesellschaft aus politischen Grunden ausgeschlossen ist. Also irgendwie war es ganz normal daβ man nicht dazugehört, daβ man nirgends dazugehört. Und dann kam ich nach Deutschland, und hier in Deutschland war ich immer die Rumänin, und in Rumänien war ich immer die Deutsche. Also, irgendwie ist man immer das andere ...
[MG] Ja ja. Ist das wichtig, meinen Sie daβ man sich auβerhalb gefühlt hat?
[HM] Ich weiβ es nicht ob es wichtig ist. Also, wünschen kann man sich das ja nicht. Und es tut ja auch manchmal weh. Der Mensch will ja in manchen Dingen auch dazugehören, aber so war es und ich hab mich daran gewöhnt und irgendwann ist es nur noch eine Tatsache gewesen. Und so ist es. Und ja, man kann sich ja nicht jemandem aufdrängen und das was man denkt, verraten? Wenn ich durch das was ich meine und denke nicht mehr dazugehöre, dann ist es so. Was soll man dann machen? Man kann sich ja nicht verbiegen oder sich verleugnen als Person um dazu zugehören. Anderseits funktioniert das ja garnicht. Wenn man einmal nicht mehr dazugehört, dann ist es vorbei. [MG] Ist für Ihnen die Literatur ... das Schreiben ... man muss sehr ehrlich sein?
[HM] Ja, man muss mit sich selbst auch ehrlich sein. Man erfährt auch durch das Schreiben etwas anderes als durch die fünf Sinne die man hat, weil die Sprache ist ja ein anderes Metier. Und im Schreiben sucht man ja auch, und das ist es auch was einem am Schreiben hält, daβ man die Dinge aus einem ganz anderen Blickwinkel sieht und erfährt, selbst erfährt während des Schreibens. Das Schreiben weiβ ja garnicht wie es aussieht wenn man es tut, erst wenn es fertig ist. Und solange wenn man schreibt bin ich aufgehoben, dann weiβ ich ein biβchen wie das Leben gehen könnte, und wenn ich zu Ende bin mit dem Text, weiβ ich es schon wieder nicht.
[MG] Das hört sich schön an. Atemschaukel – meinen Sie es ist schwierig – Sie haben eine Gruppe Leute, also die Deutschen, die im Gefängnis waren, sie waren nicht besonders beliebt oder? Man hat nicht an sie nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht ... was wollten Sie damit sagen?
[HM] Ja, also ... die Deportation nach 1945 hat natürlich mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun.
Ach hier wird geläutet. Es ist wirklich ein Irsinn hier im Haus..die sind schon hier an der Tür vorne ...
Und na ja, die wurden dann deportiert im Namen det Kollektivschuld, die Deutsche Minderheit war ja verstrickt, sie war ja in der SS oder der Wehrmacht. Rumänien war mit Antonescu ein faschistischer Staat ...
[HM] Mach leiser, ich kann sonst nicht reden ... das ist ein Freund von mir ... ach..ich verstehe Sie auch nicht mehr ...
[MG] Ok, es ist der Anfang von einem groβen Fest glaube ich. Ganz kurz, Sie haben gesagt es war ein Kollektivschuld, ganz kurz.
[HM] Ja, und ich meine, Kollektivschuld ist ja immer ungerecht, weil die Leute die deportiert wurden, die waren ja damals nicht im Krieg. Die Deportationen war schon im Januar 1945, und der Krieg war ja erst im Maj zuende. Mein Vater war in der SS, der war noch garnicht aus dem Krieg zurück. Und dann hat man Zivilisten genommen, also ganz junge Leute genommen, 17-jährige, so wie Oskar Pastior, die ja persönlich nicht schuldig geworden waren, und Rumänien war ja auch ein faschistischer Staat mit Antonescu an der Seite von Hitler und hat dann ja nur ganz zuletzt die Seite gewechselt, oder wechseln müssen weil die Sowjets Rumänien dann gezwungen haben, die Seite zu wechseln. Und das hat natürlich die Minderheit auch stur gemacht, über die Verstrickung mit dem Nationalsozialismus nachzudenken, weil die Rumänen waren auch alle in Stalingrad mit Antonescu, und danach, nach 1945 hat man halt nur die Minderheiten verantwortlich gemacht. Die Ungarische Minderheit mit Horthy, als die Horthisten und die Deutschen als die Gefolgsleuten von Hitler, aber daβ die ganze Rumänische Bevölkerung in dieser Zeit auch an der Seite von Nazi Deutschland war, das wurde danach, 1945, wurde die Geschichte gefälscht.
Ja ... Ich meine, meine Mutter war ja auch deportiert, 5 Jahre lang. Und ich habe versucht diese Dinge aber in Zusammenhang zu sehen. Also ohne die Verbrechen von Nazi Deutschland wäre die Deportation nicht passiert. Das muss man natürlich immer mitdenken. Das kam nicht aus heiterem Himmel. Sondern das war eine Folge der Verbrechen an denen die Minderheit natürlich auch beteiligt war.
[MG] Was meinen Sie, Ihre Bücher werden auch ins Rumänische übersetzt. Wie werden Sie dort empfangen?
[HM] Na ja, unterschiedlich. Die Bücher werden gewöhnlich gut aufgenommen. Aber, das ist das eine. Aber, wahrscheinlich wer sucht sich aus, wer ein Buch rezensiert er hat auch vielleicht für das Buch etwas übrig. Aber in der Rumänischen Gesellschaft werde ich nicht besonders gemocht. Ich werde selten eingeladen. Weil ich bis heute über die Zustände in Rumänien zuviel negatives sage, weil es halt so ist. Weil die ganze Nomenklatura, die frühere, und der frühere Geheimdienst - die haben sich die Positionen im ganzen Land aufgeteilt. Und das ist ein ganzes Netz. Die bedienen sich gegenseitig. Und das ist auch eine Erklärung für diese allgegenwärtige Korruption in Rumänien. Und von Demokratie ist Rumänien leider noch ziemlich weit entfernt.
Das hört man nicht gerne in Rumänien. Das ist das ewige Problem. Die im Exil sollen das Maul halten und dann sagt man auch, ich verstehe nichts mehr davon.
[MG] Ihre Sprache ist Deutsch, aber Sie haben auch Rumänische Einflüsse ... wie sieht man das?
[HM] Na ja, die Sprache, das ist ja meine Muttersprache, Deutsch. Aber ich habe sehr spät mit 15 erst Rumänish gelernt in der Stadt, und ich wollte das auch lernen. Und ich mag diese Sprache. Rumänisch ist eine sehr schöne, sinnliche, poetische Sprache. Und von dem Moment an - das war auch vielleicht gut, daβ ich es so spät gelernt habe weil – dann habe ich schon einen Blick dafür gehabt – ich habe gemerkt wieviele Sprachbilder es im Rumänischen gibt, wie groβartig die Metaphorik ist, die gewöhnlichen Sprachbilder, die die Leute im Alltag benutzen, im Aberglauben oder ... in Redewendungen, viele Dinge sind auch gegensätzlich, oder wie die Pflanzen heissen, daβ sie ganz anders heissen als im Deutschen. Das ist ja dann auch ein anderes Blick auf das selbe.. ich habe immer gesehen daβ es zwei Stationen gibt, das eine ist die Station auf meiner Sprache für etwas, und das andere ist diese andere Station. Es ist nicht nur ein anderes Wort, das ist ein anderer Blick. Die Sprache hat andere Augen. Bei mir schreibt das Rumänische immer mit, auch wenn ich nicht auf Rumänisch schreibe, weil ich habe es im Kopf. Und ich habe zwei Blicke aus der anderen Sprache, die sind immer mit dabei. Ich weiβ oft garnicht welche das ist aus dem heraus ich dann schreibe.
[MG] Was empfehlen Sie uns jetzt zuerst von Ihnen zu lesen?
[HM] Was soll ich sagen? Also auf Deutsch würde ich natürlich das letzte Buch empfehlen. Das letzte Buch steht einem immer noch am nächsten. "Die Atemschaukel". [MG] "Die Atemschaukel". Also die Publizität wird jetzt ganz groβ und was halten Sie davon?
[HM] Ja, was kann ich dazu sagen?
[MG] (lacht)
[HM] Man ist ja kein anderer Mensch. Das hat ja eigentlich mit dem Schreiben selbst nichts zu tun. Ich bin jetzt glücklich, aber ich bleibe auch auf dem Boden. Also, ich ordne das jetzt schön ein. Und in zwei drei Tagen kommt das sogar an. Ich weiβ es ja jetzt, aber ich glaube es noch garnicht. Ich kann das nicht realisieren. Das muss auch so sein. Ich weiβ auch garnicht wieso ich soviel Glück verdiene. Ich denke manchmal, das Glück hat sich geirrt. Vielleicht verdiene ich das auch garnicht. Wieso steht mir das Glück zu?
[MG] Frau Müller, vielen vielen Dank, und viele Glückwünsche ...
[HM] Ja, ich danke Ihnen. Alles Gute.
[MG] Alles Gute. Vielen Dank, tschüs.